Nicht nur der Berg leistet Widerstand: Der Brenner-Basistunnel lässt weiter auf sich warten

Das Jahrhundertprojekt Brenner-Basistunnel wird noch lange dauern – auch wegen der deutschen Behäbigkeit. Wo genau die Züge auf oberbayerischer Seite unterwegs sein werden, bleibt unklar – das verärgert die Nachbarn.
von  Ralf Müller
Die Hauptröhre des Brenner-Basistunnels.
Die Hauptröhre des Brenner-Basistunnels. © Expa/Johann Groder/dpa

Die unsichtbare und unhörbare Bahntrasse ist noch immer nicht erfunden. Und sie wird es voraussichtlich auch in den 40er-Jahren dieses Jahrhunderts nicht sein. Dann sollen Passagier- und Güterzüge von Deutschland aus in Rekordzeit die Alpen unterirdisch durcheilen.

Wie lange die Bahnfahrer der ferneren Zukunft dazu benötigen werden, weiß man nicht. Denn es steht nicht fest, wo genau die Züge auf oberbayerischer Seite unterwegs sein werden. Der Widerstand gegen Bahntrassen über Tage scheint größer als der des Gebirges zu sein.

Fahrzeit verkürzt sich von 80 auf 25 Minuten

Eines steht fest: Zwischen Innsbruck und der Südtiroler Gemeinde Franzensfeste wird sich durch den 55 Kilometer langen Brenner-Basistunnel (BBT) die Fahrzeit für Personenzüge von jetzt 80 auf 25 Minuten verkürzen. An diesem Eisenbahntunnel, der einmal der längste der Welt werden soll, wird seit 18 Jahren gegraben, gebohrt und gesprengt. Bauherren sind die Republiken Österreich und Italien sowie als maßgeblicher Geldgeber die EU.

Wie das so bei Mega-Projekten ist, zieht sich auch dieser Tunnelbau in die Länge. Seine Fertigstellung wurde bereits vor Längerem um vier Jahre auf 2032 verschoben. Grob geschätzte Gesamtkosten: zehn Milliarden Euro.

Gut drei Viertel der insgesamt 230 Tunnelkilometer tief unter dem überlasteten Brenner-Straßenpass sind bereits gegraben. Die vielen Kilometer erklären sich, weil es sich eigentlich um drei Tunnels handelt: Zwei Hauptröhren mit je einem Gleis im Einbahnverkehr und einem mittig dazwischen verlaufenden „Erkundungsschacht“, der später als Wartungs- und Entwässerungsschacht dienen soll. Dazu kommen im Abstand von 333 Meter sogenannte „Querschläge“, die als Fluchtwege dienen. Dem 55 Kilometer langen Haupttunnel im Norden schließt sich der neun Kilometer lange „Inntaltunnel“ an.

Ab 2032 soll es soweit sein

Vor vier Jahren bremste der juristische Streit mit einem beauftragten Baukonsortium den Vortrieb, und vor zwei Jahren hatte die riesige Tunnelbohrmaschine „Flavia“ Probleme mit einer hartnäckigen geologischen Verwerfungszone, was die Arbeiten um ein halbes Jahr zurückwarf.

Doch ab 2032 soll es tatsächlich so weit sein, dass Personenzüge mit bis zu 250 und Güterzüge mit maximal 160 Stundenkilometern durch die Röhren rauschen können. Tirol erhofft sich davon eine massive Entlastung der Inntal- und Brennerautobahn vom Straßengüterverkehr.

Ohne die deutsche Strecke kann der Tunnel seine Wirkung nicht entfalten

Doch selbst wenn die Tunnelbauer den Fertigstellungstermin 2032 einhalten können, ist noch lange nicht alles gut. Wenn die Bahn-Zulaufstrecken nördlich des Supertunnels nicht ausgebaut werden, kann der Supertunnel seine volle Wirkung nicht entfalten. Und da kommt auch die Bundesrepublik Deutschland ins Spiel. Seit etlichen Jahren wird darum gestritten, wie die künftige Bahnstrecke südöstlich von München bis zur österreichischen Grenzstadt Kufstein verlaufen soll.

