Interview

Winnetou in Brechts Kraftclub

Julian Warner über das diesjährige Brechtfestival in Augsburg
Anne Fritsch |
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Julian Warner leitet das Brechtfestivals in Augsburg. Der deutsch-britische Künstler und Kurator veröffentlicht unter dem Alias Fehler Kuti Popmusik und Performances. Er beschäftig sich mit "dekolonialer Kritik"
picture alliance/dpa 3 Julian Warner leitet das Brechtfestivals in Augsburg. Der deutsch-britische Künstler und Kurator veröffentlicht unter dem Alias Fehler Kuti Popmusik und Performances. Er beschäftig sich mit "dekolonialer Kritik"
"Der kaukasische Kreidekreis" des Theaters Hora.
Monika Rittershaus 3 "Der kaukasische Kreidekreis" des Theaters Hora.
Die Schauspielerin Ute Fiedler als Mutter Courage in der Inszenierung von Stefan Leibold am Staatstheater Augsburg.
Jan-Pieter Fuhr 3 Die Schauspielerin Ute Fiedler als Mutter Courage in der Inszenierung von Stefan Leibold am Staatstheater Augsburg.

Seit letztem Jahr kuratiert Julian Warner das Augsburger Brechtfestival. Im Interview blickt er zurück und nach vorn, verrät, was es dieses Jahr zu entdecken gibt - und warum er inzwischen ziemlich große Stücke auf den in der Lechmetropole geborenen Autor hält.

AZ: Herr Warner, im vergangenen Jahr fand die erste Ausgabe des Brechtfestivals unter Ihrer Kuration statt. Sie haben das Publikum in die Peripherie gelockt, es gab eine Parade nach Augsburg-Lechhausen, Theater in der Sauna und in einer ehemaligen Bank-Filiale. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Einstand?

Julian Warner: Ich habe mich gefreut, wie gut der Community-orientierte Ansatz angekommen ist und wie wir den Brecht aus dem Goldenen Saal im Augsburger Rathaus ins Arbeiterviertel getragen haben. Als wir mit dem riesigen Brecht-Teppich, begleitet von Cheerleadern und einer japanischen Blaskapelle über den Lech geschritten sind, war da eine Energie, die mich auch persönlich sehr berührt hat. Diesen Spirit will ich gerne mitnehmen und diesmal vielleicht noch tiefer reingehen.

Dieses Jahr geht es in einen anderen Stadtteil?

In Lechhausen hatten wir viele kleine Satelliten und Spielorte. Diesmal sind wir in Augsburg-Oberhausen, einem migrantisch geprägten Viertel, und haben dort eine zentrale Spielstätte: Brechts Kraftklub, den wir am 24. Februar mit einem Turnfest für die Menschheit ohne Zukunft eröffnen. Denn unser Motto ist "No Future".

Da kommt gute Laune auf!

Ja: Aufbruch ins Ungewisse! Da gibt es eine Rede der Philosophin Eva von Redecker, Grußworte aus drei Religionsgemeinschaften, es wird geturnt, gesportelt und musiziert. Am Ende eröffnet der echte Winnetou aus der Dasinger Western-City den Kraftklub. Das ist ein Ort zum Mitmachen, zum Zuschauen, einfach zum Zusammensein. Ich habe das Gefühl, das wir alle in dieser Hoffnungslosigkeit, die uns umgibt, nach einer Möglichkeit suchen, zu agieren, körperlich etwas zu tun.

Was für ein Ort ist denn dieser Kraftklub?

Das ist eine ehemalige Textilfabrik am Plärrer, die später ein Möbelhaus wurde. Jetzt steht das leer, weil das ganze Areal neu entwickelt wird. Ich habe mich vor dem Hintergrund der ganzen Krisen vom Klimawandel bis zu all den Kriegen gefragt, was brauchen wir für einen Ort für was für eine Kunst? Meine Idee ist, dass das nicht nur ein Raum für Performance ist. Da gibt es auch Virtual Reality, ein Kino, da kann man trainieren, sich austauschen, spielen… Das kommt meinem weiten Kunst- und Kulturbegriff sehr nahe, der kann sich hier zuspitzen in diesem einen Gebäude.

Und was ist von der Möbelhaus-Ästhetik noch übrig? So ein Möbelhaus ist ja irgendwie das Gegenteil von Brecht.

Es ist eine krude Mischung, und damit kommt es dem alten Herrn wieder ganz nah. Zum einen ist da diese Jahrhundertwende-, fast schon Glaspalast-Ästhetik der Textilfabrik, wo in einer riesigen Halle auf tausenden Quadratmetern Maschinen standen. Gleichzeitig sieht man die Reste von Mömax. Dieser Ort ist ein Palimpsest, er wurde immer wieder neu überschrieben. Da schimmern verschiedene Zeiten durch. Wir zeigen auf großen Leinwänden Fotografien zu der Situation der Textilarbeiterinnen und -arbeiter aus der Zeit der Fabrik, um diese Geschichte spürbar zu machen.

Also ein Ort der Arbeit.

Genau. Es gibt einen tollen Text von Brecht im "Buch der Wendungen" über Leibesübungen, in dem er darüber spricht, wie die Weber körperlich zugerichtet werden von den Maschinen. Dort stellt er dann die Frage, was wäre, wenn sie nicht nur zum Vergnügen trainieren würden, sondern bei ihren körperlichen Übungen Gewehre hätten. Dann könnten sie sich gegen die Maschinen zur Wehr setzen.

