Hilfe, wir werden gemobbt!
Entsetzliche Hetzkampagnen und Hass-Tiraden verbreiten sich blitzschnell im Computer: So wird Denunziantentum zum gefährlichen Volkssport
NÜRNBERG www.rottenneighbor.com. Hinter dieser US-Internet-Adresse verbirgt sich ein fieser Pranger! Wer jemandem schaden möchte, kann das hier tun – unkontrolliert und nicht nachweisbar. Im Großraum Nürnberg wurden bereits Hunderte zu Opfern übelster Verleumdungen und Beschuldigungen – und die Betroffenen wissen in den seltensten Fällen davon. Was für die Stasi die Erfüllung aller Träume gewesen wäre, ist jetzt per Mouseklick und dank Google Earth möglich.
Auf gestochen scharfen Stadtkarten können Häuser markiert werden, wer aufs entsprechende Symbol klickt, kann die Hetze lesen. Ein bisschen üble Nachrede gefällig – inklusive original Schreibfehler?
"Schwarzarbeit. Alles Lumpen."
Nürnberger Südstadt: „Murat Aslan*, männliche Prostituierte. Falls jemand einen Stricher benötigt, dann in der G...straße Nr. XXX läuten. Wohnt im Erdgeschoss links.“ Leipziger Straße in Nürnberg: „Hier wohnen nur noch Russen und so. Deutsche werden niedergeschlagen und unterdrükt, Herr Mali kümmerts einen Dreck, nie wieder SPD.“ Fürther Südstadt: „Türkische Schrauberhochburg, Schwarzarbeit. Alles Lumpen. Und dreckig wie Schweine noch dazu.“
Gostenhof: „Hauswärterin, wohnt im 4. Stk. Herablassende intrigante u. intolerante Schlampe. Auf keinen Fall da einziehn, sonst viel Spaß!“ Die Hasstiraden verbreiten sich blitzschnell. Was zum Beispiel bedeutet der letztgenannte Eintrag für den Hauseigentümer? Dass er seiner Hauswärterin nun kündigt, weil er sonst keine Mieter mehr findet?
Dimitrios Chatzivadsiliadis fiel aus allen Wolken
Auch Dimitrios Chatzivadsiliadis aus Fürth ist ein Opfer. In einer Autowerkstatt schraubt er sich die Finger schwarz. Der Knochenarbeiter fällt aus allen Wolken, als die AZ ihm den Eintrag über ihn zeigt. Der lautet: „Verkauft nur Schrott, Auto gekauft, paar km gefahren und gleich kaputt, keine Rücknahme, nicht bereit zu reden, Drohung erhalten. Vorsicht, kriminelle Leute ohne Gewissen.“ Geschäftsschädigender geht’s nicht. „Kann man sich dagegen wehren?“, fragt der geschockte Kfz-Mechaniker. Die Antwort: „Das stinkt mir maßlos“, sagt Chatzivadsiliadis.
Rund um seine Werkstatt scheint eine Denunzianten-Hochburg zu sein. Viele der kleinen roten Symbolhäuser blinken im Web auf. Eines davon auch auf der Pizzeria Bologna der Familie Franza. Was über Vater Giuseppe, Mutter Vincenza und vor allem Tochter Sabrina geschrieben wurde, zielt meterweit unter die Gürtellinie – und auf Sabrinas üppige italienische Figur. Das trifft sie nicht. „Meine Figur ist die beste Werbung für unser Restaurant“, kontert sie. Doch das wird als „dreckige Gartenwackelburg im Laubenstil“ deklassiert, als „ekelhafter Italiener“. Die Wahrheit: In einer eher trostlosen Straße ist das Bologna eine grüne Oase, beschattet von einem uralten Blauregen, der sich über die Köpfe der Gäste rankt – und das Bologna ist jeden Tag voll.
"Das ist ein armer Mensch"
Die Franzas sehen’s gelassen, Giuseppe muss lachen: „Das ist ein armer Mensch“, schüttelt er den Kopf. „Sätze solcher Feiglinge nehme ich nicht ernst. Würde dieser Mensch mir in die Augen schauen und mich dann kritisieren, wäre es etwas anderes. Aber anonym und so hinterhältig? Das juckt mich nicht. Wir sind seit 28 Jahren Gastronomen in Deutschland und hatten noch nie Beschwerden.“
Auch der 1. FC Nürnberg kriegt sein Fett weg. Wer am Valznerweiher auf das Symbol drückt, liest: „Das Stadion des wohl beschissensten Fussballvereins hier in Franken.“ Zumindest in diesem Fall kann man vermuten, dass der ein oder anderer Fürther diese Seite als doch nicht so ablehnenswert empfinden dürfte...
*Name geändert Susanne Will