Vom großen Tanker aus nach neuen Ideen angeln
Seit Juni 2012 ist Bettina Reitz Fernsehdirektorin und damit direkt mit dem neuen Intendanten, Ulrich Wilhelm, für die Zukunft des Bayerischen Rundfunks mitverantwortlich.
AZ: Frau Reitz, mit der Einführung des Rundfunkbeitrags ist eine Diskussion entbrannt, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht ein verschwenderischer Gierschlund ist.
BETTINA REITZ: Die Diskussion kam in dieser Härte überraschend. Aber man sollte da vorsichtig sein: Wer die Öffentlich-Rechtlichen beschädigt, gefährdet genau das, was die Menschen eigentlich erwarten: verlässliche Qualitätsberichterstattung, ein vielseitiges Programm, und alles auf technisch hohem Niveau.
Aber vielleicht wird zuviel Geheimniskrämerei betrieben. Das schafft Misstrauen. Wenn wir zum Beispiel anfragen, wie viel Geld der BR in einem Kino-Flop drin hatte, wird gemauert.
Eine Zahl allein ist wenig aussagekräftig, aber die ARD hat gerade veröffentlicht, wieviel Cent jedes Rundfunkbeitrages in Filme investiert werden. Wir haben aufgeschlüsselt, wie sich zum Beispiel sie Gesamtkosten eines „Tatort“ zusammensetzen. Im Schnitt kostet dieser 1,3 bis 1,5 Mio Euro. Und bei Kino-Koproduktionen liegt unser Anteil zwischen 20 und 30 Prozent der deutschen Herstellungskosten. Alles kein Geheimnis.
Und die Intendantengehälter in der ARD und beim ZDF wurden öffentlich.
Das ist auch richtig. Das Gehalt des BR-Intendanten steht im Geschäftsbericht. Wir wollen Transparenz bieten.
Die Öffentlich-Rechtlichen rechnen durch die Umstellung von Gebühr auf den Rundfunkbeitrag nicht mit Einnahmeverlusten. Warum wird dann eigentlich immer vom Sparen geredet?
Durch die Beitragsumstellung wurde der Trend sinkender Einnahmen lediglich gestoppt. Wir erreichen 2013 in etwa wieder die Einnahmen wie 2009. Seitdem sind die Kosten aber in vielen Bereichen gestiegen. Neben wachsenden Technik-, Rechte- und Energiekosten haben wir Tarifsteigerungen und Pensionsansprüche aus anderen Zeiten zu verkraften. Bislang konnten wir Defizite durch Reserven und Umschichtungen kompensieren. Diese Möglichkeiten sind aber weitgehend erschöpft. Wir müssen sparen und Ausgaben kürzen.
Also, wo und wie kürzt man?
Alle Direktionen prüfen, wie sie die steigenden Kosten auffangen können. Aber auch Veränderungen im Programm werden notwendig und sinnvolle Synergien müssen umgesetzt werden. Dabei haben wir unseren gesetzlichen Auftrag im Blick und wissen, die Inhalte müssen unsere wichtigste Aufgabe bleiben.
Dann aber erfindet man einen neuen Franken-„Tatort“. Schickt man dafür die Münchner Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl in Rente?
Der Franken-„Tatort“ ist schon lange im Gespräch. Was unsere Münchner Ermittler angeht, halte ich es mit dem Satz: Die Münchner sind die erfahrungsreichsten Ermittler, denen schauen wir auch noch gerne beim Ermitteln „mit dem Rollator" zu, wie die zuständige Redakteurin Stephanie Heckner kürzlich sagte.
Zu den drei Münchnern kommt jetzt ein einziger Franken-„Tatort“ pro Jahr. Wird der als Marke überhaupt wahrgenommen?
Schauen Sie sich den einen hessischen mit dem wunderbaren Ulrich Tukur an! Wir vom BR waren mit den „Tatort“-Einbringungen in das Erste im Untersoll, insofern ist der Franken-"Tatort" konsequent.
Wie reagieren Sie auf den Vorwurf, der BR verschwende Geld, weil zu viele Eitelkeiten und Wichtigtuereien befriedigt werden, so wenn man mit 50 BR-Leuten zur Papstwahl nach Rom fährt...
Ich verstehe die Frage. Aber sie zielt in eine falsche Richtung. Hier werden alle mitgezählt: Journalisten, Produktions- und Technikkollegen. Dazu hat der BR neben seiner Arbeit für das Erste noch eine eigene Nachrichtenstrecke mit der „Rundschau“. Und es wird von einem öffentlich-rechtlichen Sender bei einer Papstwahl erwartet, dass über jede Entwicklung rund um die Uhr in Hörfunk und Fernsehen berichtet wird. Ein bayerischer Papst war – historisch einzigartig – zurückgetreten. Der BR ist für die ARD für Rom zuständig und hat umfassend und in hoher Qualität berichtet. Das wird zu Recht erwartet, oder?
Dann gibt es noch den Vorwurf, dass oft mehrere ARD-Sender parallel bei Großereignissen vor Ort sind anstatt sich gegenseitig mit Material zu versorgen.
