"Così fan tutte" im Nationaltheater
Ein schöner Tag heute!" – "Vielleicht ein bisschen warm." – "Und diese hübschen Büsche!" Bei jedem dieser Konversationsbeiträge zucken die jungen Leute nicht nur innerlich zusammen: Habe ich diesen Schwachsinn gerade wirklich gesagt?! Ja, es geht peinlich zu beim Doppel-Date in "Così fan tutte" von Wolfgang Amadeus Mozart, und wer im Publikum jemals ein Rendezvous mit einem angehimmelten Menschen hatte, möchte am liebsten mit im Boden versinken.
Mehr und Schöneres kann eine Inszenierung nicht leisten. Benedict Andrews hat dieses grausame Experiment mit der Liebe auf Lorenzo Da Pontes genialisches Libretto in die Gegenwart geholt, aber angenehm nonchalant: Die Mädchen tragen pastellene Sommerkleider, die Jungs T-Shirts in azurblau und rosa Koralle, alle modische Sneakers (Kostüme: Victoria Behr).

Kitsch zum Genießen
Abwechslungsreich variabel sind die Kulissen gestaltet. Der Innenraum ist eine Art verschiebbarer Wohncontainer mit breiter Fensterfront, draußen im Garten ergeben sich anheimelnde Bildkompositionen mit leuchtenden Rosensträuchern unter sternlos schwarzem Himmel, aus dem Blütenblätter regnen können: Was modern und alltäglich aussieht, kann durch die Liebe verzaubert werden in eine Art zeitlosen, absolut genießbaren Kitsch (Bühne: Magda Willi).
All dies aber bliebe hohler Prunk, wenn nicht eine sorgfältige Personenregie die Räume erfüllen würde. Wenn die Mädchen diskutieren, tun sie dies mit heutigen Gesten und Gesichtsausdrücken, zickigen, sarkastischen.

Wohl nicht zufällig sieht Avery Amereau als Dorabella ein wenig aus wie die Hollywood-Schauspielerin Kristen Stewart, mit der Regisseur Andrews vor drei Jahren den Film "Seberg" gedreht hat; bei der Sängerin kommt noch ein betörend frischer Hauch dazu, der sich wie Gänsehaut über ihren Mezzosopran legt.
Ein Bariton, der sich auf einer Motorhaube räkelt
Das erste Treffen der falschen Paare findet in einer Garage statt, dessen elektrisches Rolltor die Freier mit komischer Grandezza enthüllt. Die echte Protzlimousine – von der Art, die einen auf der Autobahn immer von hinten anblinkt –, ist nicht nur ein Requisit, sondern wird von Konstantin Krimmel als Guglielmo für seine Arie genutzt: Lasziv räkelt er sich auf der Motorhaube und lässt dabei seinen kraftvollen Verführbariton ertönen.

Zu diesem Auftritt setzt Sebastian Kohlhepp als Ferrando mit geschmeidig nach oben gleitendem Belcanto-Tenor einen ebenbürtigen Kontrapunkt, wenn er sich als erster Betrogener in halbnackter Verzweiflung auf dem Bühnenboden windet. Dazu entfacht das Bayerische Staatsorchester einen existentiellen Furor, den man nach dem duftig leicht gehaltenen ersten Akt nicht erwarten konnte.
Vladimir Jurowski folgt den Protagonisten mit höchster Aufmerksamkeit, feilt die Ensemble-Szenen bis zur perfekten Durchhörbarkeit aus, kann auch einmal energisch eingreifen, wenn die Sänger im Eifer des Gefechts ausbüxen.
Orchester kreiert eine eigene Welt
Mehr noch: Der Musikchef der Bayerischen Staatsoper hat verstanden, dass Mozarts Orchester nicht nur begleitet, sondern mit seinen Kantilenen und Kommentaren – phänomenal die grausam schwierig zu spielenden Naturhörner! – eine ganz eigene Welt zur Bühne setzt.
Die psychologisch anrührendste Entwicklung vollzieht sich somit in zwei Dimensionen. Louise Alder beginnt die Fiordiligi als vor sopranistischer Energie vibrierender Teenager und endet als unter Schmerzen aufgeklärte junge Frau, deren zauberhaft leise, himmlisch weite Sprünge Sehnsucht und Verletzlichkeit gleichzeitig ausdrücken. So schön wie sinnfällig sackt dazu das aufblasbare Spielzeugschloss in sich und über ihr zusammen: nur heiße Luft, diese ewige Liebe.
Ein bisschen Spaß muss sein
So muss man übrigens auch die etwas pikanteren Requisiten deuten, etwa den Umschnall-Gummischwanz, mit dem Don Alfonso zu Beginn herumwedelt. Christian Gerhaher macht es sichtlich Spaß, als baritonaler Pornograph Polaroid-Fotos von Despina zu schießen, deren komödiantische Möglichkeiten Sandrine Piau voll ausspielt.
Gerhaher lungert spannend im Schrank herum und parliert mit der schwarzen Sado-Maso-Maske wie Hamlet mit dem Totenschädel. Der König der Liedkunst als schmutziger alternder Mann: dass man das noch erleben durfte!
Weitere Vorstellungen am 30. Oktober (16 Uhr), 2., 7., 10., 17. November (19 Uhr), 5. und 15. November (18 Uhr) im Nationaltheater. Karten: (089) 2185 1920 und unter www.staatstheater-tickets.bayern.de. Ein Stream der Premiere auf staatsoper.tv