Fall Peggy: Zweifel am Geständnis von Ulvi K.
Wie glaubhaft war das Mordgeständnis, das die Ermittler der „Soko II“ Ulvi K. 2002 im Verhör entlockten – und das er später widerrief? Plapperte der geistig behinderte Gastwirtssohn vielleicht einfach nach, was die Beamten ihm in ihren Fragen suggerierten – und wurde deshalb vom Landgericht Hof 2004 als Mörder der kleinen Peggy Knobloch aus Lichtenberg verurteilt? Am dritten Tag des Wiederaufnahmeverfahrens vor dem Bayreuther Landgericht dreht sich alles um diese zentralen Fragen. Dabei wird klar: Es ist kein guter Tag für die Vernehmungsbeamten.
Hauptkommissar Roman M. hat Ulvi K. gemeinsam mit einem Kollegen im Sommer 2002 drei Mal vernommen – bis zu dessen überraschendem Geständnis am 2. Juli 2002. Der Kollege hatte selbst einen behinderten Bruder, deshalb habe er die meisten Fragen gestellt, sagt M. vor Gericht. Er habe die Belehrung in „einfachen Worten erklärt, damit Herr K. sie auch versteht“. In Bezug auf den Vorwurf, die Beamten hätten Druck aufgebaut oder K. gar gefoltert, sagt M.: „Er hat die Erlaubnis gehabt, zu rauchen und Getränke sowie Lebensmittel zu sich zu nehmen. Wir haben ihm die angenehmste Situation geschaffen, die es gibt.“ Zudem sei bei allen drei Vernehmungen K.s damaliger Anwalt anwesend gewesen.
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Roman M. räumt aber auch ein: Selbst die Vernehmungsbeamten hätten den Eindruck gehabt, ihr Gegenüber würde ihnen nach dem Mund reden. „Er hat zu uns erheblichen Augenkontakt gesucht und war sehr unsicher.“ Man habe sich deshalb bemüht, keinerlei Reaktionen zu zeigen. „Man will ja nicht auf ihn einwirken in seiner Schilderung.“
Als der Beisitzende Richter aus den Vernehmungsprotokollen zitiert, entsteht ein völlig anderes Bild: „Kann es sein, dass die Peggy ein zweites Mal hingefallen ist?" wurde K. demnach von den Beamten gefragt. Er verneint – und ihm wird vorgehalten: „Es war ja nass, kann doch sein, dass sie nochmal hingefallen ist.“ Später gab Ulvi K. genau das zu: Dass er sich bei Peggy entschuldigen wollte, weil er sie missbraucht hatte, dass sie vor ihm floh und dabei zwei Mal stürzte. Weiteres Beispiel aus dem Protokoll: Frage: „Haben Sie denn keine Angst gehabt, wenn die Peggy nach Hause kommt, am Kopf blutet und erzählt, was passiert ist?“ Antwort K.: „Nein, da hab ich keine Angst gehabt.“ Erneute Frage nach einer kurzen Pause der Vernehmung: „Sie haben uns vorher gesagt, dass sie Angst gehabt haben, die Peggy könne Zuhause erzählen, was passiert ist – erinnern Sie sich?“ Antwort K.: „Ja.“
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K.s Anwalt Michael Euler wirft den Beamten vor, sie hätten sich vor den Vernehmungen durch Beamte der Operativen Fallanalyse (OFA) der Münchner Polizei – so genannte Profiler – eine Hypothese über den möglichen Tathergang erstellen lassen und diese dann in den Vernehmungen abgefragt. OFA-Chef Alexander Horn hat die Zusammenarbeit am zweiten Verhandlungstag bestätigt. Auch Roman M. kann sich an mehrere Treffen mit dem Profiler erinnern – allerdings nicht mehr an das Schreiben mit dessen Hypothese.
Dafür weiß er noch genau, wie es war, als Ulvi K. plötzlich den Mord gestand – nicht ihm, sondern einem Beamten aus Lichtenberg, der ihn nach der offiziellen Vernehmung wieder ins Bezirkskrankenhaus bringen sollte.
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Er habe K.s Anwalt verabschiedet und sei dann in den Nebenraum des Verhörzimmers zurückgekehrt, sagt M. Drinnen sah er K. und den Kollegen H., „und dann konnte ich im Prinzip mithören, wie der Herr K. dem Herrn H. die Tötung von Peggy gestand." Ohne Anwalt – und ohne Tonbandmitschnitt. Die Aufnahmegeräte seien zwar nicht kaputt gewesen, wie immer behauptet werde, sagt M. Aber er habe sie bereits abgebaut gehabt.
Obwohl er nicht von Anfang an bei dem Gespräch dabei gewesen war, setzte M. später seine Unterschrift mit unter das Gedächtnisprotokoll. Wie es zu dem Geständnis kam, weiß er nur vom Hörensagen: „Ich weiß aus zweiter Hand, dass Herr K. auf dem Weg ins Bezirkskrankenhaus gesagt hat, er habe nicht die ganze Wahrheit gesagt – deshalb wurde er zurück ins Vernehmungszimmer gebracht."
Am Nachmittag soll eine der Schlüsselfiguren in beiden Peggy-Prozessen gehört werden: der psychiatrische Gutachter Ludwig Kröber. Er hatte Ulvi K.s Geständnis im ersten Verfahren für glaubwürdig befunden. Dass er von der Tathergangshypothese nichts gewusst haben will, ist einer der Gründe für die Wiederaufnahme.
Im aktuellen Prozess soll der Gutachter seine bearbeitete Expertise vorstellen. Bis Redaktionsschluss hatte Kröber damit noch nicht begonnen – im Vorfeld wurde aber bekannt, dass er den Angeklagten wohl erneut belasten wird.
In den Augen des Psychiaters wäre es also möglich, dass der Mann mit dem IQ eines Kindes innerhalb einer halben Stunde den perfekten Mord begangen hat. Denn Peggys Leiche wurde bis heute nicht gefunden.