TV-Kritik von Ponkie: Tatort - Der rote Schatten im Ersten
Das Gudrun-Ensslin-Zitat aus dem Kaufhausprozess 1968, alte VW-Busse und Otto Schily als Anwalt-Revoluzzer stimmen nicht gerade auf leichte Sonntags-Schlummer-Unterhaltung ein. Auf die breite mediale Aufbereitung der RAF folgt nun der Stuttgarter "Tatort" "Der rote Schatten" (Regie: Dominik Graf, Buch: Raul Grothe, Dominik Graf) – "Deutscher Herbst", Aufarbeitung Teil 2.
Vierzig Jahre nach dem Mord an Hanns Martin Schleyer, der Befreiung der entführten Boeing 737 durch die GSG 9 und den Selbstmorden von Baader, Raspe und Ensslin in Stammheim am 18.Oktober 1977, unternimmt Dominik Graf den Versuch, Historisches und Fiktion zu einem packenden Geschichts-Thriller zu verbinden, ohne das "Who’s done it" Klischee zu bedienen. Der "Tatort" wird wieder politisch.
Christoph Heider (Oliver Reinhard) glaubt nicht an den Badewannenunfall seiner Ex-Frau. Er überzeugt die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) den zwielichtigen Trunkenbold Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) unter die Lupe zu nehmen. Bei den Ermittlungen stoßen sie auf eine langjährige V-Mann-Vergangenheit beim Verfassungsschutz. Oberstaatsanwalt Lutz (Friedrich Mücke) muss Jordan mit allen Mitteln abschirmen, weil er wie vor 40 Jahren als RAF-Informant auf die Terroristin Astrid Frühwein (Heike Trinker) angesetzt ist. Es steht die Hypothese im Raum, dass Jordan sogar für die eingeschmuggelten Waffen der Todesnacht von Stammheim verantwortlich war.
Graf bringt Original-Archivmaterial in seinen "Tatort"
Das heikle Verwirrspiel der geschichtlichen und fiktiven Namen wird durch viel Original-Archivmaterial auf zwei Zeitebenen ergänzt. Minutiös dreht Dominik Graf zwei Versionen der Stammheimer Todesnacht in einem verblüffend echt wirkendem 70er-Look nach: War es Selbstmord oder eine staatlich angeordnete Hinrichtung? Der damals für die RAF-Suizide zuständige LKA Beamte (Michael Hanemann) bringt am Ende die Vermutung, dass die Terroristen kontinuierlich abgehört wurden – Eingreifen unerwünscht.
Graf, dessen Vater schon als Bösewicht in "Wir Wunderkinder" politische Filmgeschichte geschrieben hat, verblüfft mit authentisch wirkendem Material und zeigt eine in sich schlüssige Vergangenheitsaufarbeitung. Deutscher Herbst: ein Lehrstück der Widersprüche - der Verfassungsschutz-Nebel schwebt weiter.
Lesen Sie auch: "Der rote Schatten"-Tatort: Lohnt sich das Einschalten?