Ausverkauf der Wirtshauskultur am Tegernsee

Am Tegernsee sterben die Wirtshäuser nicht, weil zu wenig Gäste kommen. Sie machen dicht, weil mit Immobilien längst weit mehr zu verdienen ist als mit dem Ausschank von Bier
Ralph Hub |
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Sinnbild einer untergehenden (Wirtshaus-) Kultur? Das Wirtshaus Glasl in Rottach-Egern.
Ralph Hub Sinnbild einer untergehenden (Wirtshaus-) Kultur? Das Wirtshaus Glasl in Rottach-Egern.

TEGERNSEE Der Wildschütz Jennerwein hätte garantiert zu seinem Stutzen gegriffen. Denn dem Ausverkauf seiner Heimat hätte der bayerische Freiheitsheld garantiert nicht tatenlos zugesehen.
Die Karstadt-Erbin Schickedanz hat ein schickes Domizil am Tegernsee. Irina Virganskaya, Tochter von Michail Gorbatschov, ebenso. Auch DDR-Devisenbeschaffer Schalk-Golodkowski hat sich im Tal eingekauft, genauso wie Ölscheichs und zuletzt ein russischer Oligarch. Der ließ sich in Rottach-Egern direkt am See eine Villa samt Atombunker hinstellen. Die Anhäufung von Millionären brachte dem See den Spitznamen "Lago di Bonzo" ein

Die Grundstückspreise im Tegernseer Tal explodieren. "Immer ist es dieselbe Leier", beklagen Einheimische, "sobald einer der Alteingesessenen stirbt, verhökern die Erben Haus und Hof." Dann wird vom neuen Besitzer alles platt gemacht, ärgert man sich an den Stammtischen, "und protzig neu gebaut."
Mit dem auswärtigen Geldadel können Einheimische nicht mithalten. 1500 Euro kostet der Quadratmeter Baugrund, Spitzenlagen mit Seeblick noch weit mehr.
Dem Immobilienboom fällt jetzt auch der Gasthof "Glasl" in Rottach zum Opfer. Jenes Wirtshaus, in dem der legendäre Wildschütz Jennerwein am Stammtisch saß und sein Bier trank. Die Wirtschaft, seit 1865 in Privatbesitz, wird abgerissen. Der Gemeinderat hat vergangenen Woche mit 12 zu 5 Stimmen zugestimmt. Die Familie, die den Gasthof 35 Jahre betrieb, sieht keinen anderen Ausweg. "Fast eine halbe Million müsse man in den Gasthof stecken", teilt der alte Wirt dem Gemeinderat mit. Er selbst sei gesundheitlich angeschlagen, der Sohn könne nicht übernehmen, ein Pächter sei nicht zu finden.

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Die Wirtschaft liegt am Fuße des Wallbergs, aber ohne Seeblick. "So viel Bier kannst' in 100 Jahren nicht verkaufen", sagt ein Nachbar, "wie man in dieser Lage mit Wohnungen auf einen Schlag verdienen kann." Deshalb weicht der Gasthof zwei Mehr- und zwei Einfamilienhäusern.
Der Protest im Ort verpuffte. Eine Unterschriftenaktion, bei der sich 800 Bürger eintrugen, lief ins Leere.
Kreisheimatpfleger Benno Bauer, selbst Architekt, fürchtet den Verlust wertvoller, historischer Bausubstanz und den Ausverkauf bayerischer Tradition. "Es gibt viele Höfe in der Region die nicht mehr bewohnt werden und denen ein ähnliches Schicksal droht", warnt er.

So auch in Tegernsee selbst. Das Hotel "Guggemos" steht seit 2008 leer. Seitdem tobt der Streit, was mit dem Seegrundstück im Ortszentrum passiert. Der Besitzer, das Herzogliche Brauhaus, möchte ein Wohn- und Geschäftshaus bauen. "Mit einer erheblichen Vergrößerung zum See hin", wie Bürgermeister Peter Janssen kritisiert. Die Stadt bevorzugt dagegen den Plan, ein Hotel mit 60 Zimmern und 120 Betten zu errichten. "Nicht lukrativ", sagt die Brauerei und präsentiert ein Gutachten. Die Stadt hält mit einem eigenen Gutachten dagegen. Derzeit wird ein Bebauungsplan erstellt. Das Hotel "Guggemos" gammelt unterdessen weiter vor sich hin.

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