Wolfram Weimer: Die Mitte der Gesellschaft ist nicht antisemitisch

„Herzlich willkommen zu Hause“, sagte Mathias Pees, der Intendant der Berliner Festspiele zur Begrüßung. Denn Lahav Shani wurde zwar 1989 in Tel Aviv geboren, lebt aber seit 14 Jahren in Berlin und besitzt neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Pees begrüßte noch den im Publikum anwesenden Daniel Barenboim und beschwor die versöhnenden Kraft der Musik.
Dann übergab er das Wort an Wolfram Weimer. „Wir wollen hier ein Orchester würdigen, dem eine Bühne verwehrt wurde, weil sein Dirigent ein Jude ist“, sagte der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien mit Blick auf das Flandern Festival in Gent. Es hatte Shani, der auch Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra ist, ausgeladen, weil er seine Haltung zur israelischen Regierung und zum Krieg in Gaza nicht erläutern wollte.
Diese Absage werfe Fragen nach dem immer lauter werdenden Antisemitismus auf, der sich in „verschiedenen Fratzen und Maskeraden“ zeige. Weimer erinnerte an Boykottaufrufe in der Clubszene und die Debatte um die Teilnahme der israelischen Sängerin Yuval Raphael beim Eurovision Song Contest.
Weimer erinnerte an die vor 90 Jahren erlassenen „Nürnberger Gesetze“ der Nazis, mit denen deutsche Juden zu Menschen zweiter Klasse erklärt wurden. Jüdinnen und Juden hätten in diesen Zeiten Angst. „Aber ihr sollt keine Angst haben“, sagte der Kulturstaatsminister. Die breite Mehrheit der Gesellschaft stehe für ein Europa der Aufklärung und der Toleranz. „Wir freuen uns auf Lahav Shani, um dessen moralische Tiefe und humanistische Weite wir wissen.“

„Das ist klar antisemitisch“
Nach der Ausladung im belgischen Gent hatte das Musikfest Berlin die Münchner Philharmoniker kurzfristig zu einem Gastspiel ins Konzerthaus eingeladen, das unter beträchtlichen Sicherheitsmaßnahmen rund um den Gendarmenmarkt stattfand. Unter den Besuchern waren auch die Bildungsministerin Karin Prien und der ehemalige Bundeskanzler Olaf Scholz.
Auf dem Programm des von 1700 Besuchern gefeierten Konzerts standen wieder Beethovens Violinkonzert mit der Solistin Lisa Batiashvili sowie das Vorspiel und der Liebestod aus Wagners „Tristan“. Als Zugabe setzte sich der Dirigent ans Klavier und spielte mit der Geigerin Fritz Kreislers „Liebesleid“. Der Geiger und Komponist hatte 15 Jahre in Berlin gelebt, bevor er die Stadt wegen der Nazis verlassen musste.

Das Orchester reist nun mit diesem Programm nach Paris und Luxemburg, ehe die Europatournee mit zwei Konzerten im Wiener Musikverein zu Ende geht. Shani dirigiert die Philharmoniker wieder im Dezember, davor tritt er am 11. November mit Igor Levit und dem Israel Philharmonic Orchestra und am 4. Dezember mit Martha Argerich und dem Rotterdam Philharmonic Orchestra auf, das er noch bis Ende der Saison leiten wird.
Musik und Kunst sollen verbinden
Am Montagnachmittag hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Shani und dessen Ehefrau Miri Saadon Shani gesprochen. Die Ausladung vom Festival sei „durch nichts zu rechtfertigen“, teilte Steinmeier danach mit. „Der Auftritt eines jüdischen Künstlers, der ein deutsches Orchester dirigiert, wird davon abhängig gemacht, dass er sich von der israelischen Regierungspolitik distanziert. Das ist klar antisemitisch.“ Shanis Mut und Haltung hätten ihn beeindruckt, hieß es weiter.

Die Ausladung in Belgien hat außerdem ein Nachspiel im Kulturausschuss des Bundestags. Das Gremium werde sich noch in diesem Jahr mit dem Thema Antisemitismus im Kulturbetrieb und den deutsch-israelischen Kulturbeziehungen beschäftigen, sagte der Ausschussvorsitzende Sven Lehmann. „Ich habe dazu Lahav Shani in den Ausschuss eingeladen“, sagte der Politiker der Grünen.
Es sei dem Ausschuss ein Anliegen, Shanis Perspektive zu hören. „Die Einladung von Shani soll auch eine Geste der Solidarität sein“, sagte Lehmann. „Musik und Kunst sollen verbinden und nicht neue Gräben schaffen.“ Man dürfe nicht zulassen, dass Künstlerinnen oder Künstler in Europa wegen ihrer Herkunft oder Religion unter Generalverdacht gestellt würden. „Europa ist auf kulturellen Austausch und Freiheit gegründet. Diese Werte müssen und wollen wir verteidigen.“
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