Große ZDF-Saga: Grausam zerplatzen die Träume
September 1941. An der russischen Ostfront. Friedhelm, ein einfacher Soldat, ist am Ende. Körperlich und geistig. All das Leid, das er in den letzten Monaten erlebt hat, muss sich entladen. Doch wer weint, gilt in der Armee als Schwächling. Und so verlässt der sensible junge Mann kurz seine Kompanie, um den Tränen freien Lauf zu lassen. Nur eine Fliege stört ihn in diesem Moment. Als er sie erschlägt, klebt Blut an seiner Wange. Friedhelm senkt den Blick und erstarrt. Der Boden unter ihm ist übersät mit Tausenden von Insekten, die sich an Leichen laben.
Friedhelms gespenstische, erste Konfrontation mit einem Massengrab wird sein Bruder später wieder aufnehmen: „Die einzigen Kriegsgewinner sind die Fliegen. Wir mästen sie mit unserem Fleisch.“ Der Zynismus und die Grausamkeit der Szene geben den Tenor des einzigartigen ZDF-Dreiteilers „Unsere Mütter, unsere Väter“ wieder. An Hand der Schicksale von fünf jungen Berliner Freunden