Exekutionsdrohung bei Bauerndemos? Ministerien in Bayern reagieren auf "Ampel-Galgen"

Bayerische Behörden reagieren auf "Ampel-Galgen" bei Bauernprotesten und an Straßenrändern. Die Polizei soll die Symbole den Staatsanwaltschaften vorlegen.
von  Alexander Spöri
Eine Ampel-Attrappe hängt aufgeknüpft an einem Galgen. Symbole wie diese tauchen auf Demonstrationen in ganz Deutschland auf. Auch am Rand mancher Straßen in Bayern stehen sie.
Eine Ampel-Attrappe hängt aufgeknüpft an einem Galgen. Symbole wie diese tauchen auf Demonstrationen in ganz Deutschland auf. Auch am Rand mancher Straßen in Bayern stehen sie. © Jacob Schröter/imago

München/Passau - Vor rund neun Jahren sind bei einer Demonstration in Dresden Bilder von zwei Galgen aus Holz aufgetaucht, die damals bundesweit für Schlagzeilen sorgten. Einer war "reserviert" für die ehemalige Bundeskanzlerin Angela "Mutti" Merkel (CDU), wie es auf einem Transparent stand. Der andere richtete sich an den Ex-Bundesvorsitzenden der Sozialdemokraten, Sigmar "das Pack" Gabriel.

Im Zuge der deutschlandweiten Bauernproteste verbreiten sich Bilder von Holzgalgen - befestigt an zahlreichen Traktoren oder aufgebaut am Rande einiger Straßen in Bayern - erneut wie ein Lauffeuer. Doch diesmal richten sich die Hinrichtungssymbole nicht gegen einzelne Spitzenpolitiker. Die gesamte Bundesregierung hängt in Form einer "Verkehrsampel" aufgeknüpft am Galgen. Teilweise brachten die Symbole radikale Gruppierungen unter die Protestler, immer wieder aber auch Bauern und sich mit ihnen solidarisierende Gewerke aus der Mitte der Gesellschaft. Sie drücken damit ihre Wut auf die Ampel-Koalition in Berlin aus, die sie "abschalten" wollen.

Grünen-Kreisverband im Landkreis Passau erstattet Anzeige gegen "Ampel-Galgen"

Der Vorsitzende des Kreisverbands der Grünen im Landkreis Passau will diese "Symbolik der Lynchjustiz" so nicht mehr hinnehmen, wie er der AZ mitteilt. Deshalb hat Dirk Wildt mit seinem Kreisverband vergangene Woche am Freitag Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Zuvor war ihm ein Galgen in seiner Region auf der Straße zwischen Fürstenzell und Passau aufgefallen. Mittlerweile führt die dortige Staatsanwaltschaft ein Vorermittlungsverfahren und prüft, ob sich die Aufsteller strafbar gemacht haben. Auch das bayerische Innenministerium und Justizministerium haben reagiert.

"Es geht darum, ein klares Zeichen zu setzen: Bis hierhin und nicht weiter", sagt der Kommunalpolitiker. "Wir wollen nicht in einem Landkreis leben, wo mit Selbstjustiz gedroht wird." Für Wildt sind die Holzgalgen ein "Aufruf zur Gewalt" und geben einen Hinweis auf die "Verrohung bei Meinungsunterschieden."

Drohung gegen große Gruppe: Symbol soll Bürger "einschüchtern"

Die öffentliche Anzeige im Landkreis Passau hatte für Aufsehen gesorgt. Einzelne Bürger hätten sich beim Vorsitzenden der Grünen gemeldet und berichtet, dass sie die aufgestellten Holzgalgen "einschüchtern". Das kann Wildt nachvollziehen. Denn aufgeknüpfte Verkehrsampeln seien ihm zufolge eine Drohung, die sich gegen eine große Gruppe richtet. "Damit ist jeder FDPler, jeder SPDler und jeder Grüne gemeint, der sich in irgendeiner Form engagiert. Letztlich auch jeder Wähler", so der Kommunalpolitiker.

Unbeeindruckt zeigt sich Wildt von aufgebrachten Bauern, die die Anzeige des Grünen-Kreisverbands verurteilen. "Es kommt nicht darauf an, ob ich mir deshalb überall Freunde mache", meint der Chef der Partei im Landkreis Passau. "Ich bin kein Opportunist, sondern mache das, was ich für richtig halte." Über Gespräche freut sich der Kommunalpolitiker in jedem Fall. Zwei  Bauern haben ihn angesprochen, "und das finde ich gut".

