Interview

Nach gescheiterter Säntis-Bergung: "Wir starten neu"

Die Bergung der "Säntis" aus dem Bodensee ist gescheitert. Im AZ-Interview spricht Silvan Paganini über das Versagen und wie es weitergeht.
Anne Wildermann |
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Das Dampfschiff «Säntis» ist auf dem Grund des Bodensees zu sehen.
Schiffsbergeverein/dpa 2 Das Dampfschiff «Säntis» ist auf dem Grund des Bodensees zu sehen.
Silvan Paganini.
2 Silvan Paganini.

Thurgau - Das Schiff "Säntis" sollte endlich vom  Grund des Bodensees geholt werden. Daran wird seit Längerem gewerkelt und getüftelt. Mit Rückschlägen allerdings. Der Schweizer Silvan Paganini (40) ist Präsident des Schiffsbergesvereins in Romanshorn, Kanton Thurgau. Er berichtet im Interview über den Stand der Dinge.

AZ: Herr Paganini, wie geht es Ihnen nach dem turbulenten letzten Mai-Wochenende, an dem die "Säntis" geborgen werden sollte - und es ein unerwarteter Misserfolg wurde?
SILVAN PAGANI: Es ist extrem schade, dass es nicht geklappt hat. Wir waren so nah dran! Was nervt, ist: Wir wissen immer noch nicht, ob wir das Schiff aus dem Seegrund heben können oder nicht. Ob es versteckte, strukturelle Schäden hat oder nicht. Wenn es an dem besagten Sonntag, 25. Mai, hochgekommen wäre und Schäden sichtbar geworden wären, und wir es wieder in Tiefe hätten runterlassen müssen, damit hätte ich eher leben können als mit einem technischen Versagen.

Silvan Paganini.
Silvan Paganini.

Der erste Bergungsversuch Mitte April scheiterte wegen Witterung und technischer Probleme. Der zweite wurde kürzlich unternommen, den Seitenraddampfer aus dem 19. Jahrhundert aus 210 Metern Tiefe zu holen. Was ist schiefgelaufen?
Wir waren dabei, die Berge-Plattform abzusenken. Sie hat ein Trocken-Gewicht von 25 Tonnen. Im Wasser nur ein leichtes Minusgewicht. Sie war nur ein paar Hundert Kilogramm schwer. Wir hatten in den Berge-Pontons Luft drin, wollten die Plattform auf 20 Metern stoppen, um dort einige Tests mit dem Kompressor zu machen. Als wir gestoppt haben, ist uns die Plattform abgerauscht. Die Bremsen haben bei der viergeteilten Winde versagt, an deren Stahlseile später die Hebesäcke angebracht worden wären. Wir haben versucht, das Ganze zu stabilisieren, indem wir Luft mithilfe eines lastwagengroßen Kompressors nach unten pumpten. Die Plattform hat ein Überdruckventil, das Wasser saugt, sollte nicht genügend Luft nachströmen. Damit werden die Pontons schwerer - aber die Plattform bleibt intakt. Sie ist so schnell abgesoffen, dass das Überdruckventil nicht nachsaugen konnte. Folge: Die Tanks sind implodiert.

"Es ist nicht nur Stahl, der da unten liegt"

Das heißt, Sie haben mit diesem technischen Malheur nicht gerechnet?
Genau. Es lag an der Bobine (Seilträger, der aus einer großen schlanken Trommel besteht, d. Red.). Sie hat drei Bremssysteme, ursprünglich war es eins. Wir hatten sie im Vorfeld getestet, indem wir sie an einen Kran mit einer Waage gehängt haben - es hat auch funktioniert. Dennoch haben wir zwei zusätzliche Bremssysteme eingebaut für mehr Redundanz. Kritiker sagen: "Warum habt ihr keine Wirbelstrom-Bremse genommen?" (eine verschleißfreie Bremse, die von Magnetfeldern verursachte Wirbelströme nutzt, d. Red.). Natürlich, aber so was kostet Geld. Das Problem war, dass die Bremsscheibe eine kleine Unwucht hatte, weshalb die Bremse mal leicht und mal weniger gebremst hat. Beim Bremsen gibt es bei jeder Umdrehung einen Schlag auf alle drei Systeme. Die wurden simultan aus der Verankerung gerissen, die Bremsleistung war nicht mehr ausreichend.

