Interview

Iran: Die Menschen sehnen sich nach Freiheit

Die Münchnerin Natalie Amiri, ehemalige Leiterin des ARD-Büros in Teheran, hat ein sehr persönliches Buch über den Iran geschrieben.
| Volker Isfort
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Der Amir Chakhmaq Platz in Yazd, Natalie Amiris Lieblingsstadt.
Der Amir Chakhmaq Platz in Yazd, Natalie Amiris Lieblingsstadt. © imago images/Mikel Bilbao

Ihr Vater kam 1965 aus der Wüstenstadt Yazd nach Deutschland und eröffnete später in München einen Teppichladen. Natalie Amiri pendelte viele Jahre zwischen Deutschland und dem Iran, um als Korrespondentin über ein Land zu berichten, das voller Widersprüche ist. Unter welchen Gefahren man in einem Staat arbeitet, der auf Platz 173 der Pressefreiheit steht (von 180 Ländern), ist nur ein Aspekt in ihrem Buch "Zwischen den Welten - von Macht und Ohnmacht im Iran". Das Buch ist eine persönliche Liebeserklärung an die Menschen und eine schonungslose Abrechnung mit dem Regime.

Natalie Amiri moderiert derzeit den ARD-"Weltspiegel", auch an diesem Sonntag (19.30 Uhr).
Natalie Amiri moderiert derzeit den ARD-"Weltspiegel", auch an diesem Sonntag (19.30 Uhr). © BR/Johannes Moths

AZ: Frau Amiri, Sie sind mehrere Male vom Geheimdienst der iranischen Regierung aber auch vom Geheimdienst der Revolutionsgarde verhört worden. Wie konkret war die Bedrohung, dass Sie im vergangenen Jahr die Leitung des ARD-Büros in Teheran aufgaben und das Land verließen?
NATALIE AMIRI: Sehr konkret, das Auswärtige Amt hatte zudem Bedenken, dass wegen der Zuspitzung der außenpolitischen Situation der Iran politische Geiseln als Faustpfand für Verhandlungen nehmen könnte. Das ist bereits mit mehreren Deutsch-Iranern passiert, die derzeit inhaftiert sind. Auch Doppelstaatler aus anderen europäischen Staaten wurden inhaftiert. So übt die Islamische Republik Druck auf ihre Gesprächspartner in Bezug auf das Atomabkommen aus.

"Für die Iraner bin ich Iranerin"

Der deutsche Staat hätte nichts für Sie tun können, weil der Iran Sie als seine Bürgerin betrachtet?
Genau, es gäbe keine konsularische Hilfe, man hätte mich auch nicht im Gefängnis besuchen können. Für die Iraner bin ich Iranerin, mein deutscher Pass ist dort nichts mehr wert.

Der Geheimdienst hat auch versucht, Sie anzuwerben. Ist das nicht wahnsinnig naiv zu glauben, dass eine ARD-Korrespondentin kooperiert?
Das war 2010. Ich habe ihnen gesagt, egal was ihr mir anbietet, ich bin eine europäische Journalistin, ich will morgens guten Gewissens in den Spiegel schauen können und arbeite nicht für euch, abgesehen davon, dass ich auch gar nichts liefern könnte. Mir wurde sogar angeboten, mich für einige Tage ins Gefängnis zu stecken, damit ich internationale Publicity bekäme. Die wissen schon, wie die Welt funktioniert, das sind keine Hinterwäldler.

Damals hat man Sie mit Details Ihres Bamberger Studentenlebens konfrontiert. Wie kann der iranische Geheimdienst so etwas wissen?
Ich kann es nicht belegen, aber ich habe gehört, dass Iranistik-Studenten in Deutschland auch vom Geheimdienst beobachtet werden, weil Studenten der Iranistik und Orientalistik nach dem 11. September 2001 plötzlich begehrte Kandidaten für den Bundesnachrichtendienst, den Bundesgrenzschutz und das Bundeskriminalamt waren. Wir sind ja eine überschaubare Gruppe, ich hatte in Bamberg fünf Kommilitonen. Generell traue ich dem iranischen Geheimdienst viel mehr zu, als wir wissen. Die sind überall. Die Auslandseinheit der Revolutionsgarde baut auch in Afrika und Asien ihr Netzwerk aus.

