Saisoneröffnung in Ansbach: Bayern ist nicht nur München

Die Staatsoper beginnt ihre erste Saison unter dem neuen Intendanten Serge Dorny mit einem Open-Air-Konzert in der mittelfränkischen Kleinstadt Ansbach.
Robert Braunmüller
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Trotz düsterer Wolken trocken: Der Karlsplatz in Ansbach mit der klassizistischen Ludwigskirche beim Konzert "Oper für alle" mit dem Bayerischen Staatsorchester.
Trotz düsterer Wolken trocken: Der Karlsplatz in Ansbach mit der klassizistischen Ludwigskirche beim Konzert "Oper für alle" mit dem Bayerischen Staatsorchester. © Wilfried Hösl

Man sollte, aus der Hauptstadt kommend, die Mittelfranken nie unterschätzen. Eine Geste von Piotr Beczala genügte, und schon ersetzten 2 800 Besucher auf dem Karlsplatz den Summ- und Fernchor im Mittelteil von Puccinis Arie "Nessun dorma", während der Tenor noch einmal Atem holt, um mit einem strahlenden "Vinceró!" zu triumphieren.

Die Bayerische Staatsoper eröffnete ihre Saison heuer in Ansbach. Und weil dem Berichterstatter darob allerlei münchnerische Verständnislosigkeit entgegenschlug, hier noch ein kleiner Hinweis, das erste Wort im Namen zu beachten: Die Institution heißt eben nicht Münchner Oper, sondern Bayerische Staatsoper.

Piotr Beczala, Ekaterina Semenchuk und Vladimir Jurowski.
Piotr Beczala, Ekaterina Semenchuk und Vladimir Jurowski. © Wilfried Hösl

Hochsymbolisches "Nationaltheater"

Sie ist übrigens auch in einem hochsymbolischen "Nationaltheater" beheimatet, womit (mindestens) der ganze Freistaat gemeint ist, der sich als Steuerzahler auch an der Finanzierung beteiligt, wenn er die Vorstellungen nicht besucht.

Pandemiebedingt wurden die Karten vorab durch die Stadt verteilt, am Platz selbst herrschte vorsichtshalber Maskenpflicht. Bei Einlass gab es liebenswerte Schönheitsfehler wie die Absperrung des Zugangs durch große orangene Müllwagen, die allerdings für das 800-jährige Stadtjubiläum warben und an die rätselhafte Ermordung von Kaspar Hauser anno 1833 erinnerten.

Den Symbolwert der Verlegung des traditionellen Gratiskonzerts kosteten Serge Dorny und Bernd Sibler bei der Begrüßung des Publikums gebührend aus. Der neue Intendant hob die gemeinschaftsbildende Kraft der Kunst hervor und betonte, sein Haus sein für alle Bürger offen. Bayerns Kunstminister hob vor allem den Signalwert einer Massenveranstaltung am Ende der Pandemie hervor: "Kunst und Kultur sind wieder zurück", so Sibler.

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Danach folgte ein rund 90-minütiges Programm voller Anspielungen auf die kommende Saison an der Bayerischen Staatsoper. Der kurzfristig für Jonas Kaufmann eingesprungene Piotr Beczala bewies nicht zum ersten Mal, dass ihm Wagners strahlender "Lohengrin" so wenig fremd ist wie die gebrochenen Helden des italienischen Verismo. Ihm ist kein Stil fremd, alles beherrscht er mit Geschmack und Perfektion.

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Große Gesten für den traditionellen Operngeschmack

Die russische Mezzosopranistin Ekaterina Semenchuk bediente mit großen Gesten mehr den traditionellen Operngeschmack. Aber sie ist - dank ihrer guten Tiefe und eines enormen Stimmumfangs nicht nur eine exzellente Eboli ("Don Carlos"), eine gute Carmen und eine exzellente Principessa in Francesco Cileas "Adriana Lecouvreur". Als Zugaben sangen beide Solisten vor "Nessun dorma" Ausschnitte aus Mascagnis "Cavalleria rusticana". Dies und Cilea warf die Frage auf: Sind Dorny und Jurowski gar Aficinados des italienischen Verismo?

Der rechteckige, mit niedrigen Gebäuden des 18. Jahrhunderts und einer klassizistischen Kirche umstandene Platz war akustisch sehr freundlich zum Bayerischen Staatsorchester und seinem neuen Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski. Die Verstärkung klang erheblich besser als am Münchner Marstall- oder Max-Joseph-Platz, der Dirigent machte an einigen speziellen Stellen wie dem rhythmisch vertrackten Zitat des "Va pensiero"-Chor in der Ouvertüre zu "Nabucco" deutlich, dass ihm Details so wichtig sind wie seinem Vorgänger.

Mit Masken: Das Publikum beim Konzert auf dem Karlsplatz in Ansbach.
Mit Masken: Das Publikum beim Konzert auf dem Karlsplatz in Ansbach. © Wilfried Hösl

Benjamin Brittens Suite aus Rossinis "Soirées musicales" und die als finaler Höhepunkt gespielte Suite für Varietéorchester von Dmitri Schostakowtisch mit dem "Walzer Nr. 2" stellten die Stärken der Musiker heraus. Ein Klangkörper mit dem Selbstbewusstsein und der Tradition des Bayerischen Staatsorchesters hätte es sich aber auch den Luxus leisten dürfen, das Streichsextett aus "Capriccio" von Richard Strauss ohne dirigierenden Generalmusikdirektor zu spielen.

Obwohl die Moderatorin des BR-Fernsehens betonte, aus Mittelfranken zu stammen, ließ sie sich einige mögliche Pointen entgehen. In Ansbach gibt es immerhin eine zu "Lohengrin" passende Schwanenritterkapelle, und die zum Personal der Oper "Capriccio" zählende Schauspielerin Claire Clairon war fast zwei Jahrzehnte die Mätresse des letzten Markgrafen. Und es deklassiert Piotr Beczala auf wenig höfliche Weise, wenn man darauf herumreitet, wo er überall schon eingesprungen ist.

1.000 Ausreden zählen nicht mehr

Immerhin, der BR hat dieses Konzert im Fernsehen live übertragen. Und weil auf dem Podium mehr als einmal betont wurde, dass es sich um eine Premiere handle, können wir dem Sender den Hinweis nicht ersparen, dass er mit dem Münchner Rundfunkorchester, dem Chor des BR und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks drei gebührenfinanzierte Klangkörper unterhält.

Von ihnen kann man im Interesse ihrer Zukunft allein aus taktischen Gründen erwarten, dass sie einmal im Jahr ein Gratis-Konzert außerhalb Münchens geben. Und die 1.000 vorgebrachten Ausreden, wieso dies partout unmöglich sei, zählen nach dem Ansbacher Konzert nicht mehr. Wer bei jeder Gelegenheit seine Weltklasse betont, kann - wie die Staatsoper - für ein solches Konzert auch Sponsoren gewinnen.

Alles spricht dafür, dass die Staatsoper aus der Saison-Eröffnung außerhalb Münchens eine feste Tradition erklärt. Bevor "Oper für alle" in Straubing, vor dem Passauer Dom oder in Memmingen gastiert, ist erst mal das BR-Symphonieorchester dran, das von Bayerns Bürgern ein Konzerthaus in der Hauptstadt geschenkt haben möchte. Solche Termine sind übrigens Chefsache, und es wird Simon Rattle sicher nicht schaden, wenn er Bayern baldmöglichst in seiner ganzen Schönheit kennenlernt.


Das Konzert ist als Video-on-demand noch bis zum 26. September auf staatsoper.tv zu sehen.

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