Umstrittene Paragrafen – Bürokratieabbau trifft Alpenschutz

In Rekordzeit entscheidet der Landtag über das dritte Modernisierungsgesetz. Es soll Bürokratie abbauen, doch es ist umstritten. Was steckt hinter dem Streit? Und was haben die Alpen damit zu tun?
Leonie Asendorpf, dpa |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Auch Beschneiungsanlagen, wie diese Schneekanone, sollen in zukünftig seltener auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden.
Auch Beschneiungsanlagen, wie diese Schneekanone, sollen in zukünftig seltener auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden. © Karl-Josef Hildenbrand/dpa
München

Kann der Abbau von Bürokratie im Jahr 2025 in Bayern tatsächlich die Zukunft der Millionen Jahre alten Alpen gefährden? Über diese Frage ist im Freistaat in den vergangenen Wochen und Monaten ein heftiger Streit entbrannt. Doch trotz lauter Kritik eines breiten Bündnisses aus Parteien, Verbänden und Organisationen - an diesem Mittwoch wollen CSU und Freie Wähler im Landtag ihre Gesetzesreform durchsetzen. Hier den Überblick zu behalten, fällt Außenstehenden schwer. Der Versuch einer Annäherung.

Gesetz soll schon am 1. August in Kraft treten

Auslöser der Debatte ist das sogenannte dritte Modernisierungsgesetz. Es wurde Mitte Februar vom Kabinett beschlossen, am 1. August soll es in Kraft treten. Das Ziel: Die Entbürokratisierung in Bayern voranbringen. Unter anderem sind darin Änderungen an Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) vorgesehen. Beispielsweise sollen die Grenzwerte für die verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfungen bei Beschneiungsanlagen, Skipisten und Seilbahnen sowie die Inanspruchnahme von Biotopen deutlich erhöht werden. 

Hier kommen die Kritiker ins Spiel. Nicht nur in sozialen Netzwerken macht das Bündnis von Grünen und SPD, ÖDP, dem Bund Naturschutz, dem Deutschen Alpenverein und Fridays for Future Stimmung gegen die Novelle - auch auf dem Marienplatz in München. Mit Alphornmusik und Kuhglocken protestierten am Dienstag etwa 250 Menschen unter dem Motto "Rettet die Berge!" im Herzen der Landeshauptstadt.

Bündnis befürchtet Angriff auf Umweltstandards

Für die Kritiker steht fest: Die Staatsregierung startet mit dem Gesetz unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus einen massiven Angriff auf wichtige Umweltstandards, insbesondere in der auch für den Tourismus so wichtigen Bergwelt Bayerns. "Arten und Lebensräume in den Alpen sind durch den Klimawandel ohnehin schon sehr stark unter Druck", warnt Steffen Reich vom Deutschen Alpenverein. Die Grenzwerte zu erhöhen und in der Folge weniger Umweltverträglichkeitsprüfungen zu machen, sei das völlig falsche Signal.

Das wollen die Befürworter nicht gelten lassen: "Die Protestaktion ist unbegründet und geht völlig an der Realität vorbei." Bayerns Natur sei und bleibe stark geschützt, betonte kürzlich der umweltpolitische Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, Alexander Flierl. Inhaltlich gebe es beim Naturschutz keine Abstriche. "Wer glaubt, dass mehr Formulare mehr Umweltschutz bedeuten, liegt falsch."

Welchen Einfluss haben die Änderungen auf den Umweltschutz?

Bleibt die Frage, welche Folgen das Gesetz in der Praxis haben könnte. Konkret soll etwa bei Schleppliften und Seilbahnen erst ab einer Länge von über 3.000 Metern, anstatt über 1.000 bzw. 2.500 Metern wie bisher, geprüft werden, ob sie mit der Umwelt verträglich sind. Steffen Reich zufolge sind nur sechs der über 600 Seilbahnen im Freistaat über drei Kilometer lang. Die große Mehrheit der Bahnen und Lifte würde also nicht mehr geprüft werden.

Auch sollen die Grenzwerte für Skipisten im Bayerischen Naturschutzgesetz angehoben werden: Demnach müssen Skipisten nach Inkrafttreten des Gesetzes 20 Hektar, anstatt wie bisher festgelegt 10 Hektar groß sein, damit die Betreiber dazu verpflichtet sind, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.

Zeigt sich in Österreich, wohin die Reise gehen kann?

Bei der Änderung der Grenzwerte für Skipisten wird dagegen von den Befürwortern des Gesetzes auf das Nachbarland Österreich verwiesen, wo bereits ein Grenzwert von 20 Hektar gilt. In Österreich seien seit 2002, also seit über 20 Jahren, nur elf Umweltverträglichkeitsprüfungen an Skipisten durchgeführt wurden, sagt Liliana Dagostin vom Alpenverein Österreich. "Das könnte Bayern nun auch drohen!". Bisher komme man im Freistaat laut Reich bereits innerhalb von zwei Jahren auf elf Prüfungen. Österreich sei darüber hinaus das einzige Gegenbeispiel. In anderen Skigebieten in Südtirol oder der Schweiz lägen die Grenzwerte unter denen in Bayern.

Reiht sich das Gesetz in eine Gesamttendenz ein?

Entscheidend sei bei dem neuen Gesetz laut Kritikern vor allem die Richtung, in die es geht: Der Umweltschutz werde aufgeweicht, und das unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus. Dagegen heißt es von CSU und Freien Wählern, dass es keine Abstriche beim Schutz der "Schöpfung" geben solle. Wer hat nun recht?

Ein Blick in das vierte Modernisierungsgesetz, welches sich derzeit in der Verbandsanhörung befindet, zeigt: Nur drei Jahre nach der Einführung soll die Pflicht zur Vorlage eines Klimaberichtes wegfallen, dafür sollen aber wohl Rohdaten zur Klimabilanz online abrufbar bleiben. Berichte soll es nur noch geben, "wenn es angezeigt und sachgerecht ist", heißt es im Gesetzentwurf. Den Zeitpunkt "können vorrangig die Berichtenden selbst bestimmen".

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
Teilen
lädt ... nicht eingeloggt
 
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.