"Es gab ein bisschen Hoffnung"

Sie haben das Land 2011 nach fünfjährigem Aufenthalt verlassen. Was hat Sie dazu bewogen, vier Jahre später den Posten als Leiterin des ARD-Büros in Teheran anzunehmen?
Ich hatte einfach wieder Kraft gesammelt. Wenn man so brennt für ein Land, so tief eingetaucht ist, die Sprache kann, und etwas vermitteln will, dann lehnt man so ein Angebot nicht ab. Es war auch die Zeit nach Ahmadinedschad, es gab ein bisschen Hoffnung. Ich habe viele Beiträge gemacht über die starken, gut ausgebildeten und emanzipierten Frauen, von denen es heute so viele im Iran gibt. Ich wollte zeigen, dass die Bevölkerung die iranische Revolution von 1979 mehrheitlich ablehnt, sich nach Freiheit und Anbindung an den Westen sehnt. Im Fernsehen bleibt leider zu viel auf kurze Nachrichten beschränkt. Aber mit diesem Buch kann ich die Komplexität des Iran zeigen, die iranische Seele nach Deutschland vermitteln.

In keinem islamischen Land der Erde gibt es nach Schätzungen so wenig gläubige Menschen wie in der Islamischen Republik Iran. Wie kann man permanent gegen 80 Prozent der Bevölkerung regieren?
Indem man Waffen hat und eine Miliz aufgebaut hat, die genau für diesen Fall eingreift und die Menschen niederprügelt oder erschießt, die sich gegen das Regime aufstellen und wehren. Der Geheimdienst der Revolutionsgarde ist hochprofessionell und gefährlich und erstickt jeden Protest im Keim. Aber die Sozialen Medien sind heute ein Sprachrohr für die Zivilbevölkerung und eine Möglichkeit, sich auch darüber zu organisieren und kontaktieren. Hier werden auch immer mehr entlarvende Informationen über die Korruption der Machtelite geteilt: Bilder von Mullahsöhnen, die in London oder Paris Champagnerparties feiern.

Große Protestwellen in den nächsten Jahren

Es gab große Protestwellen in den letzten Jahren.
Ich gehe davon aus, dass die Proteste größer denn je werden, sobald Corona es wieder zulässt, dass die Menschen auf die Straße gehen.

Offiziell ist der Iran bei gleicher Einwohnerzahl wie Deutschland weniger von Corona betroffen. Sie glauben das nicht?
Nein, schon im März 2020 war eine WHO-Delegation im Iran, die davon ausging, dass die wirklichen Zahlen die offiziellen um das Fünffache übertreffen. Ein Epidemiologe aus dem Krisenstab der iranischen Regierung hat in einer Tageszeitung behauptet, dass die wirklichen Zahlen die offiziellen um den Faktor 20 übertreffen. Daraufhin wurde die Zeitung geschlossen und der Mann inhaftiert.

Im Juni gibt es Präsidentschaftswahlen, ein aussichtsreicher Kandidat ist Hossein Dehghan, General der Streitkräfte. Was bedeutet das für die Politik?
Dann hätte die Revolutionsgarde auch noch die Führung der Exekutive. Sie kontrolliert schon 80 Prozent der Wirtschaft, viele Richter, große Teile des Parlaments und Teile der Medien. Die Revolutionsgarde hat nach meiner Einschätzung längst das Sagen in der Republik. Man hat dies bloß nie als Putsch bezeichnet, weil die Revolutionsgarde Teil des Systems ist.

Die amerikanische Regierung hat die Revolutionsgarde offiziell als Terrorgruppe eingestuft. Das macht Verhandlungen mit dem Westen auf diplomatischer Ebene auch nicht gerade einfacher.
Nein, überhaupt nicht, deswegen hält sich die Revolutionsgarde bei offiziellen Gesprächen zurück. Fakt ist aber auch, dass der Revolutionsführer die Außenpolitik bestimmt. Er steht hierarchisch über der Revolutionsgarde. Aber Khamenei ist 82 Jahre alt und hat wohl schon länger Prostatakrebs, heißt es. Die Frage ist, wie geht es weiter, wenn er stirbt? Wird wieder ein Religiöser die Republik führen, oder wird die Revolutionsgarde auf diesen Tag warten, um dann komplett die Macht zu übernehmen?

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Spruch bei Taxifahrern: "Gott schütze den Schah"

Sie schreiben, dass die iranischen Taxifahrer beim Abschied oft "Gott schütze den Schah" sagen. Ist das iranischer Humor oder Sarkasmus?
Nein, das ist eine romantisierte Erinnerung an die Schahzeit, die sich inzwischen viele zurückwünschen.

