Das schreckliche Blutbad im Regionalzug

Knapp 30 Menschen sind am Montagabend mit dem Zug unterwegs von Treuchtlingen nach Würzburg. In Ochsenfurt steigt ein junger Mann ein: Muhammad Riyad schließt sich kurz auf der Toilette ein – dann läuft der 17-jährige Afghane Amok. Mit einer Axt und einem Messer geht er wahllos auf Mitreisende los. Ein Ehepaar aus Hongkong (62 und 58) verletzt er schwer, ebenso dessen Tochter (26) und deren Freund (30). Nur der Sohn (17) der Familie bleibt unversehrt.
Auf der Flucht vor der Polizei greift er eine Mitarbeiterin der Würzburger Stadtverwaltung an, die ihren Hund ausführt – und schlägt ihr mit der Axt zwei Mal ins Gesicht. Erst dann gelingt es SEK-Beamten, den Angreifer zu stoppen. Er wird erschossen. Wenig später reklamiert der „Islamische Staat“ den Amoklauf für sich – und im Internet taucht ein Bekennervideo auf. Eine Bluttat, die fassungslos macht. Und Fragen aufwirft.
Der erste Notruf aus dem Regionalexpress geht gegen 21.15 Uhr beim Präsidium Unterfranken ein. Er stammt von einer Ehrenamtlichen des Helferkreises, der Muhammad Riyad betreut. Die Frau sitzt zufällig im selben Zug. Die Polizisten hören während des Gesprächs, wie der Attentäter „Allahu Akbar“ ruft. Deshalb habe man „so rasch wie möglich so viele Kräfte wie möglich“ zum Einsatzort geordert, sagt Innenminister Joachim Herrmann später. Als der Zug in Heidingsfeld in einem Wohngebiet durch eine Notbremsung zum Stehen kommt, springt der Täter ins Freie. Es ist reiner Zufall, dass er auf seiner Flucht auf eine Passantin trifft, die gerade mit ihrem Hund spazieren geht. Er verletzt sie so schwer, dass sie in Lebensgefahr schwebt.
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Beamte eines Sondereinsatzkommandos (SEK), die gerade wegen einer Drogenrazzia vor Ort sind, nehmen die Verfolgung auf. Am Mainufer stellen sie den 17-Jährigen. „Er ist aggressiv mit der Axt auf die Polizisten losgegangen, die daraufhin das Feuer eröffnet haben“, sagt Herrmann. „Der Täter ist diesen Schüssen zum Opfer gefallen.“ Mindestens vier Mal drücken die Polizisten ab.
In Heidingsfeld transportieren Rettungskräfte währenddessen die Verletzten ab. Ein Mann wird wegen seiner tiefen Kopfwunde mit dem Helikopter ins Krankenhaus geflogen. Auch 14 Menschen, die einen Schock erlitten haben, werden versorgt. Ein Augenzeuge sagt, im Inneren des Zuges sehe es aus „wie in einem Schlachthof“. Laut Herrmann war der Angreifer im Juni 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen und in Passau registriert worden. Seit März war er im Landkreis Würzburg untergebracht – „im früheren Kolpingheim in Ochsenfurt, eine sehr gute Unterbringung“.
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Zuletzt lebte Riyad in einer Pflegefamilie. Laut Sozialministerium machte er ein Praktikum in einer Bäckerei. Er galt als ruhig, ausgeglichen und nur mäßig religiös. „Er ging an Feiertagen in die Moschee, aber sonst nicht regelmäßig“, sagt Herrmann. „Es gab bei uns noch niemals in irgendeiner Form einen Vorfall“, sagt die Sprecherin des Helferkreises. „Wir sind alle entsetzt und traurig.“ „Wir haben keine Erkenntnisse, dass irgendjemand – sei es das Jugendamt oder die Betreuer – hätte gegensteuern können, weil die Signale nicht da waren“, so der Leitende Oberstaatsanwalt Erik Ohlenschlager. „Es fehlten die Voranzeichen.“
Am Montagabend verabschiedet sich Riyad von seiner Familie mit den Worten, er wolle noch Fahrradfahren und es könne etwas länger dauern. Tatsächlich hat er wohl längst den Entschluss gefasst, zu töten. Er sei in den Zug gestiegen, um „Ungläubige“ umzubringen, sagt Ohlenschlager. Er habe die Angriffe „mit Vernichtungswillen geführt“.
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Darauf deuten eine selbstgemalte Flagge des IS und ein Abschiedsbrief hin, welche die Ermittler im Zimmer des Jugendlichen finden. „Und jetzt bete für mich, dass ich mich an diesen Ungläubigen rächen kann und bete für mich, dass ich in den Himmel komme“, schreibt der Axt-Attentäter an seinen Vater. Auf seinem PC stellen die Fahnder zudem einen kryptischen Text über die „Feinde des Islam“ sicher.
Warum Muhammad Riyad zum islamistischen Amok-Läufer wurde, können die Ermittler bislang nur vermuten. Der junge Mann habe am vergangenen Samstag sehr viel telefoniert, nachdem er vom Tod eines Freundes in Afghanistan erfahren hatte, sagt Kriminaldirektor Lothar Köhler. „Diese Nachricht hat wohl nachhaltig Eindruck auf ihn gemacht.“