Er ist Deutschlands jüngster Bürgermeister
Wenn Stefan Rottmann durch seinen Heimatort läuft, kommt er aus dem Winken nicht mehr heraus. „Servus, Ute“, ruft er einer rotgelockten Frau zu. Ein vorbeifahrender Roller-Fahrer hupt. „Ah, der Herr Bürchermester!“, grüßen auf Unterfränkisch drei Rentner von ihrem Plastikstuhl-Beobachterposten vor der Eisdiele „Werner Eiskalt“. Stefan Rottmann tritt am 1. Mai seinen neuen Job an. Er wird Bürgermeister der Gemeinde Schonungen im Landkreis Schweinfurt. Damit ist Rottmann der jüngste hauptamtliche Bürgermeister Deutschlands.
Mit 25 Jahren hat der SPD-Politiker das Rathaus in der 8000-Einwohner-Gemeinde erobert – in einem dramatischen Finale. Nur drei Stimmen lag Rottmann vor dem 61-jährigen CSU-Kandidaten Martin Oßwald. Der große Presserummel ist inzwischen etwas abgeflaut. „Was ich die letzten Wochen erlebt hab’, des war der Wahnsinn“, sagt Rottmann im weichen mainfränkischen Singsang.
Aus ganz Deutschland und sogar aus Österreich kamen die Interviewanfragen. Über 1000 E-Mails in einer Woche. Seine Mutter hat einen Leitz-Ordner für ihn zusammengestellt, bestückt mit allen Glückwunsch-Schreiben und Artikeln, beklebt mit seinem Konterfei. Rottmann ist aber nicht nur durch sein Alter bekannt geworden – sondern auch durch die Art, wie er Wahlkampf gemacht hat. „Des war echte Graswurzelarbeit. Bissle wie beim Obama“, sagt er und muss selbst grinsen bei diesem Vergleich.
Rottmann hat tausende Bürger abtelefoniert oder persönlich besucht. Er hat auf hunderten Wohnzimmersofas gesessen, Dutzende Kuchen verdrückt. Wenn ihm eine alte Frau die Tür vor der Nase zugeschlagen hat, mit den Worten, sie werde niemals SPD wählen, ist er einfach ein paar Wochen später wieder hin. Er hat keine politischen Diskussions-Abende veranstaltet, sondern Talent-Wettbewerbe für Vereine. Und zwischen Tanznummern und Gesangseinlagen seine Politik erklärt. „Bei der CSU hat’s oft geheißen, der Rottmann macht nur Show. Aber man muss den Leuten halt was bieten, dass sie überhaupt mal kommen. Und dann konsumieren sie nicht nur die Bratwürstli, sondern auch die Ideen“, erklärt er.
SPD-Kollegen aus anderen Bundesländern haben ihn jetzt eingeladen – er soll dort seinen Wahlkampf erklären. Denn Rottmann hat geschafft, was in der Politik nur noch selten möglich ist: Er hat die Menschen mitgerissen. Rottmann ist einer, der brennt. Der mit Leidenschaft kämpft. Das hat auch schon Edmund Stoiber zu spüren bekommen.
Denn Stefan Rottmann, und das ist die zweite Geschichte, die man über diesen Jungpolitiker erzählen muss, ist auf Bayerns größter bewohnter Giftmülldeponie aufgewachsen. Sein Elternhaus steht auf dem Gelände der alten Sattler-Farbenfabrik. Die Firma produzierte unter anderem das im 19. Jahrhundert beliebte „Schweinfurter Grün“. Damit waren auch die Räume auf St. Helena gestrichen, in denen Napoleon seine letzten Lebensjahre verbrachte. „Schweinfurter Grün“ enthält große Mengen Arsen. Genauso wie der Boden auf dem alten Sattler-Gelände.
Weil’s keine Erben gibt, sollten die ahnungslosen Hausbesitzer für die Entsorgung haften. Sie wären ruiniert gewesen. Als das bekannt wird, ist Rottmann 16 Jahre alt. „Da ist ein Blitz in mich eingeschlagen“, sagt er. Er schreibt Petitionen an Bundes- und Landtag, organisiert eine Demo, die Stoiber die schöne Kongresszentrums-Eröffnung in Schweinfurt verhagelt.
