Kritik

"Bruder Eichmann": Die bedrückende Logik der Bürokratie

Sebastian Baumgartens szenisches Projekt zu Heinar Kipphardts umstrittenem Stück "Bruder Eichmann".
Mathias Hejny |
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Johannes Nussbaum und Thomas Lettow (rechts) lesen "Bruder Eichmann" von Heinar Kipphardt.
Residenztheater Johannes Nussbaum und Thomas Lettow (rechts) lesen "Bruder Eichmann" von Heinar Kipphardt.

Johannes Schütz, seinerzeit der Bühnenbildner der von Dieter Giesing inszenierten Uraufführung im Residenztheater mit Hans-Michael Rehberg und Horst Sachtleben, spricht von einer "konzertanten Qualität" des von Heinar Kipphardt "hinterlassenen Materials". Schon damals, im Jahr 1983 und wenige Monate nach dem Tod des Dramatikers, war der Vorwurf zu hören und zu lesen, dass "Bruder Eichmann" dem Hörspiel näher sei als dem Theater.

Eichmann-Projekt am Residenztheater

Das war nicht das einzige Problem mit denen zum Schauspiel montierten Verhörprotokollen israelischer Behörden, die Adolf Eichmann nach seiner Verantwortung bei der "Endlösung der Judenfrage" befragt hatten. Kipphardt verlinkte nicht nur die authentischen Aufzeichnungen mit fiktiven und so genannten "Analogieszenen", die historisch von der SS-Kameradschaft über Atombombenabwurf auf Hiroshima und den Krieg in Vietnam bis zur Palästina-Politik Isarels und den RAF-Toten in Stammheim reichen.

Auch stellte die zeitgenössische Theaterkritik fest, dass Kipphardt den "Bruder" absolut ernst meinte und ihn zu sympathisch dargestellt habe. Diesen dramaturgischen Ansatz fassen die LMU-Philologen Laura Schütz und Sven Hanuschek mit ihrer Veröffentlichung "Stören auf lustvolle Weise" zusammen. Beide wie auch Pia Kipphardt, die Witwe des Autors, kommen im aktuellen Eichmann-Projekt des Residenztheaters zu Wort.

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Statt der fragwürdigen "Analogien" ergänzt Dokumentarisches das Spiel

Was nun als "Bruder Eichmann" auf dem Spielplan steht ist ein "filmisches Projekt", das den umfänglichen Dramentext nur auszugsweise von Johannes Nussbaum als Eichmann und Thomas Lettow als verhörender Beamter mal am Tisch, mal bei einer Aufnahme im Tonstudio vortragen lässt. Statt der fragwürdigen "Analogien" ergänzt Dokumentarisches das Spiel. Ein Prolog schildert Eichmanns Flucht 1945 von Deutschland über Italien nach Agentinien, wo er vom israelischen Geheimdienst 15 Jahre späte aufgespürt und verhaftet wurde.

Die Produktion war nur ein einziges Mal als Liveereignis im Marstall zu erleben und kann nun als Onlineangebot der Resi-Mediathek nach Hause geholt werden. Da Nussbaum und Lettow weitgehend emotionsfrei im Leseprobenduktus aus dem Manuskript vorlesen, schleicht sich der Grusel infamer Menschenverachtung nur ganz allmählich ein. Es gibt Bilder von der Gefängniszelle, doch die ist nachgebaut in einem improvisierten "Bühnenbild", zu dem ein Bürocontainer eingerichtet wurde.

Eine von der Logik der Bürokratie geleiteten und autoritätshörigen Persönlichkeit

Dazu ist assoziatives Bildmaterial geschnitten, das auf die in unzähligen TV-Dokus verschlissenen Gräuelbildern aus den KZs verzichten kann. Die visuelle Konzentriertheit macht die Verteidigungsstrategie umso plastischer. "Nie, nie, nie" habe er mit den Tötungen in den Lagern zu tun gehabt, erklärt der SS-Oberbannführer. Seine Aufgabe im Reichssicherheitshauptamt sei es gewesen, die Evakuierungen der jüdischen Bevölkerung zu organisieren und sich um die "Fahrplangestaltung" zu kümmern.

Zunehmend bedrückend entsteht das Bild einer von der Logik der Bürokratie geleiteten und autoritätshörigen Persönlichkeit, die schon immer "froh war, wenn etwas angeordnet wurde". Von dieser "Banalität des Bösen" schrieb Hannah Arendt zwar schon 1963, aber Baumgartens unaufgeregt dokumentarischer Zugang macht das Vermächtnis unseres Bruders Eichmann zeitlos brisant.


Mediathek des Residenztheaters, bis 31. Januar, www.residenztheater/mediathek

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