Interview

Improtheater Fastfood wird 30: "Naivität als Treiber der Kunst"

Das Fastfood Improvisationstheater feiert jetzt seinen 30. Geburtstag im Münchner Schlachthof.
Thomas Becker |
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Humor ist, wenn man einfach immer weiter macht: Karin Krug und Andreas Wolf.
Humor ist, wenn man einfach immer weiter macht: Karin Krug und Andreas Wolf. © Frommel Fotodesign

München - Vor 30 Jahren hatte das damals zehnköpfige Fastfood Improvisationstheater in der LMU Premiere. Heute spielen sie immer noch, jeden Montag und dies seit vielen Jahren im Wirtshaus im Schlachthof. 

Mit "Rendezvous" feiern sie jetzt dort an diesem Samstag (2. April) die Schönheit des Moments, dem sie als Ensemble seit drei Jahrzehnten verpflichtet sind. Ein Gespräch mit den Gründungsmitgliedern Karin Krug und Andreas Wolf.

AZ: Frau Krug, Herr Wolf, seit ewigen Zeiten kreieren Sie auf Zuruf maximal spontan eine Theaterszene. Was war in all den Jahren der gemeinste, schwierigste, hinterfotzigste Zuruf?
ANDREAS WOLF: Manche Zuschauer kommen mit Fachbegriffen, um uns in Schwierigkeiten zu bringen. Entweder fragen wir dann zurück ‚Was ist das denn?' Oder wir nehmen es hin und interpretieren es als das, was wir denken, dass es ist. Insofern kann man uns mit so was nicht in Verlegenheit bringen. Für uns ist wichtig, dass wir im Fluss mit den Dingen sind.
KARIN KRUG: Neulich haben wir bei unserer Show im Schlachthof Filmtrailer erfunden und das Zettelspiel gespielt: Wir fragen die Zuschauer nach einem Satz, den schreiben die auf, falten den Zettel, legen ihn auf die Bühne. Ein Satz hieß dann: "Mein Film heißt: Ambiguitätstoleranz ist ein schönes Wort." Fand ich sehr herausfordernd. Ich hätte einen Dokumentarfilm daraus gemacht, der Kollege dagegen einen deutschen Spielfilm mit DDR-Charme.

Karin Krug: "Wir sind auf der Bühne immer unvoreingenommen"

Es ist alles spontan, aber es heißt immer auch: Wir sind auf alles vorbereitet!
WOLF: Wir sind darauf vorbereitet, dass uns das Unvorbereitete trifft.

Entstanden ist die Truppe an der LMU. Erzählen Sie doch mal!
WOLF: Christopher Balme, heute Direktor des Instituts der Theaterwissenschaft, hat uns 15 Leute damals mehr oder weniger auf die Bühne gescheucht, am Ende eines Kolloquiums. Ich hatte die Sekretärin des Instituts, die Frau Brinkmann, gefragt, ob sie nicht kommen wolle. Was wir da machen, wollte sie wissen. Ich meinte: Theater auf Zuruf, quasi wie eine Bestellung, ich rufe was rein, und das bekomme ich dann. Darauf sie: "Das ist ja wie Fastfood-Theater!' Es hat schon immer einen abwertenden Charakter gehabt. Dadurch dass wir gesagt haben "Wir inszenieren nicht, wir brauchen kein Bühnenbild, wir brauchen im Grunde kein Stadttheater", waren wir in der Theaterwelt abgeschrieben. Auch für die Kulturredakteure: "Was sollen wir denn schreiben, wenn jedes Mal was anderes passiert?"
KRUG: Die Hochkultur konnte mit uns nie was anfangen: zu verrückt, zu kindlich. Dabei ist Impro-Theater etwas total Lebendiges. Wir haben die Naivität als Treiber der Kunst genutzt. Wir sind auf der Bühne immer unvoreingenommen, waren nicht besserwisserisch und sind es auch heute noch nicht. Dieses Kooperative war ja vor 30 Jahren noch überhaupt nicht hip. Den hierarchischen Charakter an den Schauspielschulen habe ich sofort gerochen und gemerkt: Das ist nicht meins! Ich will den Moment sichtbar machen, Vermittlerin sein.

