Kein Regen in England

Das ZDF verfilmt den ersten Kriminal-Roman der US-Erfolgsautorin Martha Grimes. Der kauzige Inspektor Jury soll in Zukunft mit Donna Leons Commissario Brunetti konkurrieren
von  Gaby Herzog
Inspektor Jury (Fritz Karl, li.), Melrose Plant (Götz Schubert, re.) und seine kriminalistisch interessierte Tante Agatha Ardry ( Katharina Thalbach, Mi.).
Inspektor Jury (Fritz Karl, li.), Melrose Plant (Götz Schubert, re.) und seine kriminalistisch interessierte Tante Agatha Ardry ( Katharina Thalbach, Mi.). © ZDF/John Harding

Fritz Karl ist „not amused“. An die rote Backsteinmauer gelehnt, sitzt der Schauspieler auf einer Bank vor dem altehrwürdigen Breamore House in der Grafschaft Dorset und starrt in den Himmel. Da ist keine Wolke. Kein Nebel. Nicht einmal etwas Wind.

„Wir sind ja schon froh, wenn es diesig ist und die Sonne nicht ganz so fröhlich scheint“, sagt er und schüttelt die graumelierten Locken. Karl hat Angst vor dem Rosamunde-Pilcher-Effekt. Das „heile-Welt-Licht“ passt zu den Sonntag-Abend-Schmonzetten, mit Herzschmerz und hübschen Blondinen in den Hauptrollen, die ebenfalls ganz in der Nähe gedreht werden. Aber nicht zu der Stimmung in einem düsteren Krimi, für den Fritz Karl gerade vor der Kamera steht.

In „Inspektor Jury schläft außer Haus“, dem Bestseller-Roman der US-amerikanischen Autorin Martha Grimes, spielt der 45-jährige Österreicher den Chefermittler von Scotland Yard: Im südenglischen Provinznest Long Piddleton passieren bizarre Morde. Verdächtige gibt es viele, denn hinter den bürgerlichen Fassaden tun sich Abgründe auf.

Anfang 2014 soll der Auftaktfilm im ZDF ausgestrahlt werden. Der Plan: Wenn Teil 1 gut bei den Zuschauern ankommt, soll Inspektor Jury in Serie gehen. Vorbild sind die Abenteuer des Commissario Brunetti (Uwe Kockisch). Der löst seit 13 Jahren für die ARD seine Mordfälle in Venedig und erreicht regelmäßig rund 5 Millionen Zuschauer. Ein Quoten-Hit, den „Das Erste“ gerne ausbauen würde – nur gibt es keine unverfilmten Bücher in Reserve. Autorin Donna Leon lässt sich nicht hetzen: Sie schreibt jedes Jahr nur einen neuen Roman.

Bei Martha Grimes kann das ZDF dagegen aus dem Vollen schöpfen. Die 82-Jährige hat für den kauzigen Inspektor schon 21 weitere Fälle aufgeschrieben. Die Geschichten von Jury stehen in der Tradition des klassischen britischen Krimis wie von Agatha Christie. „Es passiert ein Mord und wir suchen ganz traditionell den Mörder“, erklärt Produzent Dirk Eggers. „Martha Grimes führt das Genre aber mit einer modernen Ermittlerfigur weiter. Jury ist ein gebrochener Charakter, die Fälle sind oft düster.“

Düstere Kriminalfälle – bei herrlichem Wetter? Das seht so nicht im Drehbuch. Pünktlich zu Beginn der Filmarbeiten endetet die Schlecht-Wetter-Phase in Südengland. „Es hat vorher ein knappes dreiviertel Jahr lang nur geregnet, so sehr, dass an der Küste die Gärten ins Meer gespült wurden“, sagt Eggers. „Seit wir da sind, herrscht Sonnenschein. Wir hatten nur ein Mal Nebel. Zwei Mal musste die freiwillige Feuerwehr ausrücken, um Wasser in unsere Regenmaschine zu pumpen.“

Katharina Thalbach mag das gute Wetter und setzt in den Drehpausen ihre verspiegelte John-Lennon-Brille auf. Sie spielt Lady Agatha Ardry, die Tante von Melrose Plant, die sich gerne in die Ermittlungen einmischt. Eine kleine Rolle – aber das ist der gefeierten Thalbach „schnurzpiepegal“, sagt sie. „Was zählt ist, dass es eine schöne Rolle ist.“ Exzentrisch, britisch schräg, so wie Maggie Smith in der Kultserie „Downton Abbey“.

Während im Catering-Wohnwagen ein Frühstücks-snack für die Crew vorbereitet wird, richten die Requisiteure in der Küche des Herrenhauses das Abendessen her. Yorkshire-Pudding und Rinderbraten werden mit Speise-Öl bepinselt, damit sie vor der Kamera glänzen. Das Essen soll frisch aussehen – dabei hat ein Lieferdienst die Sachen schon am Vorabend in blauen Styropor-Kisten hergebracht. Im großen Saal werden Licht und Kamera aufgebaut. Dort soll eine Dinnergesellschaft gedreht werden. Die Fenster sind von außen mit schwarzen Platten abgedunkelt, auf der langen Speisetafel brennen die Kerzen in den achtarmigen Chandeliers.

Die Schauspieler nehmen ihre Plätze ein, alles ist bereit für den ersten Take. Als die Klappe fällt, tragen zwei Hausmädchen das Essen auf. „Stopp, halt!“, unterbricht Regisseur Edzard Onneken („Türkisch für Anfänger“) sofort. Die Absätze der beiden Bedienungen klappern zu laut auf dem Parkettfußboden. Die Komparsinnen müssen ihre Schuhe ausziehen, laufen auf Socken weiter. Noch vier Mal wird die Szene wiederholt, bis sie sitzt. Dann wird sie noch zig Mal aus fünf anderen Kameraeinstellungen gefilmt. Um die heitere Stimmung zu halten, erzählen sich die Schauspieler am Tisch Witze. Auch wenn nicht jeder Gag wirklich lustig ist, alle lassen sich darauf ein und lachen.

Insgesamt fünf Stunden dauert es, bis die Tisch-Szene, die im Fernsehen nur knapp zwei Minuten dauern wird, abgedreht ist. In der Pause schlendert Fritz Karl t im Glencheck-Anzug vor die Tür. Sein erster Blick geht zum Himmel. Wolken haben sich vor die Sonne geschoben, der Wind frischt auf. Fritz Karl lächelt.

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