Widerstand in Berchtesgaden: "Wir wollen keinen Nazi-Tourismus"
Berchtesgaden - Die Faust trifft den nach einem Fahrradunfall geistig Beeinträchtigten mitten ins Gesicht. Der Angreifer und seine Begleiter: aus der rechten Szene, sagt der Kneipier des "Kuckucksnests", Jakob Palm, Gemeinderat in Schönau am Königssee. Ein Instagram-Clip und zwei Tage später hat sich eine Bewegung formiert: "Wir brauchen in Berchtesgaden keinen Nazi-Tourismus."
Der Schlägertrupp kam aus dem Nichts, erzählt Palm. Der links inspirierte rote Stern, der die Bar kennzeichnet, habe sie wohl provoziert, mutmaßt er. Ohne große Worte standen sie plötzlich vor der Bar am Bahnhofsberg in Berchtesgaden. Die Stunden zuvor seien gute gewesen: Inklusionsprogramm für Beeinträchtigte, gemeinsame Spiele, schöne Erlebnisse, fasst der Barbesitzer zusammen.
Nach Nazi-Attacke in Berchtesgaden: Einheimische organisieren "Stammtisch wegen Rechts"
Der eine trug ein "Division Deutschland"-T-Shirt, erinnert sich Palm. Das ist Kleidung, die in der rechten Szene verbreitet ist. Auf Instagram hat er den Vorfall in einem Video geschildert, eindrücklich, mit stechendem Blick, tiefem Timbre und großem Echo. 12.000 Menschen schauten das Video: Aufgebaut und aufmarschiert seien sie.
Einschüchtern wollten sie. "Einschüchtern heißt für die Feiglinge, einem geistig Beeinträchtigten ins Gesicht zu schlagen und dann davonzulaufen", sagt Palm. "Ihr wisst gar nicht, was ihr da angestellt habt." Die Resonanz auf das Video war gewaltig: dutzende Kommentare, hunderte Likes.

Geboren war die Idee eines "Stammtischs wegen Rechts". 40 Leute sind spontan erschienen, jung und alt, "klar positionieren" müsse man sich, sagt einer. Das Treffen findet im "Kuckucksnest" statt, dort, wo sich die Attacke zutrug. Mit einer Streife waren die Beamten am Tattag ausgerückt.
Die Polizisten konnten zwei der drei Beteiligten unmittelbar danach im Umfeld der Bar aufgreifen, sagt ein Polizeibeamter auf Nachfrage. Die Aufgegriffenen stammen nicht aus Berchtesgaden, sondern seien hier nur auf Urlaub, heißt es.
Lokalpolitiker aus Schönau am Königssee: Jakob Palm will ein Statement gegen Rechts setzen
"Rechts hat bei uns nichts verloren", sagt ein Gast des spontan einberufenen Stammtischs. "Gegen Rechts. Jetzt! Immer", so sagt es Palm. Er ist nicht nur Barbesitzer, sondern auch Lokalpolitiker. Er sitzt für die Grünen im Gemeinderat von Schönau am Königssee. Ein Statement setzen – das wollen alle im Raum. Sie hocken auf Holzstühlen, lehnen an der Wand, trinken Bier und Spezi und diskutieren darüber, Rechts Einhalt zu gebieten.
Der Lokalpolitiker hat sich als Stütze einige Notizen gemacht. Es fallen Sätze wie: "Nicht gewaltbereit, aber für Gewalt bereit", und: "Den Kampf haben wir gewonnen – weil wir ihn vermieden haben." Wütend-motivierter Hass sei das eine. Das andere ist: "Wie können wir die Welt besser machen?" Dass Gewalt keine Lösung sei, darüber ist man sich schnell einig. Die Ideen sprudeln.
"In Berchtesgaden haben wir einen rechten Tourismus"
Der Geschädigte ist auch beim Treffen mit dabei. Als er 17 Jahre alt war, hatte er einen schweren Unfall, Folgeschäden am Gehirn. "Was diesem Kerl mit 17 passiert ist, hätte jedem von uns passieren können – und das wissen wir. Deshalb respektieren wir ihn und passen auf ihn auf", so Palm.
"In Berchtesgaden haben wir mitunter einen rechten Tourismus", sagt eine Teilnehmerin des Treffens. "Wir wollen nicht, dass Menschen kommen, die an Hitlers Berghof Blumen ablegen und sich Hitlers Kehlsteinhaus anschauen", sagt sie. Immer wieder finden sich Kerzen und Blümchen, das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin betreibt eine Sammlung der Fundstücke.
"Kaum einer weiß über den Nazi-Tourismus in Berchtesgaden Bescheid" – das soll sich ändern
Etliche Bäume im Wald rund um den ehemaligen Regierungssitz zieren Hakenkreuze in der Rinde – teilweise Jahrzehnte alt. Das Problem sei früher größer gewesen als heutzutage, heißt es aus dem IfZ. Im vorvergangenen Jahr hatten rechte Gesinnungsgenossen an Hitlers Geburtstag ein Holzkreuz am Berghof gebaut, Blumen- und Kerzenschmuck drapiert.
Eine Unterschriftenaktion wollen die jungen Leute nun starten, Aktionismus wegen Rechts. Eine Demo? Aktionismus mit Hinschau-Garantie? Mal sehen. Fakt sei: "Kaum einer weiß über den Nazi-Tourismus Bescheid", unterstreicht ein Anwesender. Das müsse sich nun ändern.
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