Gewissermaßen also Sport als Mittel zur Revolution?

So weit muss man es natürlich nicht treiben, aber es scheint eben die Frage auf: Wofür trainiert man? Auf welche Zukunft richtet sich das Trainieren?

Brecht war zumindest theoretisch ein Freund des Sports.

Da wird gerne das Boxen herangezogen. Er benutzte das als große Metapher: Das Leben ist wie ein Boxkampf, bei dem du Runde für Runde eins drauf kriegst und am Ende verlierst. Ich möchte einen Raum öffnen und ein Angebot machen, in dem all diese Assoziationen auftauchen können, aber nicht müssen.

Das Programm des Festivals ist wie beim letzten Mal sehr offen, klassische Brecht-Aufführungen sind die Ausnahme.

Wir haben beides. Ich habe Studierende der Kunsthochschulen in Karlsruhe und Frankfurt eingeladen, im Sommer mit und für Menschen vor Ort Kunstprojekte zu entwickeln. Da sind ganz verschiedene Sachen entstanden, eine Gruppe hat ein Festival-Getränk entwickelt, das den Geschmack Oberhausens einzufangen versucht. Andere haben sich auf die Suche nach einer historischen Zeitkapsel und den darin verborgenen Legenden des Viertels gemacht, die präsentiert werden. Es wird eine Modenschau mit Jugendlichen geben und eine chinesische Science-Fiction-Ausstellung, aber auch zwei Inszenierungen von Brecht-Stücken. In Kooperation mit dem Staatstheater Augsburg entsteht die Neuinszenierung von "Mutter Courage und ihre Kinder". Das Theater Hora gastiert mit "Der kaukasische Kreidekreis", einer Koproduktion mit Rimini Protokoll und den Salzburger Festspielen.

Die Schauspielerin Ute Fiedler als Mutter Courage in der Inszenierung von Stefan Leibold am Staatstheater Augsburg.
Die Schauspielerin Ute Fiedler als Mutter Courage in der Inszenierung von Stefan Leibold am Staatstheater Augsburg. © Jan-Pieter Fuhr

Warum fiel die Wahl auf "Mutter Courage"?

Das ist für mich das Stück der Stunde. Es verhandelt das Leben im Ausnahmezustand und die Frage: Was macht das mit der Moral? Gibt es eine Ethik im Krieg? David Ortmann bringt noch eine Drehung mit rein, indem er das Thema Inklusion reinfädelt. Dadurch ergibt sich auch eine Nähe zur Produktion des Theater Hora. Im "Kaukasischen Kreidekreis" geht es um die Frage: Wer darf versorgen? Wer darf Mutter sein?

Zur Halbzeit Ihrer dreijährigen Beschäftigung mit dem Autor: Wie steht es um Ihre Beziehung zu Brecht? Kriselt es schon?

Tatsächlich bin ich im letzten Jahr auf meine Weise zu einem Brechtianer geworden, was ich nie wollte. Mein Zugang sind dabei gar nicht in erster Linie seine Theaterstücke. Ich habe begonnen, in seine Texte zu schauen, wenn Dinge passieren wie zum Beispiel die Sprengung des Kawochka-Staudamms in der Ukraine.

Um herauszufinden, was er dazu wohl sagen würde?

Ja. Dieser Staudamm ist Teil eines großen Stalin'schen Plans, der den Bau vieler solcher Schwester-Staudämmen vorsah. Und tatsächlich finde ich zu einem dieser Dämme ein Gedicht von Brecht! Er feiert diesen Staudamm als Zeichen des Fortschritts und der technologischen Überlegenheit. Brecht nimmt einiges an Widersprüchen in Kauf: Er bejubelt diesen Staudamm als Symbol des Fortschritts und lässt die Gräuel des Stalinismus bewusst unter den Tisch fallen. Ganz im Gegensatz zu Walter Benjamin, der sinngemäß meinte: "Wer Fortschritt sagt, verschleiert die Gewalt."

"Der kaukasische Kreidekreis" des Theaters Hora.
"Der kaukasische Kreidekreis" des Theaters Hora. © Monika Rittershaus

Und nun ist der damalige Fortschritt wieder der Gewalt zum Opfer gefallen.

So komme ich auch zu diesem No-Future-Gedanken. Das 20. Jahrhundert mit all seinen Verwerfungen, Verirrungen und Schrecken ist Brechts Sujet. Und wir erleben gerade, wie alle Grundpfeiler dieses Jahrhunderts einbrechen. Ich habe das Gefühl, wir leben nur noch in den Ruinen der Welt, in der er lebte. Was können wir davon noch mitnehmen? Halten wir die Widersprüche so aus wie er?

Weil wir gerade bei Widersprüchen sind: Sie hatten in den letzten Wochen mit Vorwürfen zu kämpfen, weil Sie 2020 einen Offenen Brief unterzeichneten, der den Bundestag aufforderte, seinen BDS-Beschluss zurückzunehmen. Sie haben sich inzwischen von Ihrer Unterschrift distanziert.

Mir ging es damals darum, dass wir als Künstler erstmal alle ohne Gesinnungsprüfung willkommen heißen. Das ist mir wichtig. Nach dem Documenta-Skandal und den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober bewerte ich diese Unterschrift aber anders und würde sie heute nicht mehr leisten.

Das Augsburger Brechtfestival beginnt am 23. Februar und dauert bis zum 3. März. Infos zum Programm und den Spielstätten unter brechtfestival.at

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