Weltuntergang im Metropoltheater
Die Welt ist bereits aus dem Lot, aber so richtig juckt es keinen. Recht gemütlich sieht es aus, das Wiener Kaffeehaus, das Thomas Bruner auf der Bühne des Metropoltheaters eingerichtet hat. Aber der Boden befindet sich in leichter Schräglage und schräg sind hier auch manche Typen.
Einer (Paul Kaiser) spielt mit sich selbst Schach, ein anderer (Michele Cuciuffo) sitzt betrunken an der Theke, hinter der die Wirtin steht (Mara Widmann). Eine elegante Dame liest Zeitung (Nathalie Schott), eine andere verlässt den Laden per Drehtür (Dascha von Waberer). Und ein Kellner will endlich Feierabend machen. "Sperrstunde is', jo irgendeinmal macht jedes Lokal a bissal zu", singt Gerd Lohmeyer und hat damit ein Lied auf den Lippen, das Jimmy Berg in den Dreißigern ersann und das insbesondere durch die Interpretation von Hans Moser Berühmtheit erlangte.
1935 wurde der jüdische Chansonnier Berg musikalischer Leiter der Wiener Kleinkunstbühne ABC, flüchtete dann 1938 vor den Nazis in die USA. Berger arbeitete eng mit dem Hausdichter des Kabaretts, Jura Soyfer, zusammen. Soyfer wiederum, geboren 1912 im heute ukrainischen Charkiw als Sohn jüdischer Eltern, war als Kommunist bekannt, der sich in seiner Lyrik auch gegen den aufdämmernden Nationalsozialismus wandte. Im Sommer 1938 wurde Soyfer ins KZ Dachau transportiert, dann ins KZ Buchenwald verlagert, wo er am 16. Februar 1939 an Typhus starb.
All das lohnt sich zu wissen, denn mit "Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang" bringt Georg Büttel mit seinem siebenköpfigen Ensemble das erste von fünf Theaterstücken Soyfers auf die Bühne des Metropoltheaters.
Da könnte einen schon Endzeitstimmung überfallen
Demnächst, am 27. Januar, wird bundesweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht, und angesichts des Wiedererstarkens der Rechten, des Klimawandels und der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten kann einen durchaus Endzeitstimmung überfallen. Insofern ist der Zeitpunkt von Büttels Inszenierung gut gewählt.
Soyfers Einakter, 1936 im Kabarett ABC uraufgeführt, wurde bereits nach fünf Wochen wieder abgesetzt. Dabei besteht der bittere Aberwitz dieses Kurzdramas darin, dass die Menschen von einem Kometen erfahren, der auf die Erde zufliegt, sich aber dadurch nicht aus der Ruhe bringen lassen, sondern sich lieber in Verdrängung üben und ihre (Macht-)Interessen weiterverfolgen.
Einen ähnlichen Plot hatte die Netflix-Komödie "Don't Look Up" (2021), mit Leonardo DiCaprio als Wissenschaftler, der an der Ignoranz der Menschheit schier verzweifelt. In Soyfers Stück ist es Professor Guck, der als Einziger den Durchblick hat und versucht, alle anderen zu warnen. Mit einer Maschine könnte er die Katastrophe vielleicht verhindern, aber es hakt an der Finanzierung.
In Büttels Inszenierung spielt Gerd Lohmeyer diesen Guck und man guckt ihm gerne dabei zu, wie er mit Melancholie im Blick seine einsame Mission verfolgt. "Falsch ist falsch und wahr ist wahr, spricht der Narr", singt Lohmeyer (musikalische Leitung: Andreas Lenz von Ungern-Sternberg) und resigniert: "Falsch ist wahr zu guter Letzt: Wer die Wahrheit höher schätzt, wird matt gesetzt!"

Schach spielt man an diesem Abend eben vor allem gegen sich selbst. Zug um Zug entpuppt sich Georg Büttels Inszenierung als kabarettistische Nummernrevue, die getreu dem Original folgt. Dadurch wird Jura Soyfer gewürdigt. Und sein Einakter spricht mitunter direkt ins amüsierwillige Heute. Wenn Hubert Schedlbauer als Weltuntergangsprophet eigentlich nur Werbung für einen Kragenknopf machen will, wird ein kapitalistischer Geist spürbar, der sich nicht verändert hat.
Ob man eine Hitler-Persiflage sehen will?
Und wenn Nathalie Schott und Dascha von Waberer zwei Damen mimen, die sich um den modischen Look für den Untergang sorgen, ist unsere oberflächliche Gegenwart nicht weit weg. Und klar, der Klimawandel, der Rechtsdrall in der Politik werden heute ja ebenfalls gerne (unter)bewusst verdrängt. Ob man aber noch eine Hitler-Persiflage sehen will, wie sie der in jeder Figur sehr präzise spielende Michele Cuciuffo mit Verve hinchargiert, sei dahingestellt.
Sanna Dembowski hat das Ensemble variantenreich mit Kostümen ausstaffiert, aber es sieht nicht nur alles altmodisch aus, sondern der ganze Abend wirkt aus der Zeit gefallen. Wie hier politisch herumgeschachert wird, kommt einem jedoch bekannt vor und man kann seinen Spaß haben, etwa, wenn Paul Kaiser nicht nur als Papagei der schrägste Vogel im Ensemble ist, sondern auch herrlich komisch ein Radio mimen kann, das eigenhändig durch verschiedene Kanäle surft.
Gerahmt wird der apokalyptische Reigen durch ein Stelldichein mehrerer Planeten. Die Sonne spürt, dass die Erde und insbesondere die Menschen die kosmische Harmonie stören und schickt auf Anraten von Mars den Kometen Konrad Richtung Erde los. Mara Widmann, die in jeder Rolle, die sie spielt, eine gewisse Wärme ausstrahlt, ist die Idealbesetzung für die herrscherliche Sonne. Und den Kometen, seine potentielle Schlagkraft kauft man Hubert Schedlbauer sofort ab.
Wird Konrad die Menschheit auslöschen? Am Ende hat man jedenfalls einen musikalisch-satirischen Abend erlebt, dessen Heiterkeit man angestaubt oder nostalgisch schön finden kann - und der das, was eigentlich Panik auslösen müsste, im Gefolge von Soyfer ins Bewusstsein rückt.
Metropoltheater, Floriansmühlstraße 5, wieder am 20., 21., 25., 27. und 29.1., 19.30 Uhr, Tel. 32 19 55 33
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