Ein Jahr nach dem Aus: So steht es um das AKW Isar 2
Landshut - Ein Jahr ist vergangen seit der Ära der Kernenergie in Deutschland. Seit dem Ende der letzten drei Atommeiler. Seit dem Aus des Kernkraftwerks Isar 2 am Standort Essenbach bei Landshut.
Zuvor hatte sich nicht nur der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Schatten des Kühlturms von Isar 2 für den Erhalt des Standorts und sogar den Bau neuer Kernkraftwerke in Bayern ausgesprochen – auch in der Gesellschaft hatte sich die Wahrnehmung der Technologie während der Energiekrise und des Ukraine-Kriegs gewandelt.
Für einen Moment schien Kernenergie wieder salonfähig. Doch nach dem Streckbetrieb bis zum 15. April 2023 und 35 Betriebsjahren von Isar 2 blieb die Renaissance der Kernkraft aus. Was ist seitdem passiert?
Erst vor wenigen Wochen hat Betreiberin PreussenElektra vom bayerischen Umweltministerium die Rückbaugenehmigung für Block 2 erhalten. Fast trotzig wiederholte Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) nach der Genehmigung das, was er schon wenige Wochen vor der Abschaltung als das Ende "eines großen Kapitels der bayerischen Wohlstandsgeschichte" bezeichnet hatte: Der Ausstieg sei falsch, doch mit dem Atomgesetz erzwinge der Bund den Bescheid zum Rückbau.
Kernkraftwerk Isar 2 bei Landshut: Aktuell werden die Kühlmittelpumpen ausgebaut
Am Jahrestag der Abschaltung hat nun Kraftwerksleiter Carsten Müller den Stand des Rückbaus in einem Pressegespräch am Werksgelände zwischen Niederaichbach und Essenbach vorgestellt: Schon seit Oktober ist ein erneuter Betrieb des Kraftwerks für PreussenElektra vom Tisch und schon kurze Zeit später auch technisch nicht mehr möglich.
Bis 2040 soll der Rückbau von Block 2 laut Müller für etwa 1,1 Milliarden Euro abgeschlossen sein. Etwa 90 Prozent der Gebäudemassen des Kraftwerks sollen bis dahin dem Wertstoffkreislauf zugeführt worden sein, etwa zwei bis fünf Prozent der Masse landen als radioaktiver Abfall im Zwischenlager oder im Schacht Konrad.

Seit April vergangenen Jahres hat die Belegschaft den Rückbau vorbereitet, dabei auf das Wissen und die bestehende Technik aus dem Abbau von Isar 1 zurückgegriffen – dem Kraftwerksblock, der bereits 2011 nach 32 Jahren am Netz stillgelegt worden war.
Bei Block 2 haben die Arbeiter inzwischen alle 193 Brennelemente entnommen und im Lagerbecken untergebracht, außerdem laut Müller im Januar und Februar den primären Kühlkreislauf dekontaminiert. Aktuell bauen die Arbeiter Kühlmittelpumpen aus, ab Januar 2025 zerteilen sie Einbauten im Reaktordruckbehälter, bevor der Reaktor selbst von innen mit einer Bandsäge in handlichere Stücke zerlegt wird - das erste Großprojekt im Zuge des Rückbaus.
Müllers Mannschaft – 450 Angestellte von PreussenElektra und 600 Servicekräfte von Partnerfirmen, also stellenweise mehr Beschäftigte als im regulären Betrieb – arbeitet sich bei Isar 2 von innen nach außen, die Silhouette des Werks bleibt vorerst: Wohl erst 2039 sollen Kühlturm und Schornsteine gesprengt werden.

"Das Thema ist durch"
Hat sich für die Anwohner also gar nichts geändert? "Das Thema ist durch", die Diskussion längst abgeflaut, sagt etwa Niederaichbachs Bürgermeister Josef Klaus (CSU).
An die fehlende Dampfwolke aus dem Kühlturm habe sich noch nicht jeder Anwohner gewöhnt, zudem begegnet laut Klaus so mancher Bürger dem Ausstieg aus der Kernenergie nach wie vor mit Unverständnis: Zwölf von 27 EU-Mitgliedstaaten betreiben derzeit Atomkraftwerke, der deutsche Nachbar Tschechien will zwei neue bauen.
Derweil zehren Niederaichbach und Essenbach laut Klaus weiter von PreussenElektra als wichtigem Arbeitgeber. Inzwischen vor allem über die Einkommensteuer, bis zum unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) 2011 beschlossenen Atomausstieg über die Gewerbesteuer: Zwei bis drei Millionen Euro hat Niederaichbach im Jahr eingenommen. Laut Essenbachs Bürgermeister Dieter Neubauer (CSU) waren es dort in den 2000er Jahren durchschnittlich fünf bis neun Millionen Euro jährlich.
Geld, das heute noch in den Rücklagen und Bauprojekten der beiden Gemeinden steckt. Geld, von dem aber auch der gesamte Landkreis Landshut profitiert habe, sagen die Standortbürgermeister. Ab 2012 wurden "die Gewinne vor Ort abgesaugt", wie Klaus der AZ sagt. Die Bürgermeister machen sich deshalb für Kompensationszahlungen des Bundes für die Zeit der Zwischenlagerung stark.
Denn auch nach dem Ende der Stromproduktion am Standort ist laut Anwohnern in Form des Atommülls ein Restrisiko geblieben. Sie sei schon froh über die Abschaltung, erzählt eine Niederaichbacherin im Gespräch mit der AZ. "Man wächst hier mit einer Faszination für das Kernkraftwerk auf", sagt sie - Führungen mit der Grundschulklasse über das Gelände inklusive.
Der Standort soll auch nach dem Rückbau bleiben
Die Gefahren der Technologie werden ihr erst Jahre später bewusst und der Atommüll lagert weiterhin im Zwischenlager vor der Haustür: Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) peilt für die Wahl des finalen Standortes des Endlagers frühestens das Jahr 2046 an. Und selbst dann muss das Lager erst noch gebaut werden. Für viele Jahrzehnte bleiben die gebrauchten Brennelemente also in den sechs Meter hohen Castoren im Zwischenlager Isar.
Vor Ort blüht am Standort Essenbach ab dem Jahr 2040 wohl nur kurz die "grüne Wiese", die Umweltminister Glauber zuletzt erneut als Ziel des Rückbaus benannt hat: Der Standort soll auch nach dem Rückbau bestehen bleiben, mit einer "wertschöpfenden Nachnutzung - in welcher Form auch immer", sagt Müller.