Güter und Personen auf die Bahn verlagern will jeder. Aber keiner ist von der Vorstellung angetan, eine Hochgeschwindigkeitstrasse vor die Nase gesetzt zu bekommen. „Türkis“, „Limone“ und „Gelb“ lauten die Varianten nördlich von Kufstein. Vollends zufrieden ist man mit keiner Variante. Nach Jahren der Diskussion und des Streits soll der Bundestag noch 2025 entscheiden. Die Bahn plant und führt dann den Willen des Parlaments aus. Der erste Spatenstich für die bayerische BBT-Zulaufstrecke soll aber erst 2031 gesetzt werden.

Tunnel soll unter der Erde verschwinden

Wenn es nach den Anwohnern geht, sollte die Bahn in Ostermünchen (Landkreis Rosenheim) unter die Erde verschwinden und möglichst bis zur Tiroler Grenze nicht mehr auftauchen. Machbar ist das nicht. Wohl aber werden bis zu vier Kilometer lange Tunnelbauwerke in die Planung eingebracht. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) unterstützt eine „möglichst weitgehend unterirdische Streckenführung“. Ein „umfassender Lärmschutz und der Schutz unserer Landschaft“ müssten „maximale Anwohnerfreundlichkeit“ garantieren.

Das freilich könnte darauf hinauslaufen, dass inklusive Baukostensteigerungen und Unvorhergesehenem allein für den deutschen Abschnitt des skandinavisch-mediterranen „TEN“-Korridors von Helsinki bis Malta womöglich ähnlich viel ausgegeben werden müsste wie für den gesamten Brenner- Basistunnel. Die Baukostensteigerungen bei Großprojekten der Bahn sind berüchtigt, ebenso die regelmäßigen Überschreitungen des Zeitplans.

Tirol kann sich Zeit lassen – wegen Deutschland

Die deutsche Schwerfälligkeit gefährdet nach Ansicht der österreichischen Bahner das ganze Jahrhundertprojekt. Die volle Wirkung des Basistunnels werde sich erst entfalten, „wenn der Nordzulauf von München bis zur Staatsgrenze ausgebaut ist“, stellte kürzlich ein Sprecher der Österreichischen Bundesbahnen fest. Das würde bedeuten, dass noch zehn Jahre nach Fertigstellung des Basistunnels dessen Kapazität nicht ausgeschöpft werden kann, weil die Deutschen diskutieren, planen und wieder verwerfen. Es handelt sich nun einmal um eine „Jahrhundert-Entscheidung“, warb Bayerns Verkehrsminister Bernreiter um Verständnis: „Sie muss mit Sorgfalt und Weitblick getroffen werden.“

Tirols Verkehrslandesrat René Zumtobel (SPÖ), der bei der bayerischen Staatsregierung wegen der verordneten Dosierungen des Lkw-Transitverkehrs alles andere als beliebt ist, legte nach: Mit dem notwendigen viergleisigen Bahn-Ausbau im Tiroler Inntal könne man sich zwei Jahre länger Zeit lassen als vorgesehen, denn ohne den Ausbau auf bayerischer Seite könne der Brennerkorridor sowieso nicht effizient genutzt werden. Zumtobel warnte vor einem „Flaschenhals auf der Schiene“ nördlich von Kufstein, wo bekanntlich Bayern beginnt.

Ein neuer Meilenstein soll im Herbst erreicht werden

Das wiederum erzürnte die bayerischen CSU-Politiker. Wenn auf Tiroler Seite der Schienenausbau zwischen Radfeld und Schaftenau um zwei Jahre auf 2039 verschoben werde, dann seien Sparmaßnahmen der österreichischen Bundesregierung der Grund. Die Darstellung des Tiroler Verkehrspolitikers „entspreche nicht den Tatsachen“, so die neue Staatssekretärin im Bundesinnenministerium Daniela Ludwig (CSU). Es bestehe weiterhin die Möglichkeit, dass der Bundestag noch im Laufe 2025 eine Entscheidung treffe.

Im Tunnel tief unter dem 1370 Meter hohen Brennerpass geht es derzeit zügiger voran, meldete die „BBT SE“. Im Herbst dieses Jahres sollen sich die Tunnelbauer aus Italien und Österreich beim Durchschlag des Erkundungsstollens die Hand reichen und so den „bis dato größten Meilenstein“ erreichen, teilte die österreichisch-italienische Betreibergesellschaft Anfang Juni mit. Bis zum Durchschlag fehlten nur noch wenige Hundert Meter.

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