Dieter Nuhr im Circus Krone in München: Opa erzählt von den Siebzigern
Seine erste Liveshow erlebte er als Elfjähriger. Begleitet von seiner Mutter besuchte er in Düsseldorf ein Konzert der britischen Glamrockband Sweet. Auf einer Videoeinspielung konnte man eine leicht bekleidete Dame sehen, die rhythmisch an einer Banane lutschte. Als ihm später die Biologie-Lehrerin erklärte, warum sich seine Mutter darüber so aufgeregt hat, glaubte er nicht, was er über das geheime Leben der Erwachsenen erfuhr.
Zur Entschuldigung für seine Unschuld erinnert Dieter Nuhr daran, dass er damals Pornos nicht kannte, weil es noch keine Smartphones gab. Bis heute verzichte er grundsätzlich bei seinen Auftritten auf Videoleinwände. Das trifft auch auf sein aktuelles Solo "Nuhr auf Tour" zu, mit dem er im Circus Krone an zwei ausverkauften Abenden gastierte.
Dieter Nuhr im Circus Krone: Viel von früher
Schwänke aus der Jugendzeit wie der vom Sweet-Konzert vor gut 50 Jahren gehören dazu. "Früher" ist ein Adverb, mit dem der 62-Jährige seine Sätze heute häufiger beginnt als früher.
Als er noch jung war, galten Schwimmbäder noch nicht als soziale Brennpunkte, sondern waren Schauplätze übermütig pubertärer Paarungsrituale. Oder man konnte sich noch von den humorlosen, bornierten und spießigen Eltern abgrenzen. Heute sei es die Jugend, die humorlos, borniert und spießig sei.
Gegen die "Letzte Generation" und Bürgergeld-Empfänger
Es ist nicht so, dass man dem Rheinländer nicht häufig zustimmen müsste, aber mit dem Alter wird seine Sicht auf die Welt immer unschärfer. Da kommt es zu stammtischkompatiblen Sprüchen wie "Was passiert eigentlich, wenn die Erste der Letzten Generation schwanger wird?".
Wenn es um den Sozialstaat geht, übermannt ihn protestantisches Arbeitsethos. Empfänger des Bürgergelds verdächtigt er, nur Halbtagsjobs als Schnapstester zu suchen und bricht damit das Prinzip des Kabaretts, sich über Schwache nicht lustig zu machen.
Zu Minderheitsrechten bekennt er sich, um die Positionierung sofort wieder zu unterlaufen: "Es gibt noch immer die Mehrheit". Dann hört er sich oft an wie Opa, der nie verstanden hat, warum der Krieg verloren wurde. So wundert sich Dieter Nuhr darüber, dass ihn sowohl Teile des Publikums als auch manche seiner Mitbewerber auf dem Satiremarkt wie Jan Böhmermann in der rechten Ecke abgestellt haben.
Beleidigt in der rechten Ecke abgestellt
Beleidigt und wider alles besseres Wissen behauptet er, man dürfe keine Witze mehr machen. Statt dessen kündigt er einen Lyrikabend an. Natürlich haben seine kurzen Zitate aus herbsttrüben Gedichten von Rilke, Celan und Kästner keine Chance gegen Nuhrs komische Energie.
Ihn zu einem AfD-Sympathisanten zu machen, wie das im Netz versucht wird, ist natürlich fahrlässiger Unfug. Dafür schwärmt er zu sehr von der Liberalität der Deutschen in den Siebzigern und Achtzigern.
Damals schien es, die Gesellschaft würde den Widerspruch zwischen dem von Waldsterben, Atommüll und Transkontinentalraketen genährten Glauben an "No future" und der Gewissheit, dass es eine Zukunft gibt, die noch besser sein wird als die Gegenwart, in bester Stimmung aushalten.
In solchen Momenten ist der menschenfreundliche Prediger der angewandten Vernunft, der Dieter Nuhr einmal war, wiederzuerkennen.
Statt ständig Sorgen zu züchten, empfiehlt er mehr Gelassenheit beim Umgang mit dem Weltuntergang. Dazu erzählt er einen fast philosophischen Witz: Sagt der Notarzt dem Verletzten, dass man ihn jetzt in die Leichenhalle fahren werde. "Aber ich bin noch nicht tot", entgegnet der Patient, und der Arzt antwortet: "Wir sind ja auch noch nicht da".
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