Heidelbeer-Grenzverkehr
Traditionsgemäß ist der Kabaretisten-Wettstreit ein Event im Advent. 2020 fiel er seuchenbedingt ganz aus und die Veranstaltung des vergangenen Jahres wurde um sechs Monate verschoben. Was nun im Passauer Scharfrichterhaus an satirischem Nachwuchs erst im Mai geerntet werden konnte, ist beachtlich. Als Moderator Urban Priol die Scharfrichterbeile vergab, war die Bemerkung, eigentlich hätten alle den Preis verdient, nicht nur eine tröstende Floskel, sondern die Leistungsdichte war bei diesem Contest tatsächlich sehr hoch.
Die kriegsbedingten Preissteigerungen hätten allerdings dazu geführt, scherzte Priol, der als Hauptpreisträger des Jahres 1986 zu den Veteranen des Wettbewerbs gehört, dass man sich nicht mehr als die üblichen drei handgeschmiedeten Beile leisten konnte. Das große Scharfrichterbeil ging nach Österreich, beziehungsweise ins südliche Mühlviertel, das bei Benedikt Mitmannsgruber immer so ähnlich wie "Müllviertel" klingt.
Begründung der Jury unübersichtlich aber zutreffend
Die Begründung der Jury wirkt unübersichtlich, beschreibt aber dennoch recht zutreffend das, worum es ihm auch und nicht zuletzt geht: "Wer aus der Drehtür des Lebens im Mühlviertel entkommen konnte, um so den kleinen Heidelbeer-Grenzverkehr nach Tschechien zu studieren, um dann stoisch Jörg Haider als Albino-Python in der Kloschüssel zu versenken, wer seine eigene vermeintliche Naivität beständig böse nachschärft, dem steht das große Scharfrichterbeil zu."
Der 26-Jährige erweist sich dabei als ein Meister eines durch effektvoll gesetzten Pausen getakteten Timings und als ein Erzähler, der im Realen überraschend viel Surreales findet.
David Weber, der das mittlere Scharfrichterbeil erhielt, ist von seiner schmalen und blassen Körperlichkeit ein ähnlicher Typ wie sein Kollege aus Oberösterreich, hat auch den scharfen Blick auf den absurden Alltag und kann außerdem Klavier.
weit ausschwingende schwingende Pop-Melodie aus einem Wort wie "Storno"
Er kommt zwar aus Mainz, aber anders als bei Mit-Mainzern wie Lars Reichow oder Tobias Mann, die auch sehr süffig mit Musik arbeiten, schmeckt die rheinhessische Fassenacht nicht durch. Aus einem Wort wie "Storno" aus dem Supermarkt-Universum lässt er die weit ausschwingende schwingende Pop-Melodie entstehen. Das kleinste der drei Hackebeilchen kann die aus Aachen stammende Sonja in ihr Heim in Wien mitnehmen. Zudem ist sie Trägerin der Publikumspreises.
Die aktuellen ideologischen Verwirrungen zwischen links und rechts bringt sie mit einer Begegnung auf einer Esoterik-Messe auf einen schwer komischen Punkt: Während einer Esoterik-Messe treffen sich eine Grünen-Aktivistin und eine AfD-Kommunalpolitikerin, um eine "Brücke der Verständigung" zu töpfern. Damit setzt sie in den in diesem Jahr sehr comedylastigen Wettbewerb einige wenige politische Marken. Das machte außer ihr nur Amjad, der 34-jährige Münsterländer mit jordanisch-palästinensischem Familienhintergrund und indischer Ehefrau.
Seine sehr geschmeidige Stand-Up-Comedy im klassischen US-Stil ist sein pointensattes Instrument, mehr Humor in die stickige Multikulti-Debatte zu sprühen. Der Clash der Kulturen macht auch dem österreichischen Schauspieler Michael Großschädel zu schaffen, den es von Wien ins rheinische Neuss verschlagen hatte. Trotz seines starken schauspielerischen Handwerks blieben seine zu selten überraschenden Geschichten von zwei Völkern, die von gemeinsamer Sprache getrennt sind, unbepreist.
Die zweite Frau des Abends war die Oberpfälzerin Eva Karl-Faltermeier, die sich auch im Rest Bayerns längst und zu Recht eine Stammkundschaft erspielte. Doch in Passau verspielte sie ihre Chancen auf eine Trophäe mit übermächtiger Nervosität.
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