"Tatort: Das Verlangen": Kammerspiel im Münchner Theater
Eine Weihnachtsfolge, die es im Hochsommer schneien lässt, Countdown für Miroslav Nemec (71) und Udo Wachtveitl (67) und dann auch noch Ermittlungen ausschließlich im Theater. Im neuen "Tatort: Das Verlangen" (26. Dezember, 20:15 Uhr im Ersten) aus München kommt vieles zusammen. Der 97. von 100 Fällen für Batic und Leitmayr, der aber als 98. ausgestrahlt wird, führt die Kommissare auf die Bretter, die die Welt bedeuten.
Im geschlossenen System des Münchner Residenztheaters mit Drama, Liebe und Intrigen auch hinter den Kulissen müssen sie inmitten des Ensembles einen Mörder entlarven. Das Besondere: Der Film spielt sich fast ausschließlich in den Räumlichkeiten des Theaters ab.
Darum geht es im "Tatort: Das Verlangen"
Mehr Schein als Sein. So könnte man das renommierte Münchner Theater beschreiben, an das Batic und Leitmayr gerufen werden. Schauspielerin Nora Nielsen (Giulia Goldammer, 32) ist vor dem Publikum zusammengebrochen, als sie gerade als Nina in Tschechows Drama "Die Möwe" ihren Monolog sprach. Die Todesursache ist eine Überdosis Schmerzmittel, versteckt in einer Requisite - und die hat Nora nicht freiwillig eingenommen.
Umso tiefer die Ermittler gemeinsam mit Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer, 32) in die Welt des Theaters eintauchen, desto klarer wird, dass im Ensemble statt Kollegialität vielmehr Druck, Neid, Eifersucht, Machtspielchen und Tablettenmissbrauch an der Tagesordnung sind. Tatmotive gibt es in dieser rivalisierenden Theaterfamilie viele - und Nora ging es zuletzt immer schlechter: enttäuschte Liebhaber und deren Ex-Freundinnen und -Freunde, eine Jungschauspielerin mit Hoffnungen auf Noras Rolle und ein Altstar, der nicht vom Thron gestoßen werden will. Der Täter ist auf jeden Fall unter den Theaterschauspielern zu finden. Doch hinter der Tragödie verbirgt sich letztlich noch eine zweite.
Lohnt sich der "Tatort: Das Verlangen"?
Auf jeden Fall. Zugegeben, man muss sich etwas einlassen auf dieses Kammerspiel, in dem die Grenzen zwischen Theaterstück und Filmhandlung verschwimmen. Doch gerade das macht den Reiz aus: Oftmals weiß man nicht, ob die Sätze aus Tschechows Stück stammen oder doch abseits der Bühne gesprochen werden. Was ist Inszenierung, nur Theater - und was ist Realität? Wer auf Außenaufnahmen oder klassische Büroermittlungen hofft, ist bei "Das Verlangen" falsch, denn aus dem Münchner Residenztheater bewegt sich hier niemand fort - The Show Must Go On. Und dennoch wird dieser Whodunit zwischen Lügen, Intrigen und Affären nie langweilig. "Im Theater hat jeder was mit jedem", weiß auch Leitmayr.
Und das ist nur einer der selbstironischen Sätze, die die Ermittler mal wieder auf höchstem Niveau abliefern. In der gar nicht schimmernden Theaterwelt mit ihrer gedrückten Stimmung sind die zwei nie um einen Spruch verlegen, wenn sie sich durch die verwirrenden Gänge des Hauses schlängeln, treppauf und treppab, und ihren ewigen Praktikanten Kalli all das erledigen lassen, worauf sie keine Lust haben. Mit viel Witz nehmen sie den Beruf des Filmschauspielers im Vergleich zum Theaterstar auf die Schippe und bauen am Ende auch noch eine schöne Werbung für die Bühnenkunst ein. Und die zwölfminütige Schlussrunde auf der Bühne, in der sie à la Agatha Christie den Täter präsentieren, ist wirklich theaterwürdig.
Das starke Ensemble um sie herum - und Ensemble ist hier doppelt zu verstehen - trägt ebenfalls zum Gelingen dieses Krimis bei. Die Theatererfahrung der Schauspieler ist unverkennbar, allen voran Ursina Lardi (54, Rolle: Gina Rohland), die mit dem Silbernen Löwen als beste europäische Theaterschauspielerin ausgezeichnet wurde. Sie verstehen es so geschickt, die Grenze zwischen ihrem Filmcharakter und ihrem "Die Möwe"-Alter-Ego verwischen zu lassen, dass es am Ende nur Applaus geben kann. Weil es dann auch noch gelingt, die Szenen trotz des beschränkten Raums filmisch abwechslungsreich einzufangen, ist der "Tatort" komplett.
Für Batic und Leitmayr war es nach "Aida" von 1996 der zweite Ausflug in die Welt des Theaters. Zwei Filme gibt es noch mit den beiden, bevor Wachtveitl und Nemec 2026 nach 35 Jahren als "Tatort"-Stars in Rente gehen. "Wenn Sie aufhören, irgendwann Mörder zu suchen, wird's irgendjemand anders tun - und keinen interessiert's", wirft ihnen im Film einer der Schauspieler noch an den Kopf. Da wird er falsch liegen, das ist jetzt schon klar, und am Ende sieht er es auch selbst ein: "Vielleicht werden die Leute Sie doch vermissen, wenn Sie irgendwann nicht mehr da sind."
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