Bayern lockert 10H-Regel: Kommt jetzt der Windkraft-Boom?

Lange hat die Windenergie in Bayern eine Flaute erlebt. Dann kamen der russische Angriffskrieg unddie damit verbundene Energiekrise. Nun bewegt sich auch im Landtag was. Kommt der Windkraft-Boom?
Heidi Geyer |
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Noch ein seltenes Bild sind Windräder in Bayern, obwohl auch der Freistaat genügend Wind hätte.
Noch ein seltenes Bild sind Windräder in Bayern, obwohl auch der Freistaat genügend Wind hätte. © IMAGO/Panama Pictures

München - Wer in der Windbranche in Bayern arbeitet, ist leidgeprüft. "Es war vor allem die 10H-Regelung, die Windanlagen verhindert hat", sagt Bernd Wust, Sprecher des Bundesverbands Windenergie in Bayern. Das soll sich nun ändern: Mit dem "Wind-an-Land-Gesetz" hat die Bundesregierung die Spielräume der Windbranche verbessert - und auch Bayern zieht nun nach.

An dem Bundes-Gesetz hat Wust erst einmal nichts zu meckern: "Das ist in der Tendenz schon ein guter Wurf!"

Bund hebelt bayerische 10H-Regel aus

Die Systematik sei nun deutlich einfacher, findet Wust. Statt dem Ausschlussprinzip muss nun jede Region ab 2027 auf 1,1 Prozent der Flächen Vorranggebiete für Windenergie bereitstellen. Der Bund hebelt damit weitgehend die bayerische 10H-Regel aus.

Die Resonanz ist groß, wie Christine Hautz vom regionalen Planungsverband Südostoberbayern mitteilt: "Schon einige Landkreise aber auch Kommunen haben Interesse bekundet, beispielsweise aus dem Chiemgau."

Zunächst gehe es aber darum, die Gebiete auszuweisen. Hautz hält den engen Zeitrahmen für kein Problem, auch wenn an der einen oder anderen Stelle noch Informationen fehlen.

Regeln zum Naturschutz sind teils noch unklar

So geht es auch der Windkraftbranche. "Neue Anlagen zu planen, ist im Moment sehr schwierig. Beispielsweise ist momentan unklar, was ein Naturschutzgutachten alles beinhalten soll", so Wust. Denn bislang haben Rotmilane und andere Arten Windkraftbetreibern oft das Leben schwer gemacht. Da führten Fledermäuse in Dachau schon mal dazu, dass ein Windrad nachts nicht laufen durfte, während es im Nachbarlandkreis lockerer gehandhabt wurde.

Ausgerechnet der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat mit dem neuen Gesetz den Artenschutz eingeschränkt. Nicht mehr lokale Standards, sondern bundeseinheitliche sollen nun gelten. Sogar Landschaftsschutzgebiete können künftig Flächen für Windkraft werden.

Gemeinden, Stadtwerke und Waldbesitzer zeigen Interesse

Peter Beermann ist Geschäftsführer der gleichnamigen Firma aus München, die seit über 20 Jahren Windkraftanlagen in Bayern und Baden-Württemberg plant und betreibt, darunter auch das Windrad an der Allianz Arena. Das Sommerpaket habe in der Branche eine extrem hohe Nachfrage ausgelöst, sagt Beermann. "Wir spüren das sehr!", sagt der Unternehmer, der auch ein vom Bayerischen Wirtschaftsministerium ernannter "Windkümmerer" für Oberbayern ist.

Von Gemeinden über Stadtwerke bis hin zu Waldbesitzern sei das Interesse groß. "Nur fehlen uns die personellen Kapazitäten und das geht auch allen anderen Büros so." Er weiß von vielen in der Branche, die keine Aufträge mehr annehmen. "Das tut weh, wo man jahrelang durch das Tal der Tränen mit 10H gegangen ist", bedauert Beermann. Hinzu komme, dass auch die Liefersituation schwierig ist.

Verbandssprecher Bernd Wust weiß von vielen norddeutschen Windkraftfirmen, die neue Zweigstellen in Bayern eröffnen. Dennoch sagt auch er, es werde dauern, bis neue Windräder sich auf bayerischem Boden drehen. Und drückt auf die Tube: "Bis Ende 2027 dürfen sich die Planungsverbände auf gar keinen Fall Zeit lassen!" Schließlich haben die Unternehmen erst danach Planungssicherheit und können mit den Projekten anfangen.