Ergebnis ist die „Lex Schonungen“: Der Freistaat trägt den Großteil der Entsorgung. „Im Sommer geht’s mit der Sanierung los“, erzählt Rottmann. Dann werden viele Häuser abgerissen, bis zu neun Meter tiefe Löcher gebuddelt, Gifttransporter bringen den gefährlichen Abraum weg. Die Sattler-Altlast hat ihn zur SPD gebracht – eher zufällig. „Die waren die einzigen, die sich das sofort angehört haben“, sagt Rottmann. Also trat er bei den Sozis ein.
Als Parteipolitiker sieht er sich deshalb aber nicht. Und mit seinem Vorgänger, dem CSU-Mann Kilian Hartmann, versteht er sich prima: „Der Mann hat Größe, der ist auch mein kommunalpolitisches Vorbild.“ Bewusst hat er im Wahlkampf auch nur Bürgermeister eingeladen, keine Bundes- und Landespolitiker. „Die Bürgermeister, die bewegen was, die sind zum Anfassen.“ So will er auch sein.
Die Sattler-Sanierung wird seine erste große Bewährungsprobe. Weiterer Schwerpunkt: die Überalterung der Gemeinde. „Mich hat’s nie weg aus Schonungen gezogen, ich find’s hier schön“, sagt Rottmann. Aber damit steht er unter seinen Altersgenossen alleine da. Im Café Rohr, in das er zum Gespräch gebeten hat, ist er fast der einzige Gast unter 50. Hier gibt’s den Cappuccino noch wahlweise mit Milchschaum oder Sprühsahne. Schräg gegenüber fährt einmal die Stunde ein Bus in die Stadt. „Ich will, dass wieder mehr Familien hierher ziehen“, sagt Rottmann.
Seine Ideen sind zum Teil so schräg, wie man das von einem 25-Jährigen erwarten darf. „Wie wär’s mit einer Aktion Bürger-werben-Bürger? Und als Preis gibt’s einen Kasten Bier von der Heimatbrauerei.“ Oder Neubürger-Fragebögen und Schwimmbad-Gutscheine, Babyprämien für junge Familien, eine lokale Mitfahrzentrale für Pendler, mal eine Modenschau? „Wir müssen uns besser verkaufen. Und ich will mehr Beteiligung von den Leuten. 8000 Bürger wissen mehr als 20 Gemeinderäte.“
Klingt idealistisch. Aber vielleicht liegt Rottmann damit genau richtig. In von der Krise gebeutelten Ländern wie Spanien oder Griechenland ist dieser Trend schon zu spüren: Weil sich die Menschen zunehmend als Spielball unkontrollierbarer Mächte wahrnehmen, weil sie sich immer ohnmächtiger fühlen in der Welt, konzentrieren sich auf die Community, die Familie, die Freunde. Sie schöpfen aus dem Kleinen, dem Überschaubaren ihre Stärke.
„Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht“, sagt Rottmann. Er ist halt nicht der Typ für intellektuelle Debatten. Er ist ein Bauchmensch. „Ich hab etwas in mir, was mich immer antreibt“, sagt er. „Ich muss jeden Tag etwas Produktives schaffen.“ Als wären Wahlkampf und Vollzeit-Job bei der VR-Bank nicht noch genug, hat der ehemalige Hauptschüler gerade noch rechtzeitig vor der Bürgermeister-Wahl ein berufsbegleitendes Studium zum Bankfachwirt abgeschlossen.
Mit diesem Ehrgeiz will er sich jetzt auch ins Amt stürzen. Der Verwaltung hat er sich schon vorgestellt. „Die sagen, sie stehen hinter mir.“ Dass es trotzdem nicht leicht wird, das weiß er. Er wird jetzt der Chef von Mitarbeitern, die teilweise doppelt so alt sind wie er. „Ja, jetzt wird halt alles anders.“ Ungestört im Lidl einkaufen, das ginge nicht mehr.
„Neulich hab ich in meinem Schrank meine T-Shirts angeschaut“, sagt er und beginnt wieder zu fränkeln. „Des sind halt so T-Shirts, wie man sie mit Anfang 20 hat. Da ist halt auch mal ein Dodenkopf drauf. Da hab ich mich gefragt: Kann ich die noch anziehen?“ Bestimmt – die Schonunger werden’s ihrem jungen Bürgermeister sicher verzeihen.
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