Shitstorm oder Empörungswelle? Sprachwissenschaftler debattieren
Sind Anglizismen hässlich oder doch Bereicherungen für den deutschen Wortschatz? Zum zwölften Tag der deutschen Sprache wird darüber wieder debattiert.
Deutschlehrer, Großeltern und sprachverliebte Traditionalisten gehen bei Anglizismen gerne auf die Barrikaden. Ihre Sorge: Englische Begriffe verdrängen die schönen, alten, deutschen Wörter. Was die einen beunruhigt, ist den anderen Anlass zum Schwärmen. Das Englische im Deutschen sei eine Bereicherung, sagen die Anglizismen-Befürworter. Einer von ihnen ist der englische Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität Berlin. Entlehnte Begriffe schließen seiner Ansicht nach Lücken im Wortschatz.
Auf die Barrikaden gehen heißt neuerdings auch Shitstorm - zumindest ungefähr. Shitstorm ist der Anglizismus des Jahres 2011. Stefanowitsch war Vorsitzender der Anglizismus-Jury und nennt den Begriff Shitstorm ein Paradebeispiel für die klassische Entlehnungssituation: Etwas Neues kommt auf, das benannt werden muss. Das kann eine kulturelle Praxis sein, eine Technologie oder ein Gegenstand.
Dafür bedienen sich die Muttersprachler aus einer sogenannten Zielkultur, also einer Kultur mit Vorbildcharakter. Den hat derzeit das Englische. „Aber es ist keineswegs so, dass unsere Zielkultur heute die USA oder Großbritannien sind“, sagt der Sprachwissenschaftler. Vielmehr sei die globalisierte Welt den Deutschen ein Vorbild. Und die globalisierte Welt spricht Englisch.
Am 8. September ruft der Verein Deutsche Sprache zum zwölften Mal den Tag der deutschen Sprache aus. Die Fronten bleiben verhärtet. Schwierig sei der Einzug des Englischen vor allem dann, wenn die deutsche Sprachgemeinschaft gar nicht erst auf die Idee kommt, deutsche Begriffe für etwas Neues zu suchen, weil sie das Englische für moderner und lebendiger hält, sagt Holger Klatte vom Verein Deutsche Sprache in Dortmund. „Für Shitstorm könnte man auch sehr gut Empörungswelle sagen“, findet der Sprachwissenschaftler.
So richtig passt das aber eben nicht, urteilte die Jury des Anglizismus 2011. „Sprachgemeinschaften entlehnen keine Wörter für etwas, für das sie schon ein Wort haben“, sagt Stefanowitsch. Der Shitstorm zum Beispiel ist ein ganz spezieller Sturm der Entrüstung, der sich im Internet immer mehr hochschaukelt, besonders in den sozialen Plattformen.
Zwei Hauptargumente sprechen laut Klatte gegen Anglizismen: „Es gibt zu viele Menschen in Deutschland, die zu wenig oder kein Englisch sprechen.“ Und: „Weil das Deutsche eine alte, lang beständige und gut ausgebaute Kultursprache ist, in der wir eigentlich alles ausdrücken können, und das sollten wir nicht so einfach aufgeben.“
Das Phänomen der Wort-Entlehnung ist nicht neu: Im späten 19. Jahrhundert war laut Stefanowitsch eher das Französische en vogue. Zielkulturen seien immer schon Länder gewesen, die entweder generell ein kulturelles Vorbild waren oder Vorreiter in einer speziellen Disziplin.
Für übertrieben hält auch Christoph Mücher vom Johann Wolfgang von Goethe Institut in Berlin das allgemeine Murren gegen Anglizismen. Den Status des galanten Lückenschließers gesteht er den Anglizismen durchaus zu. Für Relaunch zum Beispiel sei Neugestaltung einfach kein ernstzunehmender Ersatz. „Ich sehe Anglizismen nicht als Hauptproblem.“
Das Hauptproblem des Deutschen ist seiner Ansicht nach der Trend zum immer Kürzeren. Sehr lange Texte zu lesen und zu schreiben, gelinge immer seltener: „Unsere Aufmerksamkeit wird verhäckselt, insbesondere durch die Textform E-Mail: kurz, schnell geschickt, immer mit relativer Dringlichkeit.“ Dann bemerkt er, wie „furchtbar retro“ er wahrscheinlich klinge – und bedient sich damit aus dem Lateinischen.
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