Zum Tode von Benedikt XVI.: Ein alter Papst, ein angstvoller Papst, ein armer Papst

Der AZ-Verleger erinnert sich an ein Treffen mit Benedikt in Rom 2018.
Martin Balle |
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Das Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten, der letzte Wohnsitz Benedikts.
Das Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten, der letzte Wohnsitz Benedikts. © Foto: dpa

Der Besuch kam unverhofft. Meinem alten, längst pensionierten Lateinlehrer war es über Beziehungen zur Haushälterin von Georg Ratzinger tatsächlich gelungen, für seinen Freund, den Karmelitermönch Pater Englmar zu dessen 90. Geburtstag eine Privataudienz zu bekommen. Bei Papst Benedikt XVI. in Rom. Der war zwar längst zurückgetreten, aber das war dann doch ein besonderes Geschenk!

Und jetzt trauten sie sich also nicht alleine auf die weite Reise nach Rom. Der Mönch und der Lehrer. Der Flug, die Strapazen, das Ungewisse. So wurden wir also eingeladen mitzukommen. Markus Pannermayr, immer noch junger Oberbürgermeister der Stadt Straubing, und ich, der Rom liebt und vor Jahren sogar Latein studierte.

Erst liberaler Aufbruch, dann Konservatismus

In München war ich Ratzinger niemals begegnet. Dass jetzt diese Begegnung im ganz kleinen Rahmen möglich würde, war mehr als spannend. Auf dem Hinflug ging mir nochmals alles durch den Kopf, was ich über den Mann wusste.

Sein früher Aufbruch ins Offene und Liberale beim Zweiten Vatikanischen Konzil an der Seite von Hans Küng, der später liberal blieb. Dann der Bruch im Denken: Die Gewalt, die 1968 die Universitäten erschütterte. Vorlesungen mussten abgebrochen werden, Professoren wurden niedergeschrien, Autoritäten buchstäblich von der Kanzel gestoßen.

Das war zu viel für einen Mann, der als Professor im Denken und Sprechen zuhause war. So also die Lebenswende hin zum Konservatismus. Auch ein lebenslanges Misstrauen, das jetzt blieb und ihn unnahbar und fast unmenschlich machte. Meine Reise nach Freiburg am Ende seiner Zeit als Papst.

Missbrauchsfälle - das große Ganze nicht beschmutzen

In seinem Vortrag für die geladene Öffentlichkeit streift er die immer drängenderen Probleme des massenhaften Missbrauchs in seiner Kirche mit nur einem Satz. Eine Fußnote, die das große Ganze nicht beschmutzen soll. Ich verstehe ihn, mir ist aber auch klar damals, dass das so nicht aufgehen wird. Immerhin sein Sprechen von einer "armen Kirche", die alleine Zukunft habe, das wird am nächsten Tag in allen Zeitungen stehen.

Ein Beginn, der Hoffnung macht, die jedoch bald enttäuscht wird

Sein großer Beginn am Anfang kurz nach seiner Wahl. "Deus caritas est" heißt die erste Enzyklika, die von der Liebe Gottes zu den Menschen und den Menschen untereinander handelt. Ein großer Wurf, der Hoffnung macht. Dann Enttäuschungen. Enzykliken, denen der Bruch im Denken, der aus der Angst kommt, anzumerken ist.

"Ein Papst, der die raue Wirklichkeit kaum ansehen mag"

Seine Reise nach Übersee, dort Gespräche mit Missbrauchsopfern, aber nur ausgewählte. Im Radio sprechen die, die von Anfang an nicht gehört werden sollten. Ein Papst, der die raue Wirklichkeit kaum ansehen mag, sie kaum aushält. Der spürt, dass so vieles wegschwimmt, was die Würde und Kultur der Menschen ausmacht. Mit allem, was er tut und schreibt, beschwört er nochmals eine Welt herauf, die in der digitalisierten Postmoderne längst unterzugehen begonnen hat.

Ein alter Papst. Ein angstvoller Papst. Ein armer Papst.

Und jetzt stehen wir schon vor seinem kleinen Kloster mitten im Vatikan. Geöffnet wird die Tür von einer Klosterschwester, die uns mit breitem Lachen sagt, wie sehr sich der alte Mann freue, Freunde aus seiner alten Heimat zu begrüßen. Eine letzte Treppe noch, eine zweite Klosterschwester öffnet die Tür zu seinem Privatgemach und gibt den Blick frei auf den alten Mann, der da sitzt und den Blick neugierig auf seine Gäste richtet.

Bayern, München, Regensburg und die Tigerbabys im Straubinger Tierpark

Mit einem Knopfdruck bewegt sich der Stuhl des alten Manns nach oben und kippt ihn nach vorne auf den Rollator zu, der ihm das kurze Stehen zur Begrüßung noch erlaubt. Er schüttelt vorsichtig unsere Hände, bevor er sich wieder mühsam setzen kann. Das Gespräch? Es geht fast nur um den Straubinger Tierpark. Der alte Papst hat genau verfolgt, dass die Tigerbabys zur Welt gekommen sind, und bedauert es aus ganzem Herzen, dass er die nicht mehr wird besuchen und sehen können. Er fragt nach seiner Heimat, nach Bayern, nach München, nach Regensburg.

Bilder der Erinnerung. Einsamkeit.

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"Ein letzter Gruß des alten Mannes"

Am Ende darf der alte Karmelitermönch noch eine halbe Stunde alleine mit Benedikt sprechen. Auf dem Heimflug wird er sagen, dass das eine der schönsten halben Stunden seines Lebens war. Zurück in Straubing lasse ich Fotos machen. Von den Tigerbabys. Hunderte. Die schönsten davon schicken wir nach Rom.

Ein paar Wochen später erhalte ich selber Post aus Rom. Zwei Fotos von Benedikt. Fein signiert, mit Gottes Segen versehen. Ein letzter Gruß des alten Mannes, der sich in der ganz neuen Zeit nicht mehr zurechtfand.

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4 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 03.01.2023 16:22 Uhr / Bewertung:

    Ich frag mich sowieso, ob er wirklich Papst werden wollte. Denn sein freiwilliger Rücktritt gibt einem schon zum Denken.
    Und wie er einmal sagte, die 68er Bewegung wäre Schuld an den Missbrauchsfällen, und nicht das Zölibat und die mittelalterliche Kirchenpolitik, der verweigert sich in meinen Augen der Realität.
    Und grundsätzlich....lauter alte Männer wollen darüber entscheiden, ob eine Frau abtreiben darf oder nicht.
    Dann kommt noch, "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", aber Homosexualtität in der Kirche geht garnicht. Da wird man gleich von allen kirchlichen Ämtern entbunden oder darf nicht mehr in kirchlichen Organisationen tätig sein.

  • Monaco_Flote am 02.01.2023 21:28 Uhr / Bewertung:

    Man sollte sich mal die ausländischen Zeitungen durchlesen, wie die über Benedetto schreiben :
    Nämlich positiv! Nur in Deutschland und Österreich muss man ehrvolle Personen, die nicht ins eigene Weltbild passen demontieren. Siehe auch z.B. Matteschitz.

  • Witwe Bolte am 03.01.2023 07:26 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Monaco_Flote

    Typisch deutsch eben: man findet bei jedem was Negatives und das wird dann eben überdimensioniert hervorgehoben. Wer suchet, der findet.
    Der Selbsthass der Deutschen ist weltweit bekannt.

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