Jung, schwul, evangelisch - und Wölfls Nachfolger?

Am Sonntag wird im Landkreis Regen gewählt: Michael Adam hat die besten Chancen, Nachfolger des verstorbenen Landrats Heinz Wölfl (CSU) zu werden.
Anne Hund |
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„Hier sitz’ ich oft bis abends um elf“: Der junge Bürgermeister von Bodenmais an seinem Schreibtisch im Rathaus.
Mike Schmalz 2 „Hier sitz’ ich oft bis abends um elf“: Der junge Bürgermeister von Bodenmais an seinem Schreibtisch im Rathaus.
In Bodenmais ist der 26-Jährige, der Landrat werden möchte, daheim. Hier ist er aufgewachsen.
Mike Schmalz 2 In Bodenmais ist der 26-Jährige, der Landrat werden möchte, daheim. Hier ist er aufgewachsen.

Das Handy klingelt. Florian Pronold ruft an. Michael Adam (26) drückt ihn weg. „Mit Florian telefonier' ich sowieso täglich.“ Denn es ist Wahlkampf im Landkreis Regen. Und der junge SPD-Bürgermeister von Bodenmais ist drauf und dran, Bayerns jüngster Landrat zu werden. Da können ein paar aufmunternde Anrufe aus München gewiss nicht schaden. Auch Christian Ude hat ihn neulich besucht. „Natürlich schauen sie in München ganz genau, was hier in Bodenmais passiert“, erzählt der Niederbayer. Denn wenn die CSU in seinem Landkreis falle, könnte das Signalwirkung haben für ganz Bayern, glaubt er.

Trotzdem wüssten sie in München auch: „Das hier ist jetzt mein Ding.“ Zwei Autostunden von der SPD-Zentrale am Oberanger entfernt sitzt Michael Adam in seinem rosa Rathaus. Gegeltes Haar, schwarz-weiß-gestreiftes Hemd, die blaue Krawatte ist ein wenig zu eng gebunden. „Ich habe in dreieinhalb Jahren 20 Kilo zugenommen“, erzählt der 26-Jährige. So lange ist der Jungspund schon im Amt. Mit 23 war er Deutschlands jüngster Bürgermeister. Auch wenn ihn dafür in der SPD alle gefeiert haben, sagt er: „Leicht war das ganz bestimmt nicht.“ Denn er hatte wenig Ahnung von Finanzen, und die Akten hätten sich gestapelt, längst, bevor er antrat. „Da konnte man schon manchmal verzweifeln.“ Zudem musste er sein Politikstudium in Regensburg schmeißen.

„Als Bürgermeister hast du keine Zeit mehr zum Studieren.“ Adam zieht ein Foto aus der Schublade. Auf dem Bild lächelt er neben Franz Maget. Damals war er noch 70 Kilo leicht. So sah er also aus, frisch im Amt als Bürgermeister. Der 1,80-Meter-Mann schaut sich das Bild genauer an. Plötzlich springt er von seinem Stuhl auf, tippt mit dem Finger immer wieder auf das Foto. „Ach du meine Güte“, ruft der junge Mann, der Landrat von Regen werden will. Jetzt grinst er wie ein Lausbub. „Ich hätte dieses Kind hier nie gewählt“, sagt er selbstironisch.

Der CSU könnte das Lachen bald vergehen. Im schwarzen Landkreis Regen fürchten sie den jungen Sozi. Denn der überraschte bei der Landratswahl am 13. November nicht nur seine SPD-Genossen: Adam holte knapp 43 Prozent. Etwa acht Prozent mehr als CSU-Mann Helmut Plenk. Einstellige Ergebnisse nur für die übrigen Kandidaten. „Ein ziemlich bunter Haufen war das“, sagt Michael Adam und schließt sich selbst mit ein.

Da war die CSU-Abtrünnige Josefa Schmid, die kandidiert hat. Auch Heinrich Schmidt von den Freien Wählern hatte keine Chance, genauso wenig wie der parteifreie Franz Xaver Eckl. Am kommenden Sonntag ist Stichwahl: Michael Adam gegen Helmut Plenk. Macht der Bürgermeister von Bodenmais das Rennen? Adam will sich nicht festlegen. „Ich lass' mich einfach überraschen.“ Er lobt brav seinen „Mitstreiter: Plenk mache seine Sache als Kreisgeschäftsführer des VdK „sehr gut“. Nur politisch sei er bisher nicht so sehr in Erscheinung getreten.

Keine guten Voraussetzungen, um eine Wahl zu gewinnen. Und dann sind da noch die Ermittlungen gegen den vorherigen CSU-Landrat Heinz Wölfl. Er hatte am 16. August Suizid begangen. Man weiß von Wölfl, dass er spielsüchtig war. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Korruption. Was der junge SPD-Bürgermeister dazu sagt? Er sei für Transparenz und Aufklärung. Das ändere aber nichts an der Tatsache, dass er die Arbeit von Heinz Wölfl geschätzt habe. „Ich habe vor allem seine Durchsetzungskraft bewundert.“ Er und Wölfl hatten „ein gutes Verhältnis“. Das Amt des Landrats war für Adam bis zum 16. August übrigens „kein Thema“, sagt er.

