"Agnes Bernauer" im Resi: Mit offenen Augen
München - Dass Antonia Münchow im Ensemble des Residenztheaters gelandet ist, hat sie vor allem einem Dramaturgen und einer Meerjungfrau zu verdanken. Den Dramaturgen, Bendix Fesefeldt, lernte sie 2017 noch als Schauspielschülerin bei einem Projekt an der Hamburger Theaterakademie kennen. Eines Tages rief er sie an und meinte, dass er Dramaturg am Residenztheater unter dem neuen Intendanten Andreas Beck würde und das Ensemble noch nicht vollständig besetzt sei. "Bendix sagte, bewerbe dich gleich und bereit dich super auf das Vorsprechen vor, mehr kann ich nicht für dich tun!"
Lola Montez sollte Münchow verkörpern, bis der Lockdown kam
Die Meerjungfrau hat Antonia Münchow dann selbst erfunden, "eine feministische Meerjungfrau, die keine Lust mehr auf Schwänze hat, weil die so unpraktisch sind, weshalb sie ihren Schwanz in eine Leggins umgeschneidert hat. Sie redet viel über ihre Menstruation und Sex, hat sich meermannzipiert."
Die Dozenten ihrer Schauspielschule hielten den selbst geschriebenen Monolog, den sie mitsamt Gerhart Hauptmanns "Rose Bernd" präsentieren wollte, für keine gute Idee. Beim Vorsprechen im Residenztheater lachten sich aber alle über die Nixe schlapp. "Andreas Beck kam später nach hinten, rief 'Wo ist die Frau?' und meinte zu mir: 'Sie können sich schon mal eine Wohnung suchen, das dauert sehr lange in München. Sie sind engagiert.' Man hat meinen Jubel bis auf die Bühne gehört."
Jetzt ist Antonia Münchow seit zweieinhalb Jahren im Ensemble, hat schon einiges gespielt, anderes noch nicht, weil die Pandemie dazwischenfunkte. Lola Montez sollte Münchow verkörpern, ein paar Proben fanden bereits statt, bis der Lockdown kam. Eine "abenteuerlichen Oper" soll diese "Lola M." sein, komponiert und inszeniert von Georg Ringsgwandl. Im Frühjahr 2022 soll das Stück nun endlich auf der Bühne des Cuvilliéstheaters aufgeführt werden, aber jetzt steht Antonia Münchow erstmal in einer anderen, auch leicht historisch gefärbten Rolle im herrschaftlichen Rokoko-Rahmen.
"Agnes Bernauer" von Franz Xaver Kroetz, 1977 in der DDR uraufgeführt, orientiert sich lose an der realen Person gleichen Namens. Kroetz transportiert den Stoff in die Siebzigerjahre und erzählt von einem jungen Mädchen, das sich nach dem Tod ihrer Mutter und dem gleichzeitigen Bankrott ihres Vaters gezwungen sieht, sich eine Arbeit zu suchen. Agnes aber möchte sich lieber einen reichen Mann angeln, was ihr prompt bei einer Faschingsparty gelingt: Albrecht ist Spross der Unternehmerfamilie Werdenfels, die vor allem mit dem Verkauf von Rosenkränzen zu Wohlstand kam. Er verliebt sich in sie, heiratet sie, obwohl sein Vater Ernst und seine Mutter Herma einige Bedenken haben.
Von Berechnung und Ränkespielen kann bei Agnes keine Rede sein
Von Berechnung und irgendwelchen Ränkespielen kann bei Agnes keine Rede sein, findet Antonia Münchow. "Die ist gerade mal 16 Jahre alt, hat vielleicht gerade die mittlere Reife hinter sich und ist wirklich noch naiv und unerfahren. Den Spruch mit dem 'reichen Mann heiraten' hat sie vielleicht aus der Zeitung oder von ihrer Mutter gehört, aber als sie Albrecht auf der Feier kennenlernt, sagt sie nicht, ich will den mir krallen, sondern sie finden einfach zusammen. Letztlich ist es Fügung."
Nach der Hochzeit genießt Agnes den Wohlstand der Familie Werdenfels, bekommt aber bald mit, dass das soziale Verantwortungsgefühl von Vater Ernst begrenzt ist: Als Hauptarbeitgeber in der Region kann er die Löhne nach Belieben niedrig setzen und nimmt in Kauf, dass seine Angestellten Existenznöte leiden. Agnes solidarisiert sich mit den einfachen Leuten, will Gutes tun, was in Kroetz' Stück stark mit ihrem christlichen Glauben verbunden ist.
In der Inszenierung von Resi-Hausregisseurin Nora Schlocker wird die Religion sichtbar präsent sein. "Ein massiver religiöser Bau dominiert das Bühnenbild", erzählt Antonia Münchow. "An dem kommt man kaum vorbei. Agnes betet aber jetzt nicht ständig den Rosenkranz rauf und runter, sondern glaubt auf kindliche Weise an eine höhere Gewalt, die sie niemals alleine lassen wird. Erst mit der Zeit wird dieses Vertrauen bei ihr erschüttert. Sie muss lernen, dass das Leben vor allem aus Entscheidungen besteht."
