Kammerspiele: Morgenröte der Frauenbewegung
München leuchtete schon, bevor Thomas Mann das 1902 mit der Ironie, für die er berühmt war, aufschrieb.
Die Schriftstellerin Karoline Brachvogel erklärte nicht minder ironiegesättigt, man könne Ludwig I. nicht dankbar genug dafür sein, "dass er aus der dörflichen Kleinresidenz eine Stadt schuf, die sich schnell den Namen Isar-Athen errang".
Max Halbe entdeckte, als er Anfang der 1890er-Jahre nach München kam, "Mannigfaltigkeit, Farbigkeit, Sinnenfreude und nicht zuletzt Komik, wo das Auge verweilte".
Spot richtet sich auf Waschfrauen oder Trambahnschienenputzerinnen
Solche literarischen Funde stellt Jessica Glause an den Anfang ihres neuen Projekts "Bayerische Suffragetten" in den Kammerspielen, und es überrascht nicht, dass der Ton sich schnell ändert. Der Fokus wendet sich ab von den wohlhabenden Bohémiens und den gut situierten Bürgern zu jenen, die Kultur und Sinnenfreuden erst ermöglichen: Die Waschfrauen, beispielsweise, oder die Trambahnschienenputzerinnen.
Sie sind zweifache Opfer, denn sie sind nicht nur arm, sondern sie sind auch Frauen, die auch dann praktisch rechtlos wären, wenn sie zu den Damen der Gesellschaft gehörten. Glause spannt einen Bogen von 1886, als Anita Augspurg und Sophia Goudstikker ihr Fotostudio Elvira eröffneten, bis zum ersten bayerischen Frauentag 1899, der gleichfalls von Anita Augspurg initiiert wurde.
Vom Atelier Elvira ist nichts mehr übrig
Von den Reden, die damals gehalten wurden, sind nur noch die beiden Ansprachen von Männern erhalten. Nichts mehr übrig ist auch vom Atelier Elvira, in dem sich Münchens obere Tausend ablichten ließen - besonders gerne Frauen, die sich ganz und gar unschicklich in männlichen Posen zeigten. Das Haus in der Von-der-Tann-Straße galt als Jugendstil-Juwel, überstand aber den Zweiten Weltkrieg nicht. Schon vorher hatten die Nationalsozialisten das Relief abschlagen lassen, das einen Drachen zeigt und der zum Markenzeichen der frühen Frauenbewegung wurde.
Müssen wir nicht so entschieden auftreten wie die Suffragetten in Großbritannien?
Bühnenbildnerin Jil Bertermann liefert das mythische Tier als Bausatz, den die zehn Schauspielerinnen und der Schauspieler im Verlauf des zweistündigen Abends zu einer begehbaren Skulptur montieren. Das ist die einzige Referenz an die Ästhetik der vorvorigen Jahrhundertwende. Kostümbildnerin Aleksandra Pavlovic unterzog graue Trikots mit grellen Farben einer Tropftechnik im Stil von Jackson Pollock. So bunt ist auch die Truppe mit Weißen, Schwarzen, einer Schauspielerin mit Down-Syndrom oder einer an Muskelatrophie erkrankten Darstellerin im Rollstuhl.
Der Plan, radikal einer Zukunft zugewandt zu sein, in der Frauenrechte ganz selbstverständliche Menschenrechte sind, ist erkennbar. Dann und wann wird auch sichtbar, was, abgesehen von den Männern in einer Männerwelt, den Weg so schwer machte: Müssen wir nicht so entschieden auftreten wie die Suffragetten in Großbritannien, die sich auch mal auf den Straßen mit Polizisten prügeln? Oder "ist nicht der Feind der Selbstbestimmung die bürgerliche Frau selbst", die dann doch ein "abhängiges Dasein mit einem Versorger vorzieht"?
Fakten, Fakten, Fakten prägen die Inszenierung
An dieser Debatte zerbricht die Beziehung zwischen Anita Augspurg und Sophia Goud-stikker, was wenigstens Spuren von Drama in die Stückentwicklung bringt. Aber Jessica Glauses Dokumentartheater ist mehr in der Volkshochschule zu Hause als im Schauspielhaus. Wie die Kammerspiele erklären, sind die "Bayerischen Suffragetten" Auftakt eines Forschungsprojekts über München als ein Zentrum der Frauenbewegung, und Fakten, Fakten, Fakten prägen die Inszenierung, wenn nicht gerade zu wummerndem Bass gesungen wird.
Glauses Verdienst ist aber zweifellos, die vielen losen Enden, die zu diesem Thema in den Bibliotheken und Archiven schlummern, endlich angemessen zusammen zu bringen.
Münchner Kammerspiele, heute, 19.30 Uhr, 8., 13., 20., 22. Juli, 20 Uhr, Telefon 233 966 00
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