Die TV-Kanalreinigungsfachfrau: Eine Hommage an AZ-Kolumnistin Ilse "Ponkie" Kümpfel-Schliekmann

Unser Buch als Hommage an unsere große, vor bald einem Jahr verstorbene Kolumnistin Ponkie: "Elfmeter ins Gehirn: Ein Alphabet von Ponkismen".
Adrian Prechtel
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Ponkie bei der Ausübung ihres "Müßiggangberufs" in ihrem Arbeitszimmer in Solln.
Ponkie bei der Ausübung ihres "Müßiggangberufs" in ihrem Arbeitszimmer in Solln. © privat

Ihre erste TV-Kritik ist am 12. März 1963 erschienen, weil der AZ-Feuilletonchef zu seiner Kinokritikerin (seit 1956) gesagt hatte: "Übers Fernsehen muss jetzt auch mal geschrieben werden."

Ponkies "Worttorpedos"

Zum beliebten Tierfilmer Heinz Sielmann standen dann Sätze in der AZ wie: "Im Abendprogramm allenfalls für Oberlehrer das Ziel aller Wünsche." 30 Jahre später, 1992, urteilte sie über Hape Kerkelings Sendung "Kein Pardon": "Der Medienfliegenpilz im eigenen Gameshow-Saft mit Musikduschhaube als gnadenloser Party-Service." Dieter Hildebrandt hat solche sprachverdichtete Analysen des deutschen Unterhaltungsfernsehens durch Ponkie als "Worttorpedos" bezeichnet.

Jahrzehnte lang hat Ponkie "Unterhaltungsschrott" analytisch als solchen benannt, ohne Entertainment grundsätzlich als flach abzulehnen, aber die Privatsender strafte sie meistens durch Nichtbeachtung. Jetzt ist das Buch "Ponkie - Elfmeter ins Gehirn: Ein Alphabet von Ponkismen" im Verlag Attenkofer erschienen. Es ist natürlich eine Huldigung an unsere große AZ-Kolumnistin Ilse Kümpfel-Schliekmann (1925 - 2021).

Mehr als TV-Kritikerin: auch Gesellschafts- und Sprachanalytikerin

Ihr Sohn Ulrich Kümpfel ist mit seiner Frau Helena Gaitanu die gesammelten Artikel seiner Mutter durchgegangen und hat über 200 "Ponkismen" herausgesucht, die ihm als besonders aufgefallen sind. Weil Ponkie eben auch eine Sprachkritikerin war, ist zu Beginn des Buches ihre AZ-Kolumne "Elfmeter ins Gehirn" abgedruckt, in der es um Denkanstöße geht, mit der Sprache sensibler und akkurater umzugehen.

Hier outet sie sich auch als Person, die Wort-Ekel empfindet – in diesem Fall auch vor völlig abgenutzten Worten wie "kreativ" oder "Selbstverwirklichung" – und "Denkanstoß? Sie fordert: "schicke Wörter" in die Gosse!

Aber Ponkie hat manchmal auch Mitleid mit ihnen, weil sie ursprünglich ja etwas Schönes oder Wichtiges beschreiben, aber eben durch Massenverwendung ruiniert sind.

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Eine Beobachterin mit Gefühl für gesellschaftliche Veränderung

Beim Blättern fällt einem auch immer wieder auf, wie gut Ponkie als Seismograf für gesellschaftliche Veränderungen war, wie genau sie unser Leben beobachtete. Bei der Auseinandersetzung mit einer Quizshow kommt ihr unser "Google-Infantilismus" in den Sinn. Oder als immer mehr Kritzeleien auf Häuserwänden auftauchen, bezeichnet sie die Sprayer als "Graffiti-Duftmarkensetzer", was den beiläufigen, hündischen Stil, vielleicht Wertlosigkeit, jedenfalls aber den Wunsch nach Beachtung in nur einem Begriff einschließt.

Ein witziges Buch zum Schmökern

Das 152-seitige postkartengroße Buch ist ein witzig gemeintes Brevier zum Schmökern im - sanft ironischen - Konversationslexikonstil gehalten, also mit Schlagwort, Definition und dann dem Ausschnitt aus dem Ponkie-Artikel, in dem dieses Wort oder der Begriff verwendet wird, und beginnt als Beispiel mit:

A-là-bande-Raffinesse, die Kunstfertigkeit, die - wie beim Billard - elegant übers Eck gedacht in einer überraschenden Kettenreaktion zum Ziel führt. "Schuld und Sühne, Strafe und Rache, Geld und Macht, Moral und Unrecht (im Hintergrund lauernd: perverser Sex) als bizarre Enthüllungskette im Schweizer Honoratiorenwüstlingskeller: Motiv-Mathematik in großer Besetzung (Maximilian Schell), spielt in dieser Billard-Rolle mit A-là-bande-Raffinesse alle Abgründe des Verstandes in einem effektvoll diabolischen Taschenrechnerkrimi zwischen Satire und Moralstück." (14.10.93, AZ: Neue Filme: "Justiz")

