Wellness im Elysium: Glucks Oper "Orfeo ed Euridice" im Staatstheater Augsburg
Mit Jacopo Peris "Euridice" und Claudio Monteverdis "Orfeo" wurde die Oper erfunden. Christoph Willibald Gluck hat diese Gattung in "Orfeo ed Euridice" von dekorativem Beiwerk und Nebenhandlungen befreit, Manfred Stankes längst vergessener "Orpheus" bei der Münchener Biennale von 2002 gilt als erste Internet-Oper.
Es ist also nur konsequent, wenn das Staatstheater Augsburg auf den antiken Mythos zurückgreift, wenn es nun gilt, eine neue Seite der Geschichte aufzuschlagen und (nach eigenen Angaben) erstmals die Oper mit der VR-Brille zusammenzubringen.
Theater mit VR-Brille
André Bückers Inszenierung von Glucks "Orfeo ed Euridice" beginnt mit der unvermeidlichen Gebrauchsanweisung, wie die unter dem Sitz liegende Brille herauszuholen und aufzusetzen sei. Und weil es im weiteren Sinn um das Spannungsfeld von Vergangenheit und Zukunft geht, befinden wir uns in einem Museum, das gerade Meisterwerke von Caravaggio ausstellt.
Während Orfeo den Tod Euridices zwischen Tag und Traum betrauert, betrachten - abgesehen von einem Bilderbuch-Yankee - auch Jesus Christus, Jonathan Meese und Marina Abramoviæ die Gemälde. Dann schickt Amore, der hier dem Punk- und New-Wave-Umfeld zuzurechnen ist, Orfeo in die Unterwelt.
Unterwelt als düstere Großstadt
Nun darf der Zuschauer zum ersten Mal die VR-Brille aufsetzen, in der später auch noch das Elysium und das Happy End erscheinen, gestaltet von der Augsburger Produktionsfirma heimspiel. Bücker macht durch diesen Medienwechsel zwei schwer in Bilder zu bringende Sphären darstellbar, indem er sie in die Welt der Computerspiele versetzt. Die Unterwelt ist eine düstere Großstadt, das Elysium eine antikisierende Wellness-Oase, in der ein weiblicher Koloss von Rhodos das Schwimmbecken aus seiner Scham befüllt.
Zwischendurch befinden wir uns wieder im Museum, das nicht am Mangel seltsamer Besucher leidet. Wenn Euridice zum zweiten Mal stirbt, setzt sie die VR-Brille auf, in der auch Orfeo das bürgerliche Eheglück beim Einrichten einer Wohnung kennenlernen darf. Zuletzt springt die Inszenierung aus der Pinakothek assoziativ über die Antike und das Abendland auch noch auf eine griechische Insel, was zumindest politisch aller Ehren wert ist.
Die VR-Brillen mit ihrem Panoramablick machen eine Menge Spaß
Die beiden Hosenrollen bleiben Frauen, ohne dass die fluide Erotik die Handlung verunklaren würde. Natalya Boeva singt die Titelpartie eher hartstimmig. Jihyun Cecilia Lee überrascht als Euridice mit einer ungewöhnlich klaren und ausdrucksstarken Stimme. Weil sie in der hier gespielten italienischen Erstfassung nicht viel zu singen hat, wurde eine Arie aus der französischen Version hinzugefügt.
Die Augsburger Philharmoniker mühen sich mit Gastmusikern unter Leitung von Wolfgang Katschner redlich um einen historisch informierten Klang. Er kommt wegen einer coronabedingten Übertragung aus dem Orchesterproberaum allerdings leicht blechern und mit zu viel Hall im Saal an.
Weil die Musik auf diese Weise barocker wirkt, stellt sich kaum die Frage, ob Glucks frühromantisches Pathos wirklich zu einer Ironisierung im Stil neueren Händel-Inszenierungen passt. Dass die Museums-Story mit dem Rest unverbunden bleibt, wird von der Bilderflut wettgemacht. Denn die VR-Brillen mit ihrem Panoramablick machen eine Menge Spaß. Ob sich das Verfahren auch für andere Bühnenwerke mit fantastischen Welten eignet, wird sich weisen. Ein Anfang jedenfalls ist gemacht.
Wieder am 1., 14., 20. und 26. November sowie im Dezember in der Ausweichspielstätte Martini-Park, Infos unter www.staatstheater-augsburg.de
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