"Johanna von Orleans" im Volkstheater: Heldin mit Superkräften

Frei nach Schiller im Volkstheater: Nina Steils spielt "Johanna von Orleans" in einer Fantasy-Variante.
Michael Stadler |
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Nina Steils im Look einer Superheldin aus einem Marvel-Film als vom Mond Gesandte.
Nina Steils im Look einer Superheldin aus einem Marvel-Film als vom Mond Gesandte. © Judith Buss

München - Trägt eine Jungfrau Schuhe? Nina Steils hätte sich durchaus vorstellen können, dass sie als Schillers "Jungfrau von Orleans" barfuß auf die Bühne des Volkstheaters kommt, "vielleicht in einem Kleidchen, mit blonder Perücke". 

Nach dem ersten Telefongespräch mit Regisseur Nikolas Darnstädt veränderte sich aber ihr Bild von der Rolle, bei der ersten Kostümprobe kam dann auch noch das passende Outfit hinzu.

Denn: Ein Fantasy-Abenteuer möchte Darnstädt mit "Johanna von Orleans" erzählen. Die Jungfrau ist bei ihm keine Jungfrau, sondern eine Hexe, die in ihrem Look einer Superheldin aus einem Marvel-Film ähnelt: hautenger Einteiler, dazu Stoff-Flügel auf dem Rücken. Und: "dicke, feste Stiefel".

Regisseur Darnstädt will ganz eigene, phantastische Duftmarke setzen

In der Reihe der Adaptionen über die französische Nationalheldin, die im Hundertjährigen Krieg König Karl VII. zu einem Sieg über die Engländer und Burgunder verhalf, will Nikolas Darnstädt eine ganz eigene, phantastische Duftmarke setzen. Handlungsort ist bei ihm eine "Toteninsel", die seit tausend Jahren in einen Krieg zwischen zwei Großkonzernen verstrickt ist.

Beide haben sich auf die Produktion von Schwertern spezialisiert, wobei Karl, Chef von "Schwertreich", vor dem Bankrott steht und der Firmensitz in Orleans von Feinden umzingelt ist. Unverhofft kommt die junge Johanna ihm zu Hilfe, die nicht - wie das historische Vorbild - im Auftrag Gottes handelt, sondern vom Mond ausgesandt wird.

Hier feiert Johanna entspannt bei einer Orgie mit

Von Religion ist in Darnstädts Stückfassung kaum die Rede. Johanna ist nun mal eine Hexe, keine Heilige. "Bei uns wurde der Begriff der 'Reinheit' durch den der 'Freiheit' ersetzt", sagt Steils. "Es geht nicht darum, dass sie rein bleibt, sondern sie will vor allem frei sein."

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Stand Johanna bei Schiller noch unter einem strengen Liebesverbot und bewahrte, obwohl durch den englischen Ritter Lionel in Versuchung gebracht, ihre Jungfräulichkeit, feiert sie bei Darnstädt entspannt bei einer Orgie mit. Von Lionel fühlt sie sich kurzzeitig angezogen, ist aber sonst wenig interessiert an ihrer männlichen Umwelt.

Hauptdarstellerin Steils: "Johanna ist vor allem eine Fremde in dieser Welt"

Als emanzipierte Heldin auf der Höhe unserer Zeit kann man sie daher ansehen, "aber das wurde bei den Proben gar nicht so oft benannt, was ich sehr schön fand", sagt Nina Steils: "Johanna ist vor allem eine Fremde in dieser Welt, wobei aus Zuschauersicht alle irgendwie fremdartig wirken."

Ähnlich wie Johanna, die ein ganzes Heer anführt, fühlt Steils sich als Hauptdarstellerin besonders in die Pflicht genommen. "Während die anderen am Ende der Probe schon übers Wochenende sprechen oder Quatsch machen, bin ich noch in mich gekehrt und denke über Details nach, was ich sonst gar nicht von mir kenne. Da spüre ich schon eine gewisse Verantwortung. Vor allem will ich auch, dass das gesamte Team eine gute Zeit auf der Probe hat, gerade, wenn es mal etwas länger dauert, weil ich was nicht sofort hinkriege. Aber ich werde von Nikolas und den anderen auch sehr nett unterstützt!"

Dass die langen Schillerschen Johanna-Monologe weitgehend gekürzt wurden, stört sie wenig. "Bei manchen Sätzen denke ich mir schon, dass das schade ist, aber wenn ein Bild auserzählt ist, dann ist das doch total in Ordnung, wenn es weiter geht. Außerdem passt das zu dem Abend. Ich habe das Gefühl, dass das eine starke Gemeinschaftsarbeit ist."

So einfühlsam sie ihre Johanna findet, so empathisch wirkt auch Nina Steils selbst. Im Volkstheater-Ensemble ist sie seit 2017 und gehört zu jenen, die auch in Nebenrollen Glanzlichter setzen, ob als kokett-gewitzte Cecily in Oscar Wildes Adels-Farce "Bunburry" oder als trashige, aber überraschend gebildete Margarete in "Der Selbstmörder".

Darnstädt zitiert aus den "Herr der Ringe"-Filmen 

Es sind durchaus bodenständige, oft hintersinnige, auch hinterhältige Figuren, die Nina Steils bislang im Volkstheater gespielt hat. Als Johanna hebt sie nun buchstäblich ab: Dank des hohen Bühnenturms im Neubau kann Nikolas Darnstädt sie und andere Spieler durch die Luft fliegen lassen. Schwindelfrei sei sie schon, meint Steils - nur bei einem Versuch, Johanna spiralförmig in die Höhe steigen zu lassen, wurde ihr schlecht.

Wer bei dieser Inszenierung nach filmischen Vorbildern sucht, wird nicht bei den "Jean d'Arc"-Kinoadaptionen mit Ingrid Bergman oder Milla Jovovich in der Titelrolle fündig, sondern sollte sich lieber noch mal Martial-Arts-Filme wie Zhang Yimous "House of Flying Daggers" anschauen.

Zudem zitiert Nikolas Darnstädt aus den "Herr der Ringe"-Filmen und der "Unendlichen Geschichte". Ähnlich wie in Michael Endes Roman (und der Verfilmung) ziehen einige Figuren durch "die Sümpfe der Traurigkeit" und werden dabei, ja, traurig. Die Ausrichtung des Abends scheint jedoch sanft optimistisch zu sein, selbst der Kriegsausbruch in der Ukraine hat diesen positiven Grundtenor nicht verändert.

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"Nikolas meinte schon während der ersten Leseprobe, dass ein Krieg vor der Tür steht, was für mich damals nicht eindeutig vorhersehbar war. Dann ging eines Tages alles sehr schnell. Ich hatte danach schon ein paar Zweifel, aber ich finde, dass wir den richtigen Ton treffen, gerade, wenn Johanna über den Krieg spricht. Das Stück handelt ja auch davon, wie sie in den Krieg immer mehr verstrickt wird, wie insgesamt ein Kreislauf aus Gewalt entsteht, aus dem alle zunächst nicht herauskommen."

Ob Johanna am Ende wie bei Schiller auf dem Schlachtfeld stirbt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, wie es der französische Nationalmythos erzählt, soll an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden. Nina Steils jedenfalls findet es "schön, dass wir auf der Bühne die Freiheit haben, Geschichten neu zu denken." Und wird vermutlich so spielen, dass es einen aus den Latschen haut. 


Volkstheater, große Bühne, Premiere am Donnerstag um 19.30 Uhr, Karten unter Telefon 089 523 46 55

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