TV-Kritik: So war der Tatort "Paradies" aus Wien
Strychnin-Humor, schwarze Fantasie und rabiate Sprachkraft mit österreichischem Kratzbürsten-Charme: so war der Tatort "Paradies" aus Wien mit Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser. Die Kritik der Abendzeitung.
Dem TV-Sommerloch der Krimi-Wiederholungen und Herzwärmer-Schnulzen entronnen, dürfen wir uns bei der „Tatort“-Marke wieder den Unannehmlichkeiten der täglichen Kriminalität zuwenden. Und obwohl es immer häufiger wohlfeile Krimi-Mode ist, das Privatleben der Kommissare aufregender zu gestalten als die Meucheltaten der Ganoven, ist das bei dem Sommerloch-Schlussakkord „Tatort: Paradies“ (Buch: Uli Brée, Regie: Harald Sicheritz, ARD/ORF) kein Fehler.Denn diese Paradies-Aura kommt aus Österreich, und dort ist man mit Strychnin-Humor, schwarzer Fantasie und rabiater Sprachkraft stets besonders kreativ.
Hier spricht Harald Krassnitzer über den Film
Dass sich in schäbigen Provinz-Altersheimen erfinderische Rentner-Gangs von mittellosen Hungerleidern zusammenfinden, um ihr Schmalhans-Taschengeld durch Schmuggelfahrten und illegale G’schäfterl aufzubessern, ist als Idee auch nicht mehr ganz frisch, aber immerhin ein skurriler Akt der Notwehr; und wie der Kommissar Eisner (Harald Krassnitzer) und seine kaltschnäuzig-warmherzige Bibi Fellner (Asphalt-Rakete Adele Neuhauser), die sich beide gerade in einen faden Urlaub hineindödeln, durch den Tod von Bibis ungeliebtem Altersheim-Vater und dessen seltsamer Schließfach-Hinterlassenschaft von 30.000 Euro in eine philosophische Höllentour in die Abgründe der menschlichen Natur hineingeraten, das zeigt, warum die Österreicher im Tatort-Gewerbe führend sind.
Das Symbolhafte ist geprägt von gebrochenen Biographien, nichts ist glatt und gerade, das Leben ist krumm und abgewetzt – sie haben ihren Nestroy tief drinnen im melancholisch-fatalistischen Gemüt. Das nährt ihren Kratzbürsten-Charme und die Hinkebeinwendigkeit im Wiener Kaffeehausschmäh.
Eisner und Fellner kriegen als Altenheimforscher Verstärkung von einem pensionierten Altkollegen, der sich undercover unter die Rentnergang mischt (Branko Samarowski), und das „Schöner-wohnen“-Wort „Seniorenresidenz“ kriegt einen Moderhauch von Rattengift.
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