Ponkie: Elfmeter ins Gehirn
Ponkie: Elfmeter ins Gehirn © AZ

Spitzen-Wortschöpfungen: Von "Alternativ-Spießer" bis " Gehweg-Polierer" 

Alternativ-Spießer, der ein Mensch, der nach außen hin zwar politisch korrekt und ökologisch denkt, aber im Grunde seines Herzens gerne einen konservativen Lebensstil führt, ohne mit anderen Milieus in Berührung kommen zu wollen. "Reinhard Münster hat für seinen (Hochschulabschluss-)Erstling die ständige Wechselwirkung zwischen Filmemachers Arbeitsprozess, der vorgestanzten Kino-Fantasie und dem verschlampten Privatleben sämtlicher Mitarbeiter als Kreuzberger Milieu-Comic frisch, frech und locker zur Selbstverlader-Komödie aufgeblasen, und der kriminelle Hinterhof-Charme paart sich flugs mit Abenteuerkino, ganz aus dem Leben gegriffen. Das Amüsanteste dabei ist die Typologie des Alternativ-Spießers: Auch der Progressiv-Freak hat sein altes deutsches Tapetenmuster in der Seele." (07.09.84, AZ: Neue Filme: "Dorado")

Natürlich finden sich in manchen Kurzartikeln auch gleich mehrere Spitzen-Wortschöpfungen - wie beim:

Gehweg-Polierer, der Spießer, der die Sterilität seines Lebens und Wohnzimmers auf Garten und Vorgarten sowie Gehwege ausweitet.
"Löwenzahn-Hasser, Rasen-Rasierer und Gehweg-Polierer werden empört aufschreien über das unhygienische Ansinnen, auf ihrem exakt verplanten Frischluftzellen Chaoten-Wachstum einreißen zu lassen. Pflanzen, die einfach machen, was sie wollen: Man weiß ja, wo sowas hinführt. In den Urwald. Und schon haben wir Bären und Wölfe auf der Autobahn!" (07.04.83, Kolumne: "Lieber AZ-Leser")

Oder: "Hobby-Klonis", womit Ponkie die Dinosaurier aus dem "Jurassic-Park"-Universum meint. Wobei diese Filme typische Produkte eines "Homo-Hollywood" sind, einer speziellen Unterart des Homo sapiens, der bei Filmen nur an die kommerzielle Verwertbarkeit denkt.

Und in der gleichen Kolumne zum Filmstart spricht Ponkie dann noch vom "Katastrophen-Jägerlatein", um die Absurdität des Actionfilmdrehbuchs zu charakterisieren.

Ponkie: Die eigene Tätigkeit als "Müßiggangberuf"

Selbstironisch hat Ponkie ihre Tätigkeit in einer AZ-Glosse als "Müßiggangberuf" bezeichnet: als künstlerische oder kreative Beschäftigung, die nicht der Nine-to-Five-Regel unterliegt und daher dem Verdacht ausgesetzt ist, letztlich Nichtstuerei zu sein: "Wie Sie vielleicht schon vermuten, handelt es sich bei der Tätigkeit eines Kritikers oder Glossenschreibers um einen Müßiggangberuf - weil man uns ja, ähnlich wie Hausfrauen, Penner und Schriftsteller, nie was Richtiges arbeiten sieht, und dann macht es den Eindruck, wir täten nichts, und das ist uns dann manchmal doch recht peinlich." (21.07.1987).

Wie man sich bei der Münchnerin mit preußischer Disziplin vorstellen kann, wirkte Ponkie allerdings nie wie ein Taugenichts. Und sich allabendlich unendlich viele TV-Sendungen reinzuziehen und dabei durch "Krawall-Talk-Bedröhnung" oder die vielen "Hirnstaubsauger"-Sendungen nicht die gute Laune und Menschenfreundlichkeit zu verlieren, ist eine der vielen Lebensleistungen von Ponkie. Was hatte sie oft gefordert? Eine "TV-Kanalreinigung". Und wäre Ponkie die Reinigungsfachfrau in den Chefetagen der TV-Sender gewesen, wäre dabei sicher keine "Meister-Proper-Ästhetik" rausgekommen - wieder so ein wunderbarer Ponkismus, von denen es natürlich viel mehr gibt als unsere rausgesuchten 200.


"Ponkie - Elfmeter ins Gehirn: Ein Alphabet von Ponkismen" (Verlag Attenkofer, ISBN: 978-3-947029-53-2, 152 Seiten, Softcover, 12,80 Euro). Im AZ- Shop: abendzeitung.de/ponkie

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