Franken strotzt vor Macht

Die Biermösl Blosn, eine bayerische Instanz der Volksmusik-Satire, singen am Samstag beim Bardentreffen am Sebalder Platz. Im Interview spricht Hans Well (55), seit 30 Jahren der Texter der Blosn, über „Heinrich von Schmierer“, OB Maly und Heimat
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
„Wir resignieren lieber vital“: Die Biermösl Blosn (Mitte: Hans Well) spottet zuverlässig über Freistaat-Filz und Wirtschafts-Korruption.
Frank Mächler „Wir resignieren lieber vital“: Die Biermösl Blosn (Mitte: Hans Well) spottet zuverlässig über Freistaat-Filz und Wirtschafts-Korruption.

Nürnberg - Die Biermösl Blosn, eine bayerische Instanz der Volksmusik-Satire, singen am Samstag beim Bardentreffen am Sebalder Platz. Im Interview spricht Hans Well (55), seit 30 Jahren der Texter der Blosn, über „Heinrich von Schmierer“, OB Maly und Heimat

Sie sind vermutlich Bayerns einzig wahre Oppositionspartei: die drei Brüder Well alias Biermösl Blosn. Seit 30 Jahren lästern und spielen sie über den offenen Vollzug im verfilzten Freistaat. Wahlweise auch mit Kabarettist Gerhard Polt und den Gesinnungsgenossen von den Toten Hosen (mit denen sie 2009 wieder ins Wiener Burgtheater einziehen). Heute Abend (21 Uhr) wird die Well-Nesskur beim Nürnberger Bardentreffen das Fassungsvermögen des Sebalder Platzes auf eine harte Probe stellen.

AZ: Herr Well, vorgestern hat die Biermösl Blosn noch mal Flagge im Oberbayern-Dorf Eibach gezeigt gegen einen Autobahn-Neubau durchs Isental. Sie bleiben also Idealist?

HANS WELL: Wenn ein Mensch nicht mehr an irgendwas glaubt, dann tut er mir leid. Ob Isental-Autobahn oder Atomkraft. Da haben wir Déjà-vu-Erlebnisse im Moment, wo so manche Geisterdiskussion der 80er Jahre wieder hochkommt.

Da müsste Sie ja freuen, dass der Erlanger Kraftwerkshersteller AREVA auch dem Nürnberger „Club“ als Trikotsponsor unter die Arme greift.

Ja, da sieht man, die machen was für die Spielkultur. Warum schreiben die nicht auf die Trikots „Atommülllager Morsleben“? Wahrscheinlich veranstalten dort bald taffe politische Nachwuchsorganisationen Pro-Atomic-Festivals nach Wackersdorf-Modell. Soll ja eine Super-Akustik sein in dem Salzstock. Oder vielleicht doch gleich ein Pro-Atomkraft-Happening in Tschernobyl. Da fällt mir ein, dass die Bayerische Landesbank ein finnisches Atomkraftwerk mit zwei Milliarden finanziert. Für zwei Prozent Zinsen. Was der Steuerzahler da mitträgt – sehr idealistisch.

Woher speisen Sie denn Ihre erneuerbare Wut-Energie?

Auch aus den Leuten, die seit langem diesen Irrsinn Atomkraftwerk bekämpfen.

Die Biermösl Blosn scheint eigene Zeitgesetze zu haben. Ist es denn so, dass Ihre Brüder sagen: Jetzt müssen wir mal wieder was Neues machen?

Es ist eher umgekehrt. Das ist oft auch der starke Konflikt zwischen uns. Ich meine, man muss der Entwicklung ein paar Meter voraus sein, bestimmte Sensoren haben für das, was in der Luft hängt.

Sie stecken bei Auftritten das Terrain zu Beginn ab mit lokalkoloriertem Gstanzl-Spott. Was dürfen wir heute in Nürnberg erwarten?

Da sind wir noch auf Informelle Mitarbeiter angewiesen, die Bisi, die Biermösl-Stasi, wird in den nächsten Stunden aktiviert. Da haben wir Übung. Und Nürnberg ist ja eh eine Weltmetropole, über die man einiges mitkriegt. Über Heinrich von Schmierer und Flughafen-Anbindung. Geld bewegt doch immer wieder. Und ich hoffe, dass der Wehrdienstverweigerer Maly den Rekruten beim Gelöbnis auch die landschaftlichen Reize des südlichen Afghanistans erklärt hat.

Das werden wohl Stand-Up-Gstanzln?

Naja, wir schöpfen da schon auch aus unserem Basic-Wissen. Franken strotzt ja zur Zeit vor Macht, die Franken können ja gar nicht mehr laufen.

Also ist der fränkische Minderwertigkeitskomplex nur Taktik?

Moment, Sie hören gerade einen bayerischen Minderwertigkeitskomplex: 200 Jahre Franken in Bayern - das wird die Zukunft sein.

Der erste Bardentreffen-Auftritt 1987 stand unterm Oberbegriff „Heimatland Bayern“. Wie hat sich der seitdem verändert?

In Erding war damals der Flughafen noch nicht gebaut. Dort hat sich Heimat stark verändert. Im Isental noch nicht ganz. Aber Joachim Herrmann, unser Innenminister, arbeitet daran. Über Heimat kann man lange philosophieren. Aber der äußerliche Ausdruck, wie in vielen Volksliedern besungen, ist schon auch heute noch wichtig.

Welche Rolle spielt dabei die Biermösl Blosn?

Wir sind ein ganz bescheidener Ausdruck von altbairischer Heimat.

Kann das ein Franke überhaupt verstehen?

Linguistisch und dialektisch hoffen wir stark drauf.

Es gibt kaum mehr Sendeverbote und rüde Rempeleien der Politik. Seid ihr am Ende salonfähig geworden?

Ich finde es auch fast rufschädigend, dass uns der Bayerische Rundfunk inzwischen sendet. Aber es muss sich unter dem Intendanten Gruber etwas verändert haben.

Muss man heutzutage frecher sein, um aufzufallen?

Glaube ich nicht. Das Sensationelle heutzutage ist wohl, dass man eine Haltung und Standpunkte hat und nicht beliebig ist. Das rechnen uns die Leute, glaube ich, an.

Das Gefühl von durchschlagender Wirkungslosigkeit haben Sie nicht?

Wir sind da nicht viel durchschlagender als die meisten anderen Bayern auch. Wir überschätzen uns auch nicht. Aber wir können uns auf der Bühne abreagieren. Wir resignieren lieber vital - mit Lebensfreude.

Kann Sie überhaupt noch was erschüttern?

Ich bin froh, dass ich in einem erdbebensicheren Gebiet wohne. Aber schau mer mal bei der nächsten Landtagswahl. Gegen solch ein Erdbeben hätte ich allerdings nix.

Was passiert denn, wenn Sie sich da an neue Feindbilder gewöhnen müssten?

Diesbezüglich sind wir offen. Interview: Andreas Radlmaier

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.