Energiekrise zeigt Dringlichkeit auf

Wust weist aber auch auf die schwierige Energiesituation hin, die Zeit dränge auch deshalb. Ein Schlupfloch gibt es, weiß Peter Beermann: "In Regionen, in denen es noch keinen Regionalplan Windenergie gibt, muss man nicht bis 2027 warten." Das sei beispielsweise in der Region München der Fall.

Auch die Bayerischen Staatsforsten rechnen mit einer hohen Nachfrage nach Windenergie auf ihren Flächen. Schon jetzt sind dort fünf Mitarbeiter zentral für das Thema abgestellt, sagt Rainer Droste, Bereichsleiter Immobilien bei den Staatsforsten, der AZ. Böses Blut mit den Kommunen soll es jedoch nicht geben. Hierzu sei man in "enger Abstimmung", so Droste.

Sobald es konkret wird, heißt es oft: "Nicht auf meinem Hinterhof"

Der Zuspruch für Windkraft in der Bevölkerung ist hoch. Dennoch wird es oft schwierig, wenn es konkret wird. "Nimby", "not in my backyard" (nicht auf meinem Hinterhof), nennen Forscher dieses Phänomen. Wie er Menschen die Angst nehmen könne, dass durch die Gesetzesänderung schon bald ein riesiges Windrad in ihrem Vorgarten oder eben im Hinterhof, steht?

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Tatsächlich hat Wust genau das bei seinem Elternhaus erlebt, ein 150 Meter hohes Windrad steht da. Und was ist passiert? "Nichts - es gehört dann einfach irgendwann dazu." Erfahrungsgemäß sei der Widerstand in Gebieten am größten, die noch keine Windkraft haben.

Ukraine-Krieg fördert die Energiewende

Mit der Mär, dass Bayern kein Windland sei, will Wust aufräumen. "Wir können in Bayern Windenergieanlagen wirtschaftlich betreiben." Schon jetzt gebe es schließlich 1.200 Windräder, die alle nicht insolvent seien. Nötig seien jedoch hohe Nabenhöhen und große Rotoren, da die Landschaft hügeliger ist und daher erst ab einer bestimmten Höhe gleichmäßiger sei.

Zwar sei die reine Stromerzeugung im Süden teurer, aber das Stromnetz sei nicht so strukturiert, dass man den Strom einfach von der Küste nach Bayern leiten könne.

Dass ausgerechnet die aggressive Politik Wladimir Putins nun die Energiewende in Deutschland beschleunigt? "Das hätte sich niemand so gewünscht. Aber es ist schon eine gewisse Bestätigung für das, was Umweltschützer und Energieexperten schon seit Jahren sagen", räumt Wust ein.


Der Bayerische Landtag lockert die 10H-Regel

Der Bayerische Landtag hat mehrheitlich eine Teillockerung der umstrittenen 10H-Regelung beschlossen. Die Regierungsparteien der CSU und Freien Wähler stimmten am Donnerstag geschlossen für den Änderungsantrag. Die Opposition lehnte die Änderung ab. Ein Antrag der SPD zur ersatzlosen Streichung der 10H-Regel kam erwartungsgemäß auch nicht auf die nötigen Stimmen.

Nach der Änderung sollen vom 16. November an neue Windkraftanlagen mit einem einheitlichen Mindestabstand von 1.000 Metern zu Wohngebäuden gebaut werden können. Zudem gebe es sechs Ausnahmen, in denen der Bau von Windrädern vereinfacht wird, wie etwa in sogenannten Vorranggebieten zur Erzeugung von Windenergie, längs von Eisenbahnstrecken, Autobahnen, in Gewerbegebieten oder im Wald. In allen anderen Fällen gelte die 10H-Regelung aber weiter.

"Wir müssen beim Ausbau der Windenergie neue Maßstäbe setzen", so Bauminister Christian Bernreiter (CSU). Die umstrittene 10H-Regel schreibt bisher vor, dass der Abstand eines Windrades zur nächsten Wohnsiedlung in der Regel mindestens das Zehnfache der Bauhöhe betragen muss - bei 200 Meter Rotorhöhe also zwei Kilometer. Die Vorschrift hatte den Ausbau der Windenergie in Bayern praktisch zum Erliegen gebracht.

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