Ein echtes Zukunfts-Papier

MÜNCHEN - Nur ein Stück Papier. Und doch stellt es die Weichen fürs Leben. Bayerns Viertklässler bekommen am Freitag ihre Übertrittszeugnisse. Doch der Druck macht viele krank.
Am Freitag bekamen Tausende Viertklässler in Bayern ihr Übertrittszeugnis. Der Zettel entscheidet, ob sie in die Hauptschule, die Realschule oder aufs Gymnasium kommen, ob die Kleinen studieren oder eine Lehre machen, ob sie mal viel oder eher wenig Geld verdienen.
Ziemlich viel Zukunft für Neunjährige. Viel zu viel für den Bayerischen Lehrerverband und die SPD. Die wollen das Übertrittszeugnis abschaffen. „Die Entscheidung über die spätere Schullaufbahn in der vierten Grundschulklasse setzt Kinder und Eltern in Bayern einem übergroßen Druck aus“, sagt der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Hans-Ulrich Pfaffmann. „Durch die Übertrittszeugnisse leiden viele Kinder an Stress, Versagensängsten, Lernblockaden und massiven psychosomatischen Störungen.
Unter dem Druck zusammengeklappt
Auch für Ursula Lindner, Lehrerin der Grundschule in der Schwanthaler Straße, ist die Zeit vor den Zeugnissen sehr stressig. „Die Kinder haben Angst, die Noten nach Hause zu bringen“, sagt die 56-Jährige, die seit 32 Jahren lehrt. „Einmal ist ein Schüler zusammengeklappt, weil er in einer Probe eine Drei hatte.“ Manche Eltern üben eine Menge Druck aus, sagt Lindner. „Sie erwarten, dass ich allein ihr Kind aufs Gymnasium bringe.“ Viele Kinder kämen da nicht mit: „Wie soll ein 10-Jähriger den Ernst des Lebens erkennen?“, fragt Lindner. Der Freistaat hält an den Übertrittszeugnissen fest. Noch. Aber vielleicht ändert sich das ja nach der Landtagswahl ...
Thomas Gautier