Nikolaus Habjan über "Der Streit" von Marivaux
Im vergangenen Sommer inszenierte der österreichische Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan bei den Opernfestspielen Carl Maria von Webers „Oberon“ im Prinzregententheater. Mit dem „Herrn Karl“ und mit „F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig“ gastierte er im Residenztheater. Nun kehrt Habjan mit einer Neuproduktion nach München zurück: Im Cuvilliéstheater bringt er mit Puppen und Schauspielern des Bayerischen Staatsschauspiels die Komödie „Der Streit“ von Pierre Carlet de Marivaux heraus und spielt auch selbst mit. Premiere ist am Samstag um 19.30 Uhr.
AZ: Herr Habjan, wer streitet in diesem Stück? Und worum dreht sich der Streit?
NIKOLAUS HABJAN: Hermiane glaubt, dass Männer die Treulosigkeit in die Welt gebracht haben. Der Prinz ist in sie verliebt und gibt ihr halb recht.
Wie wird der Streit entschieden?
Der Vater des Prinzen hat ein Experiment vorbereitet: Er ließ vier Neugeborene in einer isolierten Umgebung aufwachsen. Nun werden die Türen zwischen den getrennten Bereichen geöffnet: Die beiden Frauen streiten als erste darüber, wer die Schönste ist.
Erinnert dieses Menschenexperiment nicht sehr an Ihre Sicht auf Webers „Oberon“ im Prinzregententheater?
Die Anfrage des Residenztheaters und der Bayerischen Staatsoper kamen etwa gleichzeitig. Ich dachte mir, ich komme aus diesem Thema nicht mehr heraus. Natürlich ist die Ausgangssituation ähnlich: Ein Streit zwischen zwei Adeligen, die Macht über Menschen besitzen. Bei Marivaux ist die Versuchsanordnung Teil des Stücks, bei „Oberon“ ging es mir mehr um den Bühnenzauber.
So sehr liegen beide Werke zeitlich auch nicht auseinander.
Die Komödie von Marivaux entstand 1744, Christoph Martin Wielands Versdichtung „Oberon“, die Vorlage von Carl Maria von Webers Oper, erschien 1780. Die Frage nach der Treue und der Treulosigkeit ist in dieser Zeit ein großes Thema, etwa auch in Opern wie Antonio Vivaldis „La fida ninfa“ oder Mozarts „Così fan tutte“.
Warum ist „Der Streit“ eigentlich eine Komödie?
Es gibt ein Happy End. Allerdings ist das, ähnlich wie in Lessings „Nathan“ oder in Mozarts „Così“ doppeldeutig. Und so versuchen wir das auch zu lösen – mit einem Fragezeichen.
Warum eignet sich Marivaux für Puppen?
Die Fremdbestimmung der Figuren lässt sich so sehr gut zeigen – und zwar mit einer trügerischen Harmlosigkeit. In „Oberon“ waren die Probanden des Experiments Menschen. Hier habe ich das umgekehrt: Die Kinder treten als unbedarfte Holzpuppen auf. Sie werden im Lauf des Stücks bekleidet und immer mehr zu Menschen stilisiert. Ich habe dabei sowohl an Puppen aus Crash-Tests gedacht, aber auch an anatomische Modelle für Künstler aus der Entstehungszeit des Stücks.
Alle Darsteller spielen mehrere Rollen. Es fällt schwer, beim Blick auf die Besetzung eine Regel zu erkennen.
Die Puppen werden von jeweils zwei Schauspielern geführt. Wer den Kopf der Puppe spielt, ist auch für die Stimme zuständig, Der zweite Schauspieler führt die Hände.
War es schwer, die Schauspieler in Puppenspieler zu verwandeln?
Oliver Nägele wollte unbedingt mitmachen. Er hat eine große Begabung dafür und schafft es hinter der kleinen zarten Puppe zu verschwinden. Wenn ein Schauspieler mit Puppen spielt, muss er alles, was er sonst automatisch macht, noch einmal durchscannen und genau überlegen, aus welchen Körperbewegungen sich etwa Erschrecken, Atmen oder Aufwachsen zusammensetzt. Puppen helfen einem Schauspieler, exakter zu werden.
Warum haben Sie sich für die Übersetzung von Peter Stein entschieden?
Wegen der Sprache. Die Bühne ist ein stilisierter Raum, Puppen sind stilisierte Darsteller, da passt eine stilisierte Sprache gut dazu. Aus dieser Einheit entsteht eine ganz eigene Wahrhaftigkeit.
Warum haben Sie kürzlich den neuen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz als Puppe auftreten lassen?
Ich habe mit der Osttiroler Musikbanda Franui einen Abend mit dem Titel „Wien ohne Wiener“ herausgebracht – eine Revue aus 25 Liedern von Georg Kreisler. Mich beeindruckt, wie schockierend brandakuell diese Lieder aus den 1960er Jahren heute noch sind. Zum Lied „Begräbnis der Freiheit“ kam ein Sarg auf die Bühne und verwandelte sich in ein Rednerpult. Dann kam Kurz, sang das „Kapitalistenlied“ und ging wieder. Es gab dafür nicht nur Bravo-Rufe.
Es scheint, als seien Sie kein Anhänger der schwarzblauen Koalition.
Mich schockiert, wie sich diese Regierung durch einen massiven Sozialabbau gegen diejenigen Menschen wendet, die ÖVP und FPÖ gewählt haben, damit es ihnen besser geht.
Premiere am 13. Januar, weitere Vorstellungen am 14., 15., 16. Januar, 6., 7., 8 und 9. Februar im Cuvilliéstheater