Agnes Bernauers Gutmenschentum, ihre Naivität und ihr Ungestüm haben auch negative Seiten, findet Münchow: "Sie wird in diese Welt hineingeworfen, geht mit offenen Augen auf sie zu, will alles begreifen. Dabei denkt sie, dass alles doch ganz einfach wäre, man muss den Leuten nur ein bisschen mehr Lohn geben. Aber wie sie in diese Arbeiterwelt einbricht und aus ihrer privilegierten Situation argumentiert, hat auch etwas Grausames. Sie schaut sich diese Welt wie eine Touristin aus der Nähe mal an und begreift erstmal nicht, dass die Dinge nicht so leicht funktionieren wie sie sich das denkt."
Es gibt auch handgreifliche Szenen
Zum allmählichen Erkenntnis- und Emanzipationsprozess gehören auch einige handgreifliche Szenen: Einmal wird Agnes von den Leuten, denen sie eigentlich helfen will, brutal ausgeraubt; später kommt es zu einem gewaltsamen Eklat zwischen ihr und Vater Ernst. Auch bei den Proben gehen ihr diese Szenen sehr nahe, meint Antonia Münchow, "ich gehe da voll rein. Da wieder rauszufinden, ist nicht immer leicht." Die Kommunikation mit den Kollegen sei gerade in solchen Szenen immens wichtig.
Ähnlich wie Agnes Bernauer wirkt Antonia Münchow sehr offen und gibt im Gespräch auch mal zu, wenn sie zu einer Frage keine Antwort weiß. Auch in ihrer Schauspielarbeit scheint sie in hohem Maße ihrer Intuition zu folgen. natürlich recherchiert sie für ihre Rollen, "aber dann will ich mit den Kolleginnen und Kollegen auf die Bühne gehen und schauen, was dabei entsteht. Was ich mir beim Lesen eines Stücks vorstelle, entspricht ja nicht dem, was die anderen sehen. Insofern möchte ich auf das, was sie anbieten, reagieren, damit will ich spielen. Das macht mich zu der Figur."
Im Gegensatz zu Agnes ist Lola Montez natürlich eine ganz andere Rolle. "Die ist eine absolute Self-Made-Woman. Und klar, die verführt König Ludwig! Sie steckte aber auch in einer Friss-oder-Stirb-Situation: Um zu überleben, musste sie sich eine Identität erfinden und hat dann diese Rolle durchgezogen. Auf mich wirkt sie total furchtlos - eine großartige Frau!" Obwohl "Lola M." schon angeprobt wurde, spuke sie nicht in ihrem Kopf herum. "Aber meine Mutter ruft mich immer wieder an und sagt, sie habe gerade dies und jenes über sie gelesen. Sie gibt mir ständig Input, das ist herrlich!"
Geboren wurde Antonia Münchow 1994 in Berlin, das künstlerische Talent steckt offenbar in den Genen. Ihr Vater Torsten und ihr großer Bruder Ben arbeiten ebenfalls im Schauspielfach, ihre Mutter, Sylvia Krupicka, ist Lyrikerin. In der Schule hatte Münchow miserable Noten, aber "ich war gut in Sport, im Singen und Theater spielen." Als 11-Jährige nahm sie an einem Casting zur Kinderserie "Schloss Einstein" teil und befolgte widerwillig den Rat ihrer Mutter, den Castern zu sagen, dass sie singen kann. "Die haben mich dann noch mal reingerufen und ließen mich was vorsingen. Später hieß es, sie finden mich toll, aber die Rolle passe nicht zu mir. Also haben sie mir eine eigene geschrieben!"
Zwischen 2006 und 2007 spielte Antonia Münchow als "Marleen" in über fünfzig Folgen mit, war aber der starken Reglementierungen der Serie überdrüssig, wollte noch mal ihre Jugend genießen. Ab 2015 studierte sie Schauspiel in Hamburg. Als es in ihrem Jahrgang "ein paar Probleme" gab, durfte sie in die Ausbildung der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover reinschnuppern, wohin sie 2017 wechseln und ihren Abschluss machen konnte. Das Engagement am Residenztheater ist nun ihr erstes. Und ihre Performance als Meerjungfrau, ohne Schwanz, dafür mit Leggins und viel Witz, hat sie mittlerweile wiederholt: in der 44. Folge des Resi-Pandemie-Formats "Tagebuch eines geschlossenen Theaters". Der Auftritt ist online abrufbar. Und wirkt tatsächlich ganz schön meermannzipiert.
Premiere am 17. November im Cuvilliéstheater, 19.30 Uhr, Restkarten unter Telefon 2185 1940
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