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Wie haben Sie sich das kindlich Naive über all die Jahre bewahrt?
WOLF: Interessant ist ja die Frage des Anspruchs. Mit der Zeit kam auch in unserem Ensemble der Anspruch auf: Ich möchte als Person schauspielerisch nochmal mehr in die Tiefe einer Figur gehen, was improvisatorisch nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Diese Qualität haben dann auch viele aus dem Ensemble woanders gesucht.
KRUG: Ich habe eine Schauspielausbildung gemacht. Du musst ja selber divers bleiben, aber mir war klar: Ich brauche die volle Technik der Schauspielerei. Andere sind mehr ins Schreiben oder die Musik gegangen. Was uns so fit gehalten hat, war die Diversität - und die Dramen, die im Gruppenprozess liegen.

Andreas Wolf: "Zeitweise sind wir schon durch die Hölle gegangen"

Wir groß war die Gruppe am Anfang?
WOLF: Acht bis zehn Leute. Manche hatten einfach nicht die Präsenz, die es auf der Bühne braucht, was schmerzhafte Trennungen nach sich zog. Zwei Jahre später waren wir nur noch zu viert. Zeitweise sind wir schon durch die Hölle gegangen, haben mit dem Fastfood-Haus ein Impro-Theater eröffnet, was dann aber nicht lange geklappt hat.
KRUG: Dieses Scheitern: Ich kann's nur jedem empfehlen. Es hält einen halt jung, wenn man diese Lust am Scheitern nicht nur auch auf der Bühne erlebt, sondern eben auch im echten Leben. Das Leben wurde jedenfalls nie weniger spannend. Vor der Pandemie waren wir dann so weit, dass wir sagen konnten: Jetzt haben wir's gefunden, jetzt sind wir stabil! Dann kam Corona, was mich emotional ganz schön gebeutelt hat, aber wir sind dann online gegangen und haben da was ganz Eigenes gefunden: die Präsenz. Ich hatte Shows mit einem Zuschauer: eins meiner größten performativen Erlebnisse! Wir hatten aber auch mal 300 Online-Zuschauer.
WOLF: Zuerst hatten wir nur einen Laptop, mittlerweile hängen Theaterscheinwerfer und ein Theatervorhang im Büro, wir haben richtig gute Kameras und Mikrofone, sogar einen kleinen Schnittplatz. Im Kleinen Theater in Haar streamen wir jetzt auch. Interagieren geht online sogar besser: Während wir spielen, sehen wir den Chat auf einem großen Monitor - wir brauchen gar keine Fragen mehr zu stellen, und sind doch noch näher dran.

Wolf: "Dieses gemeinsame Entdecken ist ein Wert an sich"

Wie groß ist die Truppe jetzt?
KRUG: Online sind wir weniger, da müssen Andreas und ich die anderen erst noch nachtrainieren. Auf der Bühne gönnen wir uns zum Jubiläumsprogramm acht Schauspieler und vier Musiker.
WOLF: Die Improvisationstechnik, wie wir sie verstehen und spielen, ist eine Aussage an sich auf der Bühne: kooperativ zu spielen, zu hundert Prozent zu akzeptieren, was der Partner da macht. Dahinter steht ja auch eine Lebensauffassung, ein humanistisches Menschenbild, das darauf zuläuft, mit den Zuschauern gemeinsam etwas zu kreieren. Und das spüren die Zuschauer, ohne zu wissen, warum sie es eigentlich mögen. Dieses gemeinsame Entdecken ist ein Wert an sich.
KRUG: Es ist ein gemeinsames Urheben, und das kann tiefsinnig sein. Wir kommen aus der Theaterwissenschaft, lieben es, präzise Aussagen zu treffen, sehen uns als Künstler, aber ich mag das entwickeln, was in dem Moment echt Relevanz hat.

Wirtshaus im Schlachthof, am heutigen Samstag (2. April, 20 Uhr) - Einlass 18 Uhr, www.im-schlachthof.de

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