Bayerische Seen: Graugänse werden zur Plage
Tegernsee - In Oberbayern fühlen sie sich inzwischen zuhause, die Zugvögel aus dem Norden. Tausende bevölkern Flüsse und Seen. Überall ist ihr Geschnatter zu hören. Ob im Englischen Garten, am Starnberger- und dem Ammersee wie auch dem Tegernsee. Ihn erreichten sie vor vier Jahren. Da waren es noch wenige, weiß Wolfgang Hiller aus Gmund.
Der 85-jährige Vogelexperte vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) ist seit Jahrzehnten als Koordinator der Internationalen Wasservogelzählungen am Tegernsee tätig. Das, was er in diesem Frühjahr zu sehen bekam, überraschte auch ihn. Der Nachwuchs habe "bedenklich zugenommen". 50 Graugänse, 20 Erwachsene und 30 Jungvögel zählte er an einem Fleck.

"Seit drei Jahren haben die Graugänse am Tegernsee Bruterfolge", sagt Hiller im Gespräch mit der AZ. "Frisch gemähtes Gras lieben sie ganz besonders". Und das würden sie vor allem auf den Liegewiesen finden. Seiner Kenntnis nach gab es Mitte März etwa 100 Gänse am Ammersee, jeweils 80 am Chiemsee und dem Starnberger See, 50 im Nymphenburger Park und 40 an den Ismaninger Stauseen. "Die guten Flieger suchen sich immer neue Lebensräume und besiedeln sie. Durch die wärmeren meist schneefreien Winter haben die Gänse ganzjährig Zugang zur Nahrung."
Problemgänse hinterlassen riesige Kotmengen
Damit werden sie zunehmend zu Problemgänsen. Denn die gefiederten Tiere hinterlassen riesige Kotmengen. Zwei Kilo, verteilt auf 170 Portionen, scheidet jede Gans täglich aus. Die Hinterlassenschaften werden zur Gefahr für Mensch und Tier. Bei tragenden Kühen, die das verkotete Gras fressen, können die Fäkalien zu Fehlgeburten führen, wie es einem Landwirt im Landkreis Schwandorf erging.
Und mit ihren Duftmarken vertreiben sie die Badegäste. "Gerade im Uferbereich gibt es sehr viele Kotablagerungen", beobachten nicht nur Wildbiologen. Regelrechte Tretminen verschandeln ganze Ufergestade.

Tierschützer lehnen Jagd ab
Inzwischen haben sich die Graugänse so stark vermehrt, dass sie in der Masse kaum mehr in den Griff zu bekommen sind. Jagdmethoden wie bei Rehen oder Wildschweinen funktionieren bei Gänsen nicht. "Wenn ich als Jäger hingehen und ein bis drei Gänse erlegen würde, dann haben zig Dutzende Tiere zugeschaut und sie wissen genau: Wenn der mit dem Auto kommt, wird’s gefährlich", weiß Wildtierbiologe Andreas König von der TU München. Letztlich aber hilft nur die Jagd. Man müsste die Tiere "entnehmen", sagt Tegernsees Bürgermeister Johannes Hagn (CSU).
Doch dafür finde sich kein Jäger, der die Verantwortung übernehmen wolle. Denn "entnehmen" könne auch fangen, betäuben und jagen bedeuten. Die Jagd aber lehnen Tierschützer ab. Sie halten die Entnahme von Eiern für möglich, um die nächste Population zu verringern. Das zuständige Landratsamt Miesbach spricht von einer "Gemengelage" bei dieser "unpopulären Entscheidung". Niemand will sich den Schwarzen Peter für die Sondergenehmigung einer "Entnahme" anhängen lassen.
"Wenn man Gänse entnimmt, dann kommen neue", meint Hiller. "Das ist wie bei den Touristen."
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