Urinal der Macht: "Sankt Falstaff" im Residenztheater
Ein König, der sich in seiner Rolle nicht wohl fühlt. Rebellen, die zum Aufstand aufrufen. Destabilisierung, Chaos, ein wütender Mob. William Shakespeares zweiteiliges Königsdrama "King Henry IV" steht zwischen "Richard II" und "Heinrich V" und markiert gewissermaßen eine Übergangsphase zwischen Monarchie und Autokratie. Erstere ist sich ihrer selbst nicht mehr sicher; letztere bahnt sich unaufhaltsam an.
Im Auftrag des Residenztheaters hat Ewald Palmetshofer sich nun des Stoffes angenommen und rückt den Pöbel, den er wortwörtlich aus dem Dunkel auftauchen lässt, ins Zentrum seines Interesses. Allen voran Sir John Falstaff, diesen trinkfreudigen und doch auch hellsichtigen Soldaten, der in den Kneipen mit dem Königsspross Heinrich (V.) herumhängt, während dessen Vater vergeblich versucht, Land und Leute im Griff zu behalten.

"Sankt Falstaff" nennt Palmetshofer sein 169 Seiten langes Stück, geschrieben in Versen, wie von ihm nicht anders gewohnt. Verse, die ihre ganze Wucht, ihren Witz und ihre Derbheit erst entfalten, wenn sie gesprochen werden.
In der Uraufführungs-Inszenierung von Alexander Eisenach arbeitet das durchweg starke Ensemble die Facetten des Textes famos heraus. Wie bei Shakespeare prallen das Derbe und das nur vermeintlich Erhabene hier ungebremst aufeinander. Die wichtigsten und staatsentscheidenden Begegnungen finden am Urinal statt, aus den unteren Körperöffnungen dieser Typen strömt an diesem Abend kaum weniger als aus ihren Mündern. Alle müssen ständig aufs Klo. Klar: irgendwo muss die ganze Scheiße, die sich in ihnen zusammenbraut, ja hin.
Eine Regierung ohne Lösungen
Wir erleben ein Ringen um die Macht "als wär's ein Königsdrama, das jedoch in königsloser Staatsform - selbstverständlich - zutrug sich". Was uns möglicherweise bevorsteht, hier ist es schon Realität. Zurück in die Zukunft. Auf eine Regierung ohne Lösungen, eine "Reagierung", folgte eine "tektonische Plattenverschiebung" in der Gesellschaft, ein "Quasi-König", jener Heinrich IV., hier "Heinz" genannt.
Die Demokratie ist nur noch Fassade, verschwommene Erinnerung ("auch sind wir selbstverständlich Demokraten noch, wenn auch auf unsre Art"). Die Gesellschaft gespalten in das Oben und das Unten, die auch die Pole der Bühne von Daniel Wollenzin bilden: auf der einen Seite der unterirdische "Container-Club" samt Getränke-Kühlschrank und Urinal, auf der anderen das "Haus der Macht", der Herrscherhimmel, auf dessen Boden sich das Deckengemälde des Residenztheaters wiederholt. Mann (und auch Frau) trägt opulente Kostüme, die Claudia Irro irgendwo zwischen Star Trek und Captain Future, Sci-Fi und Retro, Mittelalter und Zukunft ansiedelt.
Da werden nun Intrigen gesponnen, Ämter versprochen und Versprechen gebrochen. Um Inhalte geht es längst nicht mehr, Politik ist zur reinen Show verkommen, ein Mittel zum Zweck. Fast wie im richtigen Leben, der Gedanke schleicht sich nicht nur einmal ein an diesem Abend. Auch, dass dieses Bühnengeschehen, so derb es auch daherkommt, im Vergleich zu einer Realität, in der Verbrecher Präsident werden und ihre Verbrecherkollegen nach Herzenslust begnadigen können, beinahe niedlich harmlos wirkt.
Durch all diese Gefilde taumelt nun also dieser John Falstaff, der trotz kontinuierlichem Alkoholkonsum erstaunlich klar sieht, was hier abgeht. Steven Scharf, der mit dieser Rolle zurückkehrt nach München, spielt ihn mit einer phänomenalen Präsenz. Witzig und schlagkräftig und immer ein wenig melancholisch beobachtet er, lässt sich mitreißen, kommentiert.

Er durchschaut, was abgeht, ist so etwas wie der Narr, der nichts bewirkt, doch alles versteht. Er hat sich durch alle Krisen getrunken, am Horizont sieht er nur einen Abgrund: "Die Faktenlage fuckt mich ziemlich an." Beim Pissen - wo sonst? - hat er den Königsspross Harri aufgegabelt, der seither an ihm hängt wie ein Klammeräffchen.
Johannes Nussbaum spielt ihn in einer Mischung aus Kindlichkeit und aufkommendem Machthunger, schillernd und gefährlich. Einer, der sich und die Welt längst aufgegeben und demnach nichts mehr zu verlieren hat: "Wir leben horizontlos katastrophisch/und alle Erzählungen auserzählt/und alle Projekte Zukunftspläne Utopien/diskreditiert gescheitert abgeblasen." Falstaff fühlt sich für ihn verantwortlich, möglicherweise sieht er in ihm so etwas wie Zukunft, ein Irrtum, natürlich: "Ich hirnverbrannter Hoffnungs-Honk."
Eine Welt, die wieder dämmert
Palmetshofer und Eisenach zeichnen kongenial eine verkommene Männerwelt, in der die Zwischenrufe der Frauen, die Myriam Schröder und Isabell Antonia Höckel kämpferisch geben, ungehört verhallen. Eine Welt, die einmal war. Shakespeares Stück spielt Anfang des 15. Jahrhunderts. Eine Welt, die wir überwunden glaubten, und die doch gerade wieder dämmert.
Das Schlusswort an diesem Abend gehört wiederum John Falstaff. Ein Appell, direkt an uns, die wir uns noch Demokraten nennen. Ihm ist nichts hinzuzufügen: "Was die Regierung Heinz vergiftet und verwandelt hat/im Land/den Körpern/uns/zurückverwandelt werden kann/wir möchten/müssen/glauben dran."
wieder am 26. Januar, 4., 15. und 21. Februar; Karten unter Telefon 089 2185 1940
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