Brechtfestival Augsburg: BB, Heiner und die Frauen

Das Brechtfestival Augsburg begibt sich digital auf die Suche nach Brechts Frauenbeziehungen, stößt auf Heiner Müller, und die Puppen singen.
Mathias Hejny |
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Dakh Daughters: Musikrevue zu Ehren Brechts.
Dakh Daughters: Musikrevue zu Ehren Brechts. © Tetiana Vasylenko / Brechtfestival

Augsburg - Nachts in Augsburg: Auf Hauswänden und auch im Staatstheater, das schon seit geraumer Zeit eine Baustelle ist, erscheinen Gespenster aus der Brecht-Welt und singen Arbeiterlieder. Die alte Stadt am Lech ist tief verschneit und scheint verlassen zu sein. Als die Bilder entstanden, herrschte pandemiebedingt die nächtliche Ausgangssperre, und an den Fassaden erscheint die Bolschewistische Kurkapelle - eine Anarcho-Combo.

Spezieller Festival-Aspekt: Brecht und die Frauen

Das von Bernd Zander inszenierte Spektakel mit dem Titel "In diesem Lande und in dieser Zeit" ist eine Geisterbeschwörung anlässlich des diesjährigen Brechtfestivals und kann in dieser Woche am heimischen Computer besichtigt werden.

Erst im letzten November entschied die Festivalleitung um Jürgen Kuttner und Tom Kühnel, das Programm online zu zeigen. So entstand eine Reihe von Videoproduktionen von bis zu 45 Minuten Länge entlang eines speziellen Aspekts in der Biographie des großen BB: Die Frauen.

Meditation über den Krieg als menschliche Konstante 

Im Schatten der Lichtgestalt "standen viele Frauen herum", erklärte Kuttner am Eröffnungsabend etwas uncharmant, die dennoch ihr eigenes künstlerisches Profil hätten. Wie schon im vergangenen Jahr stand aber mit Heiner Müller ein zweiter Mann im Fokus, denn er habe "die Schuhgröße, die Fußspuren Brechts auszufüllen und trotzdem eigene Wege zu gehen".

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Kuttner und Kühnel nahmen dessen postdramatisches Triptychon "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten" als Vorlage eines bildmächtigen Videoclips, in dem der ohnehin knapp geschneiderte Text über die Kindsmörderin, die sich für die Demütigungen des untreuen Gatten rächt, weiter zu "Medeamaterial" verdichtet wird. Überraschend an dieser Meditation über den Krieg als menschliche Konstante ist, dass sie so überraschungsarm ist.

Medea-Mythos: moderne Assoziationen ohne Kontext

Elif Esmen, Natalie Hünig und Christina Jung sind drei Medeen, die hoch konzentriert Müllers komplexe Lyrik sprechen und zuweilen mit Bildwerken zum Medea-Mythos von der Antike bis ins 19. Jahrhundert verschmelzen. Eine Referenz an die Moderne ist Paolo Pasolini, der seine "Medea"-Verfilmung erläutert, was aber ebenso folgenlos bleibt wie die Erwähnung von Magda Goebbels, die im Führerbunker ihre sechs Kinder vergiftete, und Ulrike Meinhof, die ihre Kinder verließ, um sich den RAF-Terroristen anzuschließen.

Auch Stefanie Reinsperger, Mitglied des Berliner Ensembles und seit Kurzem Dortmunder "Tatort"-Kommissarin, nutzt die offene Dramaturgie der assoziationssatten Montage für "Ich bin ein Dreck", einen Film von Akin Isletme "über Brecht oder das Leben oder die Liebe". Die Texte stammen sowohl von Brecht als auch seiner Koautorin Margarete Steffin, seine Ehefrau und BE-Intendantin Helene Weigel oder Inge Müller, Heiner Müllers zweite Ehefrau. Immer knapp davor, die Intimität der Kamera zu sprengen, spielt sie weibliche Selbstfindung wie Selbstzerstörung und dabei bis zu sechs Brecht-Frauen gleichzeitig.

Unbedingt sehenswert: Puppenspielminiaturen von Suse Wächter

Ganz ohne elektronische Bildmischung ist Corinna Harfouchs Mix aus Lesung und Figurentheater. Brechts "Die Mutter" treffen auf das etwa zur gleichen Zeit entstandene "Fabriktagebuch" der französischen Philosophin Simone Weil, die als junge Frau im Selbstversuch die Arbeitswelt des Proletariats erforschte. Harfouch stellt hier zwei Positionen des Klassenkampfs gegeneinander, die sie bei aller Schlichtheit der erzählerischen Mittel und der historischen Ferne der Analysen auf einen erstaunlich modernen Punkt bringt.

Diese Produktionen können wie eine weitere Vielzahl von Hörspielen, Konzerten und Lesungen bis zum kommenden Sonntag abgerufen werden. Unbedingt sehenswert sind die fünfminütigen Puppenspielminiaturen von Suse Wächter: "Helden des 20. Jahrhunderts singen Brecht" ist ein träumerisch melancholisches Projekt, an dem unter anderen Rosa Luxemburg, Luciano Pavarotti, Erich Honecker oder Helmut Kohl teilnehmen.


www.brechtfestival.de, bis 7. März

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