Nur wenige Monate später könnte er nun Landrat werden. Ein SPD-Bürgermeister, der zudem evangelisch ist. Und der ganz offen darüber spricht, dass er schwul ist. Ist das nicht ein Aufreger im Bayerischen Wald, wo die CSU seit jeher das Sagen hatte? Der 26-Jährige schüttelt den Kopf. „Nein, die Zeiten haben sich geändert“, sagt er. „Die Menschen entscheiden heute von Wahl zu Wahl.“ Es komme ihnen auf Inhalte an, und welcher Kandidat diese verkörpere.

Er würde als Landrat zum Beispiel den Straßenbau verbessern, „vor allem die Anbindung nach München“, sagt er. Und er wolle Orte wie Bodenmais für junge Menschen wieder attraktiv machen. „Viele ziehen von hier weg, das muss aber nicht sein.“ Da ist sie wieder, die Selbstsicherheit des SPD-Jungstars, der auch behauptet: „Wir haben im Landkreis Regen ein SPD-Potenzial von 20 Prozent“ – für Niederbayern ist das viel. Und nochmal: Ein schwuler Politiker, das stört hier wirklich niemanden? Der Bürgermeister räuspert sich. „Nein, für die Menschen spielt das heute keine Rolle.“

Er habe da nichts Gegenteiliges erlebt im aktuellen Wahlkampf. Er würde sein Privatleben aber ohnehin nicht nach außen tragen, sagt der Politiker. Nicht einmal Händchen halten würde er mit seinem Freund außerhalb der eigenen vier Wände. „So bin ich einfach nicht. Auch, wenn ich hetero wäre, würde ich nicht auf die Idee kommen, auf der Straße zu knutschen.“ Dann erzählt der Bürgermeister von seinem Coming-Out.

In Bodenmais, wo er mit seiner Zwillingsschwester aufgewachsen ist. Sie lebt inzwischen in Berlin. Nur geboren sei er in Zwiesel. „Es mag jetzt vielleicht klischeehaft klingen, aber ich komme aus einer klassischen Arbeiterfamilie“: Sein Vater war Schweißer im Stahlbau. „Er hat so viel gearbeitet“, selbst, wenn er mal krank war, erzählt Adam. Seine Mutter verdiente mit als Zahnarzthelferin. „Und trotzdem hatten wir weniger Geld als andere Familien.“ Für Mathe-Nachhilfe hätte es zum Beispiel beinahe nicht gereicht. Damals in der siebten Klasse im Gymnasium in Zwiesel. „Ich hatte da mal eine Phase, in der ich das gebraucht hätte.“

Ansonsten gab's in der Schule wenig Probleme. Adam blickt zurück auf eine „glückliche Kindergarten- und Grundschulzeit“. Mit 18 sagte er den Eltern, dass er auf Männer steht. Im Ort sprach sich das schnell herum. „Klar musste ich mir den ein oder anderen doofen Spruch anhören.“ Er lächelt. „Aber wenn die Leute dich kennen, wissen die eh': Der Adam ist ein guter Typ.“ Seine politischen Gegner hatten das Tabu-Thema damals trotzdem ausgeschlachtet, berichtet er: Als Adam Bürgermeister wurde, gingen sie von Haustür zu Haustür mit einem Bericht der „Schwusos“. Der schwul-lesbische Arbeitskreis der SPD also, der sich mit ihm Freude. Heute sieht Adam das gelassen. „Die Leute im Ort fanden die Aktion überhaupt nicht in Ordnung.“ Das hätten seine Gegner schnell bemerkt - „und den Schmarrn von da an gelassen“.

Bei der Landratswahl blieben die meisten bisher „fair“, sagt Adam. Nur manchmal gebe es „das ein oder andere Scharmützel“. So wie neulich. Jemand hatte auf Facebook gepostet, dass Michael Adam seine Kandidatur zurückzieht. Den Gefallen wird der Niederbayer der CSU gewiss nicht machen. Was Adam sich manchmal insgeheim wünscht? „Ein wenig Zeit zum Sportmachen“, und für sein Privatleben. Er und sein Freund haben sich in Regensburg kennen gelernt. Sie wohnen zusammen über einer Metzgerei in Bodenmais.

Der Freund arbeitet im Seniorenheim. Bei ihnen daheim leuchten rote SPD-Fähnchen zwischen grünen Fensterrahmen. Wenn sie beide frei haben, gehen Adam und sein Partner manchmal zusammen einkaufen. Ob er dann nicht dauernd angesprochen wird, als Bürgermeister? „Klar. Die Leute wollen mit mir reden.“ Der junge Mann mit dem Esprit-Anzug muss grinsen. „Ich finde das ja schön.Nur mein Freund hat manchmal keine Lust mehr, wenn er solange hinterm Regal steht und auf mich warten muss.“

Und falls Adam jetzt Landrat wird? Der 26-Jährige zuckt mit den Schultern. „Dann würde ich das gerne länger bleiben, zehn oder zwölf Jahre.“ Man brauche schließlich etwas Zeit in einem solchen Amt, um seine Pläne umzusetzen. Mal weiter gedacht, dann wäre Michael Adam Ende 30. „Daran will ich lieber nicht denken“, sagt er und verrät: „Ich habe Angst vom Älterwerden.“ Er meint zum Beispiel Falten oder graue Haare, oder „das Gewichtsproblem“. Doch dann fällt dem Bürgermeister von Bodenmais wieder die Uni ein, die er so sträflich vernachlässigt hat. Er lacht. „Vielleicht kann ich ja mit 40 endlich Politik studieren.“

 

 

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