"Miranda Julys Der erste fiese Typ" in der Kammer 1

Sie schlugen und sie liebten sich: Christopher Rüpings Inszenierung hat Miranda Julys Roman „Der erste fiese Typ“ in den Kammerspielen nicht viel hinzuzufügen
von  Anja Perkuhn
Maja Beckmann und Anna Drexler in "Der erste fiese Typ"
Maja Beckmann und Anna Drexler in "Der erste fiese Typ" © David Baltzer/Kammerspiele

MÜNCHEN - "Die schrecken wirklich vor nichts zurück“, japst eine Zuschauerin mit Goldohrringen und Dauerwelle. In dem Augenblick, als der Schlussapplaus beginnt, scheucht sie die halbe sechste Reihe auf, um aus dem Saal zu stürmen.

Sie lassen in den Kammerspielen wirklich nicht viel aus bei Miranda Julys „Der erste fiese Typ“ – eigentlich fehlt nur die gute alte Nacktheit. Die Zuschauerin entsetzten vier Flaschen herumspritzendes Kunstblut bei einer Geburtsszene auf der Bühne. Die war vorher schon klebrig vom Inhalt ungezählter Bierdosen. Babypuder kommt auch noch zur Mischung dazu.

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Es gibt Masturbationsbewegungen, lesbische Küsse, einen „Titten, Titten, Titten, Titten“-Monolog, herumfliegendes Essen, laute Musik, Videoleinwände, flackerndes Licht, ein paar kleinere Handgreiflichkeiten. Alles das also, was schon in der Steinzeit der Avantgarde dem braven Bürger den Hut vom Kopf pustete.

„Es werden in dieser Szene Pornografie und Gewalt gezeigt“, warnen ins Publikum flatternde Handzettel auf englisch, „außerdem ist die Musik zu laut.“ Die U40er johlen, die Frau mit den Goldohrringen hält sich die Ohren zu. Ihr Begleiter schnarcht – nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal an diesem Abend.

Erfüllung in der Mutterschaft

Regisseur Christopher Rüping intoniert „Der erste fiese Typ“ als extrem verdichtete Sitcom-Serie. In ihrem Inhalt bleibt sie nah am Roman von Miranda July, aus dem sie geboren wurde – einer Geschichte, die alles andere als jung ist.

Es geht um Cheryl (wunderbar uneitel: Maja Beckmann), eine 43 Jahre alte Singlefrau mit extrem organisiertem Haushalt. Das einzig Straffe an Cheryl ist der Kloß in ihrem Hals. Der quält sie psychosomatisch, wenn sie wieder einmal besonders rückgratlos durchs Leben geht. Was im Grunde immer der Fall ist. Sie ist verliebt in ihren viel älteren Vorgesetzten, wartet aber einfach ab, ob da nicht vielleicht von selbst etwas geschieht.

Dann stolpert – so weit, so vertraut – ein Mensch in ihr Leben, der das ziemliche Gegenteil von ihr selbst ist. Und schubst sie aus ihrer Lethargie: Clee (grandios energetisch: Anna Drexler) – die Tochter ihrer Chefin, mehr als 20 Jahre jünger als Cheryl, ungehobelt, strukturlos und mit Schweißfüßen.

Sie stellt das System in Frage, in dem Cheryl sich eingerichtet hat, beginnend bei der zugeknöpften Idee, ein benutzter Teller müsse sofort abgewaschen werden. Denn wer seinen Abwasch sich auftürmen lasse, fühle sich bald wie ein Obdachloser, gehe nicht mehr duschen, verwahrlose immer mehr – bis er am Ende schließlich „in Flaschen pinkelt“.

Energetische Schauspielerinnen

Cheryls Neurosen sind unterhaltsam, aber vor allem unangenehm zu beobachten. Deshalb ist es eine Erleichterung, als die Zweier-Konstellation eskaliert: Bauchüber liegt sie in Sushi-Reisresten, das ihr angebeteter Chef serviert hat. Der bat sie als Feministin um ihren Segen, Sex mit einer 16-Jährigen haben zu dürfen.

Clee zerbröselt den dazugehörigen Glückskeks und verpasst ihr schließlich einen Klaps auf den Hintern. Sie kollidieren noch mehrmals und ringen irgendwann einmal so lange wütend miteinander, bis sie beide der Ansicht sind, es sollte ein Kuss daraus werden – und schließlich eine lesbische Beziehung.

Ein lauter, bunter Abend

Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte will Miranda July dem Leser verkaufen. Letztlich ist es aber eine merkwürdige Hymne auf die Mutterschaft. Da finden zwei unmögliche Leben zusammen, weil die Homosexualität der letzte Ausweg ist für eine graugesichtige Mittvierzigerin und eine planlose Frau mit Anfang Zwanzig. Als Clee ungewollt schwanger wird, beschließen sie zwar, dass das Kind sie zusammenhalten kann – aber eigentlich ist der kleine Jack nur die Einsicht für Cheryl, dass ihr Leben ja doch einen Sinn hat.

Die Kammerspiele haben lange mit July gerungen, den Roman der US-Autorin theaterisieren zu dürfen – als weltweit erste Adaption. Die beiden Schauspielerinnen machen es großartig, auch Sängerin Brandy Butler zieht immer wieder die Spannung nach oben.

Dem Roman fügt die Inszenierung nicht viel hinzu. Aber auch etwas Sushi-Reis im Haar nach einem lauten, bunten Abend ist ja schon mehr, als viele Menschen erleben, die nicht ins Theater gehen.

Wieder am 6., 18. und 31. Mai in der Kammer 1. Karten online und unter Telefon 233 966 00

 

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