Bayerisches Staatsballett: Die Suche nach dem Neuen
Roland Petits "Coppélia" funktioniert wie ein pastellbuntes Pop-Up-Bilderbuch. Mit dem ersten Vorhangzug klappt es auf - und schon sprudeln einem technisch irrwitzig-knifflige Solovariationen mit jazzigem Schmiss und jeder Menge Koketterie entgegen. Gerade in der Komik müssen die Interpreten ihr ganzes darstellerisches Können aufbieten. Dabei fallen die drei Hauptfiguren Swanilda, Franz und Dr. Coppélius nur zu gern aus ihren revuehaft angelegten Rollen. Vergleichbar mit dem Kasperl im Marionettentheater wenden sie sich immer wieder direkt ans Publikum und kündigen mimisch den nächsten Schritt ihres Handelns an.
Roland Petits Ballett - 1975 in Paris mit Léo Delibes' phantasiereicher Originalkomposition von 1870 uraufgeführt - ist vor allem virtuos getanzte Unterhaltung. Beim Bayerischen Staatsballett war das schon seit 2019 durchwegs der Fall. Damals hatte der nun Anfang April zurückgetretene Direktor Igor Zelensky Petits "Coppélia"-Version ins Repertoire übernommen.
Margarita Fernandes und António Casalinho brillieren
In den beiden ersten Wiederaufnahme-Vorstellungen brillierten Margarita Fernandes (16) und António Casalinho (18) - Zelenskys allerjüngste Shootingstars und seine letzten Entdeckungen. Ihren Debüts als Swanilda und Franz mangelte es an nichts. Sogar in bewusst von Petit überzeichneten Momenten boten sie ungemein viel Leidenschaft und spielerische Akkuratesse.
Beide jungen Künstler kommen aus Portugal und trainierten seit ihrem achten Lebensjahr am Internationalen Ballett- und Tanzkonservatorium Annarella Sanchez in Leiria, das der kubanischen Ausbildungsmethodik folgt. Casalinho zieht lässig als Franz an einer Zigarette - dann legt er los: regelrecht liebestrunken in seinen weiten Sprüngen und energetischen Pirouetten. Einen perfekten Gegenspieler gibt es gleichfalls: Javier Amo, der als einsamer, galanter Sonderling Dr. Coppélius magische Kunststückchen aus dem Ärmel schüttelt. Einem (Schein-)Duett mit seiner konstruierten Puppe verleiht er mächtig Schwung. Mann kann nur hoffen, dass Fernandes und Casalinho dem Bayerischen Staatsballett auch unter neuer Führung treu bleiben und sie nicht nach woanders hin abgeworben werden.
Zelensky-Nachfolge: Das Besetzungskarussell dreht sich
Inzwischen fallen in der Szene sogar Namen, wenn es um die Zelensky-Nachfolge geht, nachdem der Ballett-Chef mit Wirkung zum 4. April "aus privaten Gründen" das Staatsballett verlassen hat. Christopher Wheeldon käme da in Frage, von dem schon Igor Zelenksy zwei höchst erfolgreiche Abendfüller ("Alice im Wunderland", "Cinderella") nach München geholt hat. Er ist bisher stellvertretender künstlerischer Leiter des Royal Ballet und arbeitet derzeit verstärkt am Broadway. Das Besetzungskarussell dreht sich international aktuell ohnehin gerade mächtig weiter, denn große Kompanien mit mehr als 40 Tänzerstellen gibt es europaweit nur wenige.
Das Staatsballett Berlin hat sich Christian Spuck aus Zürich geholt. Dort rückt mit Cathy Marston eine renommierte Choreografin und krisengeprüfte Berner Ex-Direktorin nach. Wie Marco Goecke (derzeit Ballettchef in Hannover und am Beginn seiner Ausbildung Student der Münchner Ballett-Akademie), begann Spuck seinen Weg zum choreografierenden Ensembleleiter beim Stuttgarter Ballett. Die Leitungskontinuität wurde dort bereits frühzeitig geregelt. Bis mindestens 2028 bleibt Tamas Detrich Ballettintendant.
Für Goecke wäre München wohl ein Wunsch-Lebensort
In Deutschland hat keiner je eine Tanzkompanie so lange geleitet wie John Neumeier. Nach der nächsten Spielzeit will er die Intendanz seines durch ihn weltberühmten Hamburg Ballett abgeben. Nach einem halben Jahrhundert im Amt. Die Suche nach dem bzw. der Richtigen läuft gerade via Findungskommission auf Hochtouren: also parallel zur (durch Zelenskys Rücktritt) dringlichen Findung einer neuen Leitung für das Bayerische Staatsballett.
Ob Goecke, der mit Tänzerkörpern arbeitet wie sonst keiner, das Bayerische Kunstministerium überzeugen könnte? München wäre für ihn - anders als gegenwärtig Hannover - gewiss ein Wunsch-Lebensort.
Bis zum Ausbruch des Ukraine-Kriegs verantwortete Laurent Hilaire - früher Etoile in Paris - die Ballettsparte am Moskauer Stanislawski-Theater. Ihn darf man ebenso in der engeren Auswahl vermuten wie Alexei Ratmansky. Für letzteren sprechen seine Leitungserfahrung am Bolschoi-Theater, kreative Nähe zum American Ballet Theatre und New York City Ballet, seine generelle Repertoirebreite sowie eine enorme internationale Reputation und Bekanntheit als zeitgenössischer Choreograf und fundierter Kenner der Petipa-Klassiker.
Aber auch Edvard Clug (erfolgreicher Ballettchef am slowenischen Nationaltheater Maribor) oder Goyo Montero (verantwortlich für das "Ballettwunder Nürnberg") dürften der Aufgabe gewachsen sein, den reichen Repertoireschatz des Bayerischen Staatsballetts zu bewahren und weiter auszubauen.
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