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Was geschieht mit der abgestürzten Plattform, die nun auch in 210 Meter Tiefe liegt?
Wir müssen sie bergen, das ist vorgeschrieben. Es ist nicht nur Stahl, der da unten liegt, sondern auch Hebesäcke und Schläuche, alles aus Kunststoff. Das ist eine riesige Herausforderung - größer, als wenn wir das Schiff geborgen hätten. Die Plattform hat sich verheddert, etliche 22 Millimeter dicke Stahlleinen haben sich um das Wrack herumgewickelt. Es wurden damals Suchleinen um das Schiff gewickelt. Um diese zu entfernen, haben wir sechs Monate gebraucht. Jetzt haben wir noch mal so viele Leinen. Es wird nicht einfach, in 210 Meter Tiefe zu arbeiten.

Wie lange werden die Aufräumarbeiten unter Wasser dauern und wie hoch sind die Kosten?
Das ist alles noch unklar. Wir arbeiten weiter mit freiwilligen Helfern und unseren Gönnern.

"Wenn wir das schaffen, starten wir neu"

Sie selbst sind als Taucher bei der Bergung im Einsatz gewesen, hätten beinahe Anfang Mai einen Unfall unter Wasser gehabt. Was ist passiert?
Wir waren mit dem Boot draußen, um den Tauchroboter, der sich unter Wasser in einem Bergungsseil verfangen hatte, zu befreien. Wir mussten ihn aus einer Wassertiefe von 170 Meter auf eineinhalb Meter hochziehen. Das hat über zwei Tage gedauert, wir waren 17 Stunden im Einsatz. Letztlich hat es geklappt, man konnte vom Boot aus den Knoten sehen. Ich bin mit der Tauchausrüstung ins Wasser. Während des Lösens habe ich mich in den Führungsleinen verheddert. Ich konnte nicht mehr auftauchen, obwohl ich nur 20 Zentimeter unter der Wasseroberfläche war. Ich wollte mich dann über Stahlseile einer Boje nach oben ziehen, das hat nicht funktioniert. Dann habe ich die Luft kontrolliert und gesehen, dass ich nur für 20 Minuten Sauerstoff habe. Okay, dachte ich, wenn ich das Problem nicht in 20 Minuten löse, bin ich tot. Dann bin ich nach unten abgetaucht, habe einen Handstand gemacht, um rauszukommen. Das hat auch nicht geklappt. Eine weitere Option: ein Messer. Ich habe anfangen, zu schneiden, bin aber immer noch nicht nach oben gekommen. Wichtig ist: Ruhig bleiben! Wenn man in Panik verfällt, ist es vorbei. Die letzte Möglichkeit war: Ausrüstung ausziehen. Da habe ich gemerkt, dass sie mir weggezogen wurde. Also habe ich sie an einem Stahlseil festgebunden. Solange ich den Atemregler im Mund hatte, war alles in Ordnung. Jetzt hatte ich nur noch wenige Schnüre, um meinen Körper, die ich durchschneiden und mich so befreien konnte.

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Ist die Bergung der "Säntis" endgültig vom Tisch?
Was nach wie vor Gold wert ist, sind die vier Hebeleinen aus Stahl, die unter dem Wrack liegen. Die wollen wir für einen weiteren Bergungsversuch liegenlassen. Dann können wir an diesen acht Punkten anschlagen, und das Schiff kommt mehr oder weniger hoch. Ich würde nur unter bestimmen Voraussetzungen einen weiteren Versuch wagen. Wir müssen die finanziellen, materiellen und personellen Ressourcen haben, damit es weitergeht. Das bedeutet: Auf freiwillige Helfer und auf ausreichendes Budget zu setzten - um nicht nur auf das günstigste Material und Werkzeug zurückzugreifen. Aktuell stellen wir eine neue Crowdfunding-Aktion auf. Ziel ist es: eine Million Schweizer Franken bis Ende des Jahres einzusammeln (rund 1,3 Millionen Euro, d. Red.). Wenn wir das schaffen, starten wir neu. Diese Woche kam die Bestätigung der Bank, dass wir die Aktion starten können. Wenn die Summe nicht zusammenkommt, werden die gespendeten Gelder zurückgezahlt.

Apropos Geld: Bei der ersten Crowdfunding-Aktion sind mehr als 260.000 Schweizer Franken zusammengekommen. Wie viel Geld ist noch übrig?
100.000 Schweizer Franken sind für die Konservierung des Schiffs vorgesehen gewesen. Sprich für Farbe, Gerüst, Stahl und so weiter. Bei den letzten Rückschlägen mussten wir diese Summe antasten, damit wir Materialien wie Berge-Pontons bezahlen konnten. Von dem Rest muss die Bergung der Plattform gestemmt werden.

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  • am 09.06.2024 20:04 Uhr / Bewertung:

    Ein Versagen auf ganzer Linie also. Traurig.

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