Der Schahsohn Cyrus Reza Pahlavi, meldet sich per Social Media aus dem Exil zu Wort. Ist er eine ernstzunehmende Oppositionsfigur?
In den Augen der Islamischen Republik ist er die gefährlichste Oppositionsfigur. Ich habe einmal ein Interview mit seiner Mutter Farah Diba in Paris geführt, daraufhin wurde mir drei Monate lang die Pressekarte entzogen und ich konnte nicht mehr journalistisch arbeiten. Natürlich will er keine Monarchie zurück, sondern die Demokratie einführen. Aber er ist 1979 als kleiner Junge aus dem Land geflohen und hat es nie wieder betreten können. Der Iran ist hochkomplex, die Seele der Bevölkerung ist verletzt und geschändet und es braucht sehr viel Fingerspitzengefühl, dieses Land wieder neu gesellschaftlich aufzubauen. Ob das der Sohn des Schahs kann, bezweifle ich. Andererseits ist es unter den jetzigen Bedingungen unmöglich, innerhalb des Landes zu einer Führungsfigur einer Opposition zu werden, man wäre sofort weg.

Sie zitieren iranische Stimmen, die Trumps Politik der Aufkündigung des Atomabkommens und der Einführung strikter Sanktionen gutheißen, weil sie den Untergang des Regimes beschleunigen - unter unglaublichem Leid der Zivilbevölkerung.
Das ist oft die Haltung von Exiliranern, die nicht tagtäglich von den Sanktionen betroffen sind. Aber eines ist offensichtlich: Durch die Sanktionen geht dem Iran das Geld aus.

Natalie Amiri darf nicht mehr in den Iran reisen

Mit diesem Buch haben Sie persönlich die Tür zugeschlagen. Sie können nicht mehr in den Iran reisen.
Das ist wohl der Preis, den ich bezahlen muss, um zu erzählen, wie es dort ist.

Es gab ja nach der Unterzeichnung des Atomabkommens 2015 mehr deutsche Touristen im Iran - bis Corona kam. Ist es moralisch verwerflich, nach Corona als Tourist wieder die Schönheit des Landes entdecken zu wollen?
Ich denke es gibt zwei Ebenen: Auf der politischen Ebene müssen sich Deutschland und die EU genau überlegen, wie sie mit einem Land umgehen, in dem Menschenrechte massivst verletzt werden und gerade im Moment viele Menschen hingerichtet werden. Belassen wir es bei Worthülsen wie "Wir verurteilen aufs Schärfste...", oder stehen wir wirklich für Menschenrechte ein, mit allen Konsequenzen? Es gibt aber noch die zivilgesellschaftliche Ebene. Und wieso sollten wir auf dieser nicht so viel Austausch wie möglich versuchen? Wenn Touristen zusätzlich zu den Medien ein realistisches Bild des Iran bei uns vermitteln, ist das sicher nicht verwerflich. Es können so Freundschaften entstehen, Kooperationen, NGOs.

Sie zeichnen aktuell in Ihrem Buch ein düsteres Bild für die Zukunft der Bürger.
Die Mittelschicht im Iran gibt es fast nicht mehr und die Freude, die ich vielleicht vor drei, vier Jahren dort immer noch erfahren konnte, ist weg. Ich habe gestern noch mit einer Freundin gesprochen, die mir sagte, sie spüre überhaupt nichts mehr. Und sie wisse gar nicht, was ihr größeres Problem sei: dass sie das Insulin für ihre Mutter nicht bekommt, dass sie nicht weiß, womit sie das Essen bezahlen soll, die Angst vor Corona oder die Angst, dass sie der Geheimdienst abholt, weil sie etwas gepostet hat. Es ist nur noch dunkel in diesem Land. Es hat sich eine große Lethargie und Depression über die Gesellschaft gelegt. Die Hoffnung, die auch ein Thema meines Buches ist, ist gestorben.

Ihre nicht ganz, Sie schreiben, dass Sie das Land eines Tages wieder besuchen werden. Wo trinken Sie denn dann ohne Kopftuch in der postrevolutionären Utopie des Iran ihren ersten Tee?
In Yazd, der Heimatstadt meines Vaters. Mein Wunsch ist es, dort eines Tages ein kleines Hotel zu eröffnen, wenn der Iran endlich frei ist.


Natalie Amiri stellt "Zwischen den Welten" (Aufbau, 254 Seiten, 22 Euro) am 16. März um 20 Uhr im Literaturhaus vor. Ein Stream kann bis 60 Minuten vor der Veranstaltung gebucht werden über stream.reservix.io/e1649852

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