Bayern und Österreich: Verfreundete Brüder

AZ-Redakteur Stephan Kabosch, in Innsbruck aufgewachsen und seit 2000 in München lebend, über die bayerisch-österreichische Nachbarschaft.
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Es war ein schmuckloser brauner Kasten. An einem Frühlingstag 1972 stand er im elterlichen Wohnzimmer in Innsbruck. Der erste Fernseher, ein Schwarz-Weiß-Gerät. Was da in die Wohnung flimmerte, das waren für mich, den damals Achtjährigen, auch die ersten Bilder aus München. Dieser frühe Eindruck war dunkel, düster, gefährlich. „Der Kommissar“, heimlich an Freitagabenden angeschaut, brachte Mord und Totschlag ins Zimmer.

Doch dann, im Spätsommer ’72, leuchtete dieses München. Olympia fast vor der Haustüre. Während die Erwachsenen sich unterhielten über die Fröhlichkeit der Gastgeber, die Leichtigkeit des Stadiondaches, wie sie geschockt waren, als nach dem Terror die Spiele weitergingen und das Fest vorbei war, entdeckten wir Kinder unsere ersten Helden. Sie hießen Mark Spitz und Klaus Wolfermann.

Als wir später, im Sommer 1974, auf dem Bolzplatz Fußball-WM spielten, wollte jeder einer der Bayern-Stars sein – Paul Breitner oder Sepp Maier. Keiner mochte als Friedl Koncilia im Tor stehen, niemand als Herbert Prohaska über den Platz laufen. Aber vier Jahre und ein Länderspiel, ja das in Cordoba, später, waren wir dann alle Hans Krankl.

Damals wurde Österreich von Bruno Kreisky regiert. Er hat einmal gesagt: „Nach Bayern komme ich immer gern. Da bin ich nicht mehr ganz in Österreich und noch nicht ganz in Deutschland.“ Ein bisschen galt das auch für uns. München war den heranwachsenden Tirolern schon immer näher als Wien: geografisch, sprachlich und emotional.

Irgendwie leuchtete in Deutschland immer alles ein bisschen heller

Daher führten Familienausflüge in den Tierpark nach Hellabrunn, Schul-Exkursionen ins Haus der Kunst. Und am 8. Dezember, dem Marienfeiertag, machte sich halb Innsbruck jedes Mal auf den Weg. Einkaufen, bummeln und staunen. In den siebziger Jahren gab es in München tatsächlich noch Dinge, die man in Österreich nicht kaufen konnte. Und irgendwie leuchtete in Deutschland alles immer ein bisschen heller.

Damals gab es noch Schlagbäume in Kiefersfelden und in Scharnitz. Die Zöllner dort erschienen uns weniger streng als die am Brenner. Und oberhalb von Mittenwald sollen ab und zu die Deutschen und Österreicher gemeinsam in einem Zollgebäude gesessen haben – beim Watten, dem Tiroler Lieblings-Kartenspiel, oder beim Schafkopfen.

Dabei war die Beziehung zwischen Bayern und Österreich nicht immer einfach in all den Jahrhunderten. Man gehörte zusammen, war getrennt, Nachbar und Waffenbruder, Rivale und Feind. Alles hat Platz in dieser Geschichte, nur keine Gleichgültigkeit. Wir sind verfreundete Brüder.

Da war die Sendlinger Mordweihnacht 1705, als die Habsburger-Armee bayerische Aufständische niedermetzelte. Und da war auch der „Tiroler Freiheitskampf“ 1809, als sich Andreas Hofer mit seinen Männern gegen Bayern und Franzosen erhob. Autor Felix Mitterer („Die Piefke-Saga“) zeichnet im Film die „Freiheit des Adlers“ die blutigen Schlachten am Bergisel bei Innsbruck nach. In einer Kampfpause lässt er einen der Krieger sagen: „I möcht’ schon wissen, was der Unterschied is’ zwischen an Bauern aus Garmisch und an Bauern aus Sterzing.“ Die ganze Banalität des Bruderkriegs kommt darin zum Ausdruck. Oder wie der Wiener Essayist Günther Nenning befunden hat: „Österreicher und Bayern sind Erbfeinde. Was ein richtiger Feind ist, erkennt man daran, dass er ununterscheidbar ist von einem selbst.“

Die Bayern arbeiten dort, wo sie früher Urlaub machten

Österreicher und Bayern ununterscheidbar? Das wohl nicht – schon allein aus dem Grund, weil weder die einen noch die anderen eine homogene Bevölkerung sind. Aber man ist in den vergangenen Jahrzehnten noch enger zusammengewachsen. Sicher, es gibt immer wieder kleinere Nadelstiche – in der Verkehrspolitik, in der Wirtschaftspolitik. Oder auch größere wie aktuell wegen der Pleite der Bayerischen Landesbank mit der Kärntner Hypo Alpe Adria. Aber im Großen und Ganzen ist das Verhältnis unverkrampft. Die Alpenrepublik wurde 2010 wichtigster Handelspartner Bayerns, der EU-Beitritt Österreichs 1995 hatte alles noch einfacher gemacht. 82000 Österreicher haben heute ihren Lebensmittelpunkt im Freistaat.

Und seit etwa zehn Jahren findet dieser Zuzug nicht mehr auf einer Einbahnstraße statt. Immer mehr Bayern leben dort, wo sie früher Skiurlaub machten oder direkt durchfuhren zum Gardasee. Sie arbeiten in Salzburg, Oberösterreich und Tirol, sie studieren in Graz, Linz und Wien.

Ein bisschen Österreich steckte doch schon immer auch in München. Viele der ersten „Zuagroasten“ kamen über das heutige Niederösterreich. Das Münchner Rathaus hat ein gebürtiger Grazer entworfen. Und auf dem Oktoberfest tummelt sich traditionell jede Menge Rot-Weiß-Rot unter dem weiß-blauen Himmel. Bedienungen mit Salzburger und Kärntner Dialekt bringen die Maß zu den Klängen von „Fürstenfeld“, „Sierra Madre“ und dem „Anton aus Tirol“.

Das war auch damals so, 2002, bei meinem ersten Firmen-Wiesnbesuch zwei Jahre nach dem Umzug von Innsbruck nach München. Die Kollegen zünftig in Lederhosen und Strickjacke – und mit norddeutschem Zungenschlag. Als ich mich dann am Gespräch beteiligte, kam es vom urbayrisch dominierten Nebentisch herüber: „Hobt’s ja do no oan dabei, der boarisch is’.“ Ich war endgültig angekommen – als Österreicher unter Bayern.

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