Spitzenkoch Henze im Interview: "Wer noch mit Gänseleber arbeitet, ist nicht ganz dicht"
AZ-Interview mit Christian Henze (53): Der Allgäuer Spitzenkoch hat bei Eckart Witzigmann und für Playboy Gunter Sachs gearbeitet. Er schreibt Bücher, betreibt eine Kochschule und ist im MDR als TV-Koch zu sehen.
AZ: Herr Henze, Sie haben mit erst 53 Jahren Ihre Biografie veröffentlicht. Warum denn jetzt schon?
CHRISTIAN HENZE: Ich bin eines Morgens aufgewacht und habe gedacht, ich brauche eine Biografie. Ich habe in den noch jungen Jahren einfach unglaublich viel erleben dürfen, das wollte ich zu Papier bringen, weil es so viele interessante und spektakuläre Sachen sind. Und wer weiß, was noch kommt.
Unter anderem haben Sie bei Münchens Spitzenkoch-Legende Eckart Witzigmann gearbeitet. Wie witzig war es bei Herrn Witzigmann wirklich?
Es war für mich wie Harvard und Oxford zusammen, in der "Aubergine" arbeiten zu dürfen als junger Koch. Da war ich der glücklichste Mensch auf Erden. Aber es war natürlich eine extrem harte Schule. Wir haben Herrn Witzigmann vergöttert, er war die Kochpersönlichkeit damals. Deswegen haben wir auch viel ertragen, was heute so wahrscheinlich nicht mehr funktionieren würde.
Christian Henze: "Heute funktioniert es nur kooperativ und mit Wertschätzung"
Kürzlich hat "Die Zeit" eine große Recherche über die harten Bedingungen, Ausbildungsmethoden und den Hungerlohn in der Spitzengastronomie veröffentlicht. Hat sich da was getan seit Ihrer Lehrzeit? Sie schreiben ja selbst, "heftige Sprüche gehören in der Küche einfach dazu".
Heute ist es nicht mehr so. Wer heute eine Küche führt wie vor 30 Jahren, der hat keine Mitarbeiter mehr. Heute kann es nur kooperativ und mit Wertschätzung funktionieren.

Aber ein gewisser Druck herrscht in der Küche schon, oder?
Wenn das Restaurant voll ist, die Erwartungshaltung der Gäste hoch, dann muss man dem als Küche gerecht werden. Das funktioniert nicht mit den Worten "Lieber Koch, könntest du bitte ins Kühlhaus gehen und ein Sträußlein Petersilie holen, vielen Dank schon mal im Voraus". Das geht nicht. Ein knackiger Ton muss da schon herrschen, weil alles just in time produziert werden muss. Die Köche müssen angeleitet und dirigiert werden. Aber auch knackiges Kommando verträgt "Bitte" und "Danke".
"Gunter und Mirja Sachs waren extrem schillernd und interessant"
Nach Ihrer Zeit in der "Aubergine" wurden Sie Anfang der 90er Privatkoch von Gunter Sachs und seiner Frau Mirja. Wie waren diese zwei Jahre für Sie?
Mir hat sich eine völlig neue Welt eröffnet. Gunter und Mirja Sachs waren extrem schillernd und interessant. Er war auch astrologisch bewandert. Beim Vorstellungsgespräch habe ich erst mit Mirja gesprochen, da war ich hin und weg. Dann bin ich noch zu Gunter, ich komme rein und er sagt: "Sie haben ja Haare auf dem Kopf und keinen Bauch, Sie sind der Koch?" Er hat mich dann nur noch gefragt, nachdem er mich 15 Sekunden gemustert hat, welches Sternzeichen ich hätte. "Krebs". - "Sie sind eingestellt". Darauf folgte ein unglaublich interessantes Leben, Palm Springs, Gstaad, St. Tropez, dort waren wir überall. Und ich war nicht der Koch, sondern der Christian, der mit ihnen mitleben durfte. Die Chance, sowas erleben zu dürfen, ist Wahnsinn! Roman Polanski hat beispielsweise mit mir gekocht, ich durfte Joan Collins kennenlernen oder auch Linda Evangelista.
Inwiefern hat Sie das geprägt?
Ich durfte viel lernen, konnte mir vieles abschauen. Gunter hat zu mir gesagt: "Spezialisier dich auf eine Sache, die du kannst. Wirf das in die Waagschale, was du richtig gut kannst." Das habe ich mir gemerkt.
Dennoch haben Sie nach zwei Jahren der Familie Sachs den Rücken gekehrt.
