"Der Streit" von Marivaux - die AZ-Kritik

"Der Streit" von Marivaux, inszeniert von Nikolaus Habjan im Cuvilliéstheater
Mathias Hejny |
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Nikolaus Habjan.
Marija Kanizaj 3 Nikolaus Habjan.
Thomas Dashuber 3
Thomas Dashuber 3

Der Ort spielt mit. Zwei vom ereignislosen Leben der besseren Stände verwitterten Adelige diskutieren über die Köpfe des Publikums hinweg. Der Prinz steht vor dem noch geschlossenen Vorhang auf der Bühne, seine Herzdame Hermiane hoch droben in der Königsloge.

Das Schauspiel, das hier gegeben wird, und das Theater, in dem es stattfindet, sind Zeitgenossen: Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux schrieb diese Komödie 1744, und das wenige Jahre später entstandene Rokoko-Dekor im Theater der Münchner Residenz bildet den angemessenen Rahmen.

„Der Streit" entzündet sich an der Frage, wer die Untreue in die Welt gebracht hat - die Frau oder der Mann? „Wir werden die Natur selbst befragen", verspricht der Prinz, und die Antwort werde deshalb über jeden Zweifel erhaben sein. Vier Kinder - zwei Mädchen, zwei Buben - sind von Geburt an isoliert. Ihre einzigen Bezugspersonen sind zwei Betreuer. Jetzt sind sie im richtigen Alter, um sie aufeinander loszulassen.

Lesen Sie auch unser Interview mit Nikolaus Habjan

So finden das Interesse der frühen Aufklärung an einer rationalen Wissenschaft und ein müßiggängerisches Menschenexperiment von Aristokraten zynisch, aber komödientauglich zusammen. Die Bühnenbildner Jakob Brossmann und Denise Heschl setzten ein Anatomisches Theater in klinischem Weiß in das Cuvilliéstheater. Die oberen Ränge sind der Wirkungsbereich des Musikers Kyrre Kvam, der zu Sonetten der französischen Lyrikerin Louise Labé aus dem 16. Jahrhundert einen eigenwilligen Klangteppich webt.

Die Personen sind menschengroße Puppen, geführt von ein bis zwei Schauspielern, denn wir befinden uns in der fantastischen Welt des österreichischen Regisseurs Nikolaus Habjan. Der 30-jährige Grazer war in München mit seinem Gastspiel „F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig" und einer „Oberon"-Inszenierung für die Opernfestspiele positiv aufgefallen. Ob es um Nazi-Ideologie geht oder um einen Elfenkönig, verwandelt Habjan den Stoff seinem Figurentheater an. Wenn es, wie bei Marivaux, nicht zuletzt um Macht und Manipulation geht, liegt der Griff in die Puppenkiste besonders nahe.

Die Menschen verschwinden nicht hinter den Puppen

Damit wird auch der Gedanke an eine Unschuld, die man fände, wenn man eine Person nur frühzeitig genug aus der Welt heraus präpariere und dann wie in einem Reagenzgläschen sich selbst überließe, von vornherein zur Illusion erklärt. Nach kurzer Eingewöhnungszeit in bis dahin unbekannte Gesellschaft werden die jungen Leute mit lächerlichen Affektiertheiten schnell zu Abbildern ihrer Schöpfer.

Wenn Eglé sich zum ersten Mal im Spiegel sieht, verliebt sie sich unsterblich in ihr Bildnis. Als Azor auftaucht, verliebt sie sich auch sofort in den Jüngling, aber der Andere ist bald nicht mehr als ein Resonanzkörper für ihre Egozentrik. Der Verliebtheit und der Eitelkeit folgt bald die Eifersucht, denn mit Adine und Mesrin taucht ein zweites Paar auf. Während Hermiane und der Prinz Klappmaulfiguren sind, werden die jungen Liebenden von hölzernen Malerpuppen ohne Unterleib dargestellt.

Das Fehlen der unteren Körperregion ändert nichts an den Trieben. Sogar die beiden Herren treiben es, während sie sich gegenseitig artig versichern, „ein netter Kerl" zu sein, hingebungsvoll miteinander.

Das Besondere am Habjans Figurentheater ist, dass die Schauspieler nicht völlig hinter ihren Puppen verschwinden, sondern als gestaltende Darsteller erkennbar bleiben. Hier sind es Mathilde Bundschuh, Arthur Klemt, Nikolaus Habjan in einigen Vorstellungen selbst und der großartige Oliver Nägele, die für einen ebenso eleganten wie auch leicht grimmig am Menschen verzweifelten Liebesreigenspaß sorgen.

Cuvilliéstheater, bis Mittwoch und 6. bis 9. Februar, 20 Uhr, Telefon 21851940

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