Es gibt viele Beispiele, wie wir die Kooperation ständig verstärken. Auch mit dem ZDF wird engsten zusammengearbeitet, so beispielsweise bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Dass die ARD föderal aufgebaut ist, ist historisch begründet und politisch gewollt.
Sie meinen, der WDR will halt keinen politischen Kommentar von Sigmund Gottlieb hören?
Das müssen Sie den WDR fragen. Ich meine, dass föderale Strukturen eine Besonderheit und eine Stärke unserer Demokratie sind. Dies trifft auch auf die Landesrundfunkanstalten zu.
Ist der große Tanker „Öffentlich-Rechtliche“ aber nicht schwerfällig und schwer auf Reformkurs zu bringen?
Der Tanker würde nicht so zuverlässig auf glaubwürdigem Kurs fahren, wenn nicht ganz viele Menschen täglich mit großem Engagement daran arbeiten würden. Wenn der BR bis 2020 die Trimedialität umsetzen will, ist das nicht schwerfällig sondern dynamisch und eine enorme Kraftanstrengung.
Wenn also jeder Redakteur in Zukunft TV, Radio und Online beliefern muss, gibt es da nicht Widerstand?
Veränderungen bringen meistens Verunsicherungen und Ängste mit sich. Aber man kann Fernsehen, Radio, Online und Social Media nicht mehr getrennt betrachten. Unsere Mitarbeiter reagieren auf die Veränderungen der Mediennutzung, Arbeitsschwerpunkte werden aber weiterhin bestehen bleiben.
Dass es eine „Fernsehhoheit“ gibt, also Marken und Zeiten, für die sich große Teile der Bevölkerung kollektiv vor den Fernseher setzen, ist vorbei?
Nein, das wird es weiter bei Großereignissen geben. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass das Kanzler-Duell derart hohe Einschaltquoten haben würde? Trotzdem haben Sie Recht, das klassische Fernsehen für eine bestimmte Sendung zu einer bestimmten Zeit wird – angesichts von Mediatheken, Video-on-demand und den verschiedensten Abspielgeräten wie Tablets und so weiter abnehmen.
Das könnte auch ein Befreiungsschlag von der „Quoten-Fixierung“ sein, die man beim beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk ohnehin nicht verstehen kann.
Man muss sich von der Quote freier machen. Alle zahlen Beiträge, also muss auch ein Programm für die verschiedensten Interessen angeboten werden. Der BR versteht sich ganz klar als Dienstleister für Information, gesellschaftliche Relevanz und Kultur.
Und wie schafft man es noch, Themen und Marken zu setzen, die Gesprächswerte in unserer Gesellschaft schaffen?
Mit kreativen Spielräumen, Programm-Mut und Hilfe von anderen Medien, wie z.B. Zeitungen, mit denen wir weiterhin zusammenarbeiten wollen. „Operation Zucker“ von Rainer Kaufmann war ein radikaler Fernsehfilm über Kinderhandel und Kinderprostitution. Der hat Diskussionen in den Medien und in der Bevölkerung ausgelöst, eine hohe Akzeptanz geschafft und den Deutschen Fernsehpreis gewonnen.
Ihr Intendant plädiert auch, auf Youtube mit 5-Minutenserien präsent zu werden...
Es geht letztendlich darum, dass das Öffentlich-Rechtliche auch von der Jugend wahrgenommen wird. Wir müssen auf allen Ausspielwegen zeigen, dass wir gute Inhalte machen. Sonst wächst eine Generation heran, die gar nicht mehr weiß, was sie an uns hat. Dann würde es existenzgefährdend für uns.
Aber in Kanälen wie Youtube haben doch relevante Inhalte wenig Platz. Da wird der Versprecher einer Redakteurin, die statt „Reaktion“ aus Versehen „Erektion“ sagt, zum Renner. Das kann nicht der Maßstab für BR-Inhalte sein.
Nein, noch sind auch Youtube, Facebook, Twitter usw. eher Angebote, in denen Kurzfassungen von Informationen und vor allem Humorvolles angesehen bzw. weiterkommuniziert wird. Wohin diese Angebote in Zukunft steuern, ist aktuell nicht klar. Die Entwicklung bleibt sehr spannend.
Entrümpeln Sie auch Programme?
Ja, aber wir müssen aufpassen. Was weg ist, ist weg. Eine neue Marke in der heutigen Zeit zu etablieren, ist schwer. Lieblinge im Netz wie die Serie „House of Cards“ haben 100 Millionen gekostet und es brauchte einen großen Star wie Kevin Spacey und einen Top-Hollywoodregisseur.
Und wie geht es also mit dem trimedialen Kurs steuernden Tanker BR weiter?
Wir müssen flexibler und beweglicher werden, abenteuerlustig sein und vom Tanker aus rundherum angeln, um gute Ideen zu fischen und an Bord zu holen. Gesprächswert, Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit bleiben wichtig. So halten wir die Qualität, die man vom Öffentlich-Rechtlichen erwartet und die der BR seit Jahren bietet.