Ich hätte den Job meines Lebens gehabt, aber ich hatte alles gesehen. Und ich wollte schon immer mein eigenes Ding machen. Also habe ich mich selbstständig gemacht.
Ihr "Landhaus Henze" gibt es mittlerweile aber nicht mehr - nach 14 Jahren mit Stern im Allgäu.
Ja, das war ein kulinarisches Kleinod. Wir waren im Umkreis von 100 Kilometern das einzige Sternerestaurant und jeden Tag ausgebucht. Aber auch da hab ich mir gedacht, irgendwas muss passieren. Stillstand ist Rückschritt. Sonst wachse ich nicht. Ein Freund hat dann zu mir gesagt: "Hör auf, wenn du ganz oben bist und mach dich auf auf neue Wege". Das hat noch eineinhalb Jahre gebraucht, aber dann habe ich beschlossen, aufzuhören.
Jetzt sind Sie Fernsehkoch, Sie haben eine Kochschule und schreiben Kochbücher - Sie sind also viel beschäftigt und umtriebig. Wie haben Sie da die Corona-Krise erlebt?
Der erste Lockdown war surreal für uns alle. Es war aber auch für die Familie eine besondere Zeit. Wir hatten zwar alle Angst, waren aber alle zusammen im Haus. Das hat uns gutgetan. Ich habe viel gekocht, Kuchen gebacken. Das war toll - losgelöst von der Angst, was, auch geschäftlich, passieren wird. Beratung und Bücher liefen zum Glück ja auch ganz normal weiter. Nur die Gastronomie stand still.
Christian Henze: "Fleischersatz wird eine immer größere Rolle spielen"
Die Gastronomie ändert sich momentan, da sich die Esskultur ändert. Fleischkonsum steht als Klimakiller in der Kritik. Blicken Sie positiv in die Zukunft der Ernährung?
Auf jeden Fall. Fleischersatzprodukte werden in den nächsten Jahren verstärkt kommen, es wird mehr Gemüse gegessen werden. Ich habe selber fünf Wochen vegetarisch gelebt, um das auszuprobieren. Ich glaube fest daran, dass es in den nächsten Jahren bedeutend weniger Fleisch gibt und mehr ökologische Lebensmittel.
Kommt das in der Gastronomie an? Es gibt doch in der Sterneküche immer noch Hummer und Gänseleber?
Wer in Deutschland heute noch Gänseleber verarbeitet, ist nicht ganz dicht. Bei den Franzosen und in Ungarn ist das kulturell noch mehr verankert. Aber hierzulande findet auch ein Umdenken statt: Nachhaltigkeit, Saisonalität und Regionalität rücken in den Fokus und sind das neue Bio. Das wird immer mehr praktiziert, auch in den Supermärkten gibt es immer mehr Obst und Gemüse aus der näheren Region.
Haben Sie das in Ihrem "Landhaus" auch schon so in den Vordergrund gerückt?
Da waren Steinbutt, Loup de Mer, Hummer, Gänsestopfleber, Trüffel gesetzt, aber ich habe mich damals schon gefragt, warum kann es nicht auch mal ein schöner Zander aus der Region sein. Ich habe das da schon angefangen.
Christian Henze: "Vegetarische Küche ist der Hero der Zukunft"
Gibt es bei Ihnen an Weihnachten auch Fisch?
Nein, da gibt es einen sauguten Kartoffelsalat und Wienerle. Da freu ich mich das ganze Jahr drauf. Und am ersten Weihnachtsfeiertag Raclette.
Also nichts Aufwendiges?
Aufwendige Küche ist im Privatbereich überhaupt nicht meins. Wenn ich zu Hause koche, stehe ich nie länger als eine halbe Stunde in der Küche. Wir machen Brotzeit, Salate oder indische Gerichte wie Süßkartoffelcurry.
Sie haben auch nicht so viel Zeit, weil Sie schon an Ihrem neuen Kochbuch arbeiten, oder?
Ja, aber das ist etwas ganz anderes als bisher. Es heißt "Pur - Gemüse" und beleuchtet die 30 gängigsten Gemüsesorten und jeweils die drei für mich besten Zubereitungsarten. Wenn Sie beispielsweise Fenchel oder Karotten auf dem Markt kaufen, zeige ich andere Varianten auf, die noch unbekannter sind. Etwa die gelben Rüben mit Olivenöl, Fleur de Sel und Harissa eingestrichen im Ofen zu rösten. Das ist eine kulinarische Sensation! Ich glaube, vegetarische Küche ist der Hero der Zukunft.
Klingt spannend. Wann erscheint das Buch?
Im Frühjahr.
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