Einzelne Landwirte im Passauer Land sind über juristischen Schritt empört

Über den juristischen Schritt seien diese zwar "empört" gewesen, er glaubt aber, sie hätten erkannt, "dass hier eine Grenze des Zulässigen überschritten ist." Wenn die Landwirte ihre Unzufriedenheit mit dem aktuellen politischen Kurs ausdrücken möchten, dann sollen sie das machen, "aber ohne Exekutionsdrohungen", betont Wildt.

Der Grünen-Vertreter erhofft sich durch seine Anzeige auch eine juristische Neubewertung der Galgen-Symbolik. "Die Gewalt und Androhungen gegenüber Polizei, Ehrenamtlern und Politikern nimmt stark zu." Immer häufiger würden auf Worte auch Taten folgen. Wildt erinnert dabei unter anderem an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) durch einen Rechtsextremisten vor vier Jahren. Der Fraktionsvorsitzende im Passauer Kreistag, Eike Hallitzky, geht sogar noch einen Schritt weiter. "In der Bundesrepublik war die Gefahr niemals größer, dass aus Worten und Bildern mit Tötungsabsichten konkrete Taten werden."

Vorermittlungsverfahren: Staatsanwaltschaft prüft Straftatbestände

Jetzt liegt die Bewertung des Fürstenzeller "Ampel-Galgens" in den Händen der Passauer Staatsanwaltschaft. Wie die Behörde Anfang der Woche bestätigte, führt sie aktuell ein sogenanntes Vorermittlungsverfahren. Dabei sollen verschiedene Straftatbestände geprüft werden: öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Billigung von Straftaten, verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen und Beleidigung von Personen des politischen Lebens.

Möglich sind Geldstrafen bis zu 360 Tagessätzen und Freiheitsstrafen bis zu drei beziehungsweise fünf Jahren. Auch die Polizei hat inzwischen reagiert und den Galgen zwischen Fürstenzell und Passau sowie einen weiteren in Neukirchen vorm Wald abgebaut. Laut dem Polizeipräsidium Niederbayern werde geprüft, inwiefern im jeweiligen Einzelfall "polizeiliche Sofortmaßnahmen zur Beseitigung einer möglichen Gefahrenlage" eingeleitet werden müssen, heißt es auf Anfrage der AZ. "Dies kann bei gewaltverherrlichenden Symbolen wie auch bei akuten Beeinträchtigungen der Sicherheit im Straßenverkehr notwendig sein."

Rechtsanwalt: Juristischer Erfolg von Anzeige ist unklar

Ob die Anzeige von Wildt wirklich Erfolg haben könnte, ist umstritten. Strafverteidiger Johannes Makepeace aus München meint dazu zur AZ: "Auch wenn ich die ‚Ampel-Galgen' für geschmacklos halte, ist es zunächst nicht die Aufgabe des Strafrechts, jedes politische Werturteil zu bewerten und als Straftat einzuordnen."

Am aussichtsreichsten wäre dem Rechtsanwalt zufolge eine Prüfung des Straftatbestands der Volksverhetzung. In letztem Jahr habe das Bayerische Oberste Landesgericht Verurteilungen aufgrund eines Plakats vom neonazistischen Dritten Weg mit der Aufschrift "Hängt die Grünen" bestätigt. Auch eine Störung des öffentlichen Friedens käme in Betracht - vorausgesetzt der "Ampel-Galgen" heize das psychische Klima in der Gesellschaft auf. Eine Beleidigung scheidet laut Makepeace eher aus. "Anders ist das, wenn ein konkret erkennbares Regierungsmitglied abgebildet wird."

Innenministerium und Justizministerium reagieren auf Symbol

Aus dem bayerischen Justizministerium heißt es: "Ob ‚Ampel-Galgen' eine Straftat darstellen, sei in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Sachverhalts zu prüfen." Dabei können unter anderem die Gestaltung des Galgens, begleitende Parolen und die Umstände der konkreten Protestaktion relevant sein, antwortet die Behörde auf AZ-Anfrage. Zusammen mit dem bayerischen Innenministerium sei darauf hingewirkt worden, dass "Ampel-Galgen" ("entsprechende Sachverhalte") durch die Polizei der jeweils örtlichen Staatsanwaltschaft zur Prüfung vorgelegt werden.

Für die Passauer Landkreis-Grünen stand bei der Frage, ob sie Anzeige erstatten, ein möglicher juristischer Erfolg nicht im Vordergrund. "Wir würden uns zwar freuen, wenn die Galgen-Aufsteller ermittelt werden können und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Für uns ist es aber viel wichtiger, dass wir jetzt alle öffentlich Stopp sagen", meint Wildt.

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