Kammerspiele: Mia san mia ist eine Farce
Zwei Tage vor Beginn des 189. Oktoberfests eröffneten die Münchner Kammerspiele die neue Spielzeit mit einem etwas anderen Blick auf die Wiesn. Die Perspektive, aus der der chilenische Regisseur Marco Layera auf das größte Volksfest der Welt schaut, ist buchstäblich aus einer anderen Welt.

Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft geht eine Gruppe von Oberbayern ins Exil, um ihre Traditionen zu retten. Auf der Erde hat woker Zeitgeist den Verzehr von Leberkäs und Brathendln verboten, denn Fleischkonsum bedeutet Mord an Tieren. Ebenso geht Bier nicht mehr, denn das Getränk führt nur zu Uringestank und Gewalt. Die Bayern flüchten ins All, um auf einem weit entfernten Wanderplaneten eine Kolonie zu errichten. So etwas wie wandernde Planeten hat die Wissenschaft tatsächlich vor einigen Jahren entdeckt.
Gespensterplanet von Bayern besiedelt
Ohne an eine Sonne gebunden durchrasen sie die unendlichen Weiten des Weltalls. Unter Astronomen spricht man auch von "Gespensterplaneten". Entsprechend gruselig geht es auf diesem Gestirn zu. In ihrem ewig dunklen Dasein haben sie sich zu zombiehaften Wesen in Dirndl und Hirschlederner entwickelt. Manchmal schauen Touristen vorbei, um die exotischen Bräuche zu bestaunen. Aus der spanischsprachigen Welt kommt ein Pärchen (Carolina de la Maza und Pedro Muñoz, die auch für die Choreografien zuständg sind) vorbei, denn die junge Frau hatte eine bayerische Großmutter, deren ausgewanderte Kultur sie kennenlernen will.

Überdies schwebt himmelfahrtsmäßig ein Gutachter (Frangiskos Kakoulakis) ein, um im Auftrag irgendeiner intergalaktischen Verwaltung zu ermitteln, ob man diese ulkigen Erdlinge nicht vertreiben könnte, um den Planeten als Müllhalde zu nutzen. Über die Art dieser kosmischen Regierung schweigt sich das Stück aus und doch hat sich der Text an dieser Stelle nach etwa 30 Minuten schon vollständig erklärt.
Dünner Plot und plumpes Bayern-Bashing
Bis am Ende doch noch eine gleißende Sonne aufgeht, erfährt man zwar von rustikal inzestuöser Familienplanung und man stärkt sich kannibalistisch, man tanzt in roboterhaft eckigen Moves um einen giftig grünen Maibaum und trinkt sich mit Theaternebel in Maßkrügen kotzend und rülpsend unter die Biergartengarnitur, aber das führt zu nichts. Der Plot hängt frühzeitig durch wie eine ausgezutzelte Weißwurschthaut.
Währenddessen ist Gelegenheit, vom hoch intelligenten Bayern-Bashing früherer Zeiten zu träumen. Etwa an die absurde bis verzweifelte Aggressivität der Filme und Schauspiele von Herbert Achternbusch. Oder an die Fernsehsketche von Gerhard Polt oder seine Kammerspiel-Auftritte mit den Well-Brüdern, die mit stupendem satirischem Handwerk jede volkstümliche Griabigkeit mit deren eigenen Mitteln unterlaufen können.

Der an Text und Inszenierung beteiligte Dramaturg Martin Valdés-Stauber hätte es eigentlich besser wissen können, denn er ist auch Koautor der Fastenpredigten von Maxi Schafroth auf dem Nockherberg. Natürlich lässt sich ahnen, dass "Mia san mia", das in seinem Titel den trotzig-selbstbewussten Schlachtruf des FC Bayern München zitiert (und der ursprünglich aus Österreich kommt), eine durchaus polemische Kritik am globalen Kolonialismus Europas und seinen ganze Zivilisationen auslöschenden Folgen ist.
Aber diese "bayerische Space Odyssey" mit Elementen von Tanzperformance bleibt dramaturgisch auf unsicheren Beinen wie ein Wiesn-Besucher nach fünf Litern Festbier.
Zumindest aber ist sie visuell reizvoll. Den fast leeren Raum möblierte das Ausstatterduo Jana Findeklee und Joki Tewes mit großen Steinen, die hin und her zu tragen das Tagwerk der Kolonisten ist. Die Finsternis einer Welt ohne Sonne illuminiert Lichtdesigner Christian Schweig grandios.
Schauspielerinnen und Schauspieler verleihen Glanz
Nicht zuletzt sind es die Schauspielerinnen und Schauspieler, die dem etwas verhuschten Saisonstart im Schauspielhaus Glanz verleihen: Bernardo Arias Porras und Elias Krischke als von lichtlosem Dunkel und fleischloser Ernährung schwermütig gewordenes Brüderpaar, der wie so oft beeindruckende Walter Hess als greiser Stammvater einer untoten Sippe und die zuverlässig anbetungswürdige Wiebke Puls als empathiefrei zickiges Muttermonster.
Kammerspiele, nächste Vorstellungen heute, 25., 28. September, 8., 12., 17. Oktober, 20 Uhr, Karten Telefon 233 966 00