Peter Scholl-Latour, der Dinosaurier

Er ist der berühmteste deutsche Kriegsreporter: Peter Scholl-Latour erklärt uns seit sechs Jahrzehnten die Welt. Mit 90 ist er noch immer unterwegs – demnächst im Tschad.
von  Esteban Engel
Peter Scholl-Latour vor dem ehemaligen französischen Befehlsbunker der Dschungelfestung Dien Bien Phu, wo 1954 der erste Indochinakrieg verloren ging.
Peter Scholl-Latour vor dem ehemaligen französischen Befehlsbunker der Dschungelfestung Dien Bien Phu, wo 1954 der erste Indochinakrieg verloren ging. © ZDF/Cornelia Laqua

Der Islam, so hat es einmal ein Kabarettist gesagt, habe drei Glaubensrichtungen: Sunniten, Schiiten – und Peter Scholl-Latour. Jedenfalls hat der Journalisten das Bild der Deutschen von der arabischen Welt, aber auch von Asien und Afrika, nachhaltig geprägt. Ob im Fernsehen oder in seinen Bestsellern: Als „letzter Welterklärer“ („Der Spiegel“) gibt es wohl kaum eine Talk-Couch, auf der Scholl-Latour nicht schon saß.

In seinem mittlerweile legendärem Nuscheln berichtet Scholl-Latour von der großen Politik, wie er sie sieht. Er war überall und hat sie alle gekannt – vom Ajatollah Khomeini bis zum Vietcong-General Vo Ngyuen Giap. Stempel von 200 Staaten, von denen so mancher schon lange untergangen ist, hat er in seinen Pässen.

Ein paar Tage nach seinem 90. Geburtstag an diesem Sonntag (9. März) kommt wohl ein neuer Stempel hin zu: Dann reist Scholl-Latour nach N'Djamena in den Tschad. „Ich muss wieder raus“, sagt er.

Der arabische Frühling hat nichts gebracht

Vor drei Wochen war er noch im Libanon. „Wir wollten nach Damaskus, haben aber kein Visum bekommen“, erzählt der Journalisten in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg. Von hier aus sieht man den Funkturm, im Osten ahnt man den Fernsehturm am Alexanderplatz. An einer Wand hängt eine Kalligraphie aus China („Die hat mir der Bruder des letzten Kaisers gewidmet“), gegenüber der junge Napoleon in der Schlacht von Marengo.

Viele seiner insgesamt 32 Bücher erzählen von Kriegen. Und schon die Titel lassen meist nichts Gutes ahnen. Ob „Der Wahn vom Himmlischen Frieden“ über China, „Allah, Blut und Öl“ oder „Afrikanische Totenklage“, „Welt aus den Fugen“ – Scholl-Latours Welt ist geprägt von Mord und Totschlag, Machtkämpfen und Verschwörungen. Damit landete er fast immer Bestseller.

„Heute lässt sich kein Krieg mehr gewinnen“, sagt er im Gespräch. Die USA hätten das im Irak und in Afghanistan schmerzlich zu spüren bekommen. Die Hoffnungen, die sich mit dem „Arabischen Frühling“ verknüpften, hält Scholl-Latour für maßlos überzogen. „Das ist eine arabische Katastrophe“, sagt er. „Kein Land steht heute besser da als vor der Revolte.“

Auch die Rolle des Internets werde überschätzt. „Eine Verschwörung kommt nur durch persönliche Beziehungen zustande, nicht durch sogenannte Freunde bei Facebook.“ Wegen solcher Einschätzungen ist ihm zuweilen koloniale Mentalität vorgeworfen werden. Er bediene imperialistische Klischees, schrieb die Berliner „tageszeitung“.

Gefangener des Vietcong

Dabei blickte der Sohn eines im Saarland geborenen und in Lothringen aufgewachsenen Arztes sehr früh über den eigenen Tellerrand. Seine elsässische Mutter („eine Frau mit viel Courage“) entkam als Jüdin knapp der Deportation. Scholl-Latour ging im schweizerischen Fribourg in ein Jesuitenkolleg. Seine Eltern wollten ihn nicht in Deutschland haben: Nach den Nürnberger Rassegesetzen galt er als „Mischling ersten Grades“.

Nach der Befreiung Frankreichs 1944 scheiterte Scholl-Latour beim Versuch, sich der französischen Armee anzuschließen. Bis heute bewundert er den General und Präsidenten Charles de Gaulle. Auch zu den Partisanen im späteren Jugoslawien kam er nicht. Auf dem Weg dahin nahmen ihn die Deutschen fest, er kam in Gestapo-Haft.

Sofort nach Ende des Zweiten Weltkrieges meldete er sich bei einer französischen Elite-Einheit. Die Soldatenausbildung habe ihm sehr geholfen – auch die Erfahrung als Fallschirmspringer in Indochina: Sein 1979 erschienenes Buch „Tod im Reisfeld“ über den Vietnam-Krieg wurde später Scholl-Latours größter Erfolg. Rund eine Million Mal ging es über die Ladentheken.

Lange hielt Scholl-Latour es allerdings nicht an einem Platz aus. Die Zeit als Regierungssprecher im Saarland, WDR-Fernsehdirektor oder „stern“-Chefredakteur blieben Episoden. 1963 wurde er Leiter des neuen ARD-Studios in Paris, seine Reportagen aus dem Kongo machten ihn zum populärsten Fernsehreporter Deutschlands. 1971 wechselte er zum ZDF.

Als Katholik ein Ajatollah-Versteher

Richtig wohl fühlte sich Scholl-Latour in Krisengebieten. Er berichtete aus dem Dschungel über den Vietnamkrieg, wurde 1973 Gefangener der Vietcong-Guerilla, zog mit den Mudschahedin durch Afghanistan. Mut und Überlebensinstinkt hätten ihm dabei geholfen. Er traue nur dem, was er selbst sehe, von den neuen Informationswegen halte er nicht viel. Technisch sei er beim Faxgerät stehengeblieben.

„Ich bin ein Dinosaurier.“ Er suche eben die „émotitons fortes“, sagte Scholl-Latour auf Französisch, die starken Eindrücke. Glück, sagt er, sei „eine amerikanische Erfindung. Ich bin oft zufrieden gewesen“ - gelegentlich auch mit den Frauen.

Seinen größten Scoop, den Flug mit dem iranischen Revolutionsführer Khomeini aus dem Exil nach Teheran, habe er wohl auch seinem Verständnis für den Fundamentalismus zu verdanken. Zu den Korangelehrten habe er immer einen guten Draht gehabt. „Da hat mir die katholische Erziehung sehr geholfen.“

 

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