Holt schon mal das Popcorn!
Dass der Dirigent bei Wagner und Strauss einer der Besten ist, gestehen selbst Skeptiker zu. Christian Thielemann ist auch dafür berüchtigt, von Orchestern erst herzlichst umarmt zu werden und nach einigen Jahren im Unfrieden zu scheiden - wobei dann selbst seine internen Gegner begeistert bei den letzten Konzerten mitspielen, weil die Konflikte mit Musik im engeren Sinn wenig zu tun haben.
Nun wird Thielemann Nachfolger von Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper unter den Linden, wie Berlins Kultursenator Joe Chialo gestern bekannt gab. Zuletzt übernahm Thielemann dort für seinen erkrankten Vorgänger den "Ring des Nibelungen". Dann ging er mit der Staatskapelle auf Tournee, die sich daraufhin bei einem internen Votum - wie Insider wissen wollen - mit 80-prozentiger Mehrheit für Thielemann als Barenboim-Nachfolger aussprach.
Bis Ende der Saison ist Thielemann noch Chef der Staatskapelle Dresden. Dort begrüßte man ihn 2012 so enthusiastisch wie jetzt in Berlin, nachdem er sich mit den Münchner Philharmonikern zerstritten hatte. Dem in Orchesterehen üblichen Honigmond folgten bald Rosenkriege: Thielemanns Ansichten über die Leitung der Semperoper und ihre künstlerische Ausrichtung ließen sich nicht mit jenen des designierten Intendanten Serge Dorny in Übereinstimmung bringen. Der blieb in Lyon, gewann vor dem Arbeitsgericht und leitet heute die Bayerische Staatsoper.
Zwischenzeitlich kamen dem Dirigenten die Osterfestspiele in Salzburg und das eigens für ihn geschaffene Amt des Musikdirektors abhanden. Zuletzt schien Thielemann in Dresden lustlos. Er dirigierte eher selten und beschränkte sich auf sein Kernrepertoire. Das war selbst der konservativen Staatskapelle zu altmodisch, weshalb das sächsische Kunstministerium den Vertrag zum Herbst 2024 auslaufen lässt, um eine Neuorientierung einzuläuten.
Künstlerische Gründe hat das, wie gesagt, nicht. Aber allzumenschliche: Thielemann gilt als schwierig. Der auf Wunsch Thielemanns engagierte Intendant der Münchner Philharmoniker verließ nach einiger Zeit den Gasteig, wenn der Chefdirigent das städtische Kulturzentrum betrat und wurde dann bald für viel Geld ausbezahlt. Thielemann mag auch keine Konkurrenz. Er reserviert Hauptwerke und Komponisten für sich, was das Engagement von Gastdirigenten erschwert. Auch wenn offiziell darüber geschwiegen wird, scheinen die vielen guten Ratschläge des Musikdirektors, wie "Parsifal" zu dirigieren sei, dazu geführt zu haben, dass Andris Nelsons 2016 fluchtartig den Grünen Hügel von Bayreuth verließ.
Das neue Berliner Amt mag den Frust heilen, dass die Philharmoniker nicht Thielemann, sondern Kirill Petrenko zum Nachfolger von Simon Rattle wählten. Die Staatskapelle Berlin dürfte sich von ihrem neuen Chef ein gepflegtes "Weiter so!" erwarten: Das Repertoire und die Klangvorstellung von Thielemann und Barenboim ähneln sich. Leider ist es eher ein schlechtes Zeichen, wenn Orchester sich nicht weiterentwickeln wollen. Und für Öffnung, Innovation und Kommunikation steht der Dirigent auch nicht gerade.
Optimisten hoffen, dass Thielemann aus früheren Fehlern gelernt hat. Davon ist, wenn man Interviews mit dem Dirigenten liest, eher nicht auszugehen: Schuld sind immer die anderen. Thielemann wäre auch ohne Chefposition nicht verhungert: 2024 dirigiert er das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, die ihn auch sonst als Gast schätzen. Aufführungen wie die Fünfte von Bruckner mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im vergangenen Sommer sind sensationell. Nur von allem Organisatorischen jenseits der Musik sollte man ihn besser fernhalten.
Thielemann selbst sagte bei seiner Vorstellung, er sei „nicht mehr im Kampfmodus, sondern im Zusammenarbeitsmodus“. Er höre immer gern zu, erst miteinander erwachse eine gemeinsame Leistung. „Ich werde mit zunehmendem Alter immer toleranter und neugieriger.“ Aber Ähnliches hat er schon öfter erzählt.
Man könnte nun auch noch darüber nachdenken, dass dieses Engagement eine typische provinzielle Berliner Besserwisserei ist, die auf auswärtige Erfahrungen partout nicht hören will. Und das ist schon deshalb erstaunlich, weil Thielemann bereits die Deutsche Oper Berlin im Unfrieden verlassen hat. Aber das lassen wir lieber mal und wünschen der Berliner Staatsoper und ihrer designierten Intendantin Elisabeth Sobotka viel Spaß bei den ersten Konflikten mit dem streitlustigen Christian Thielemann. Wir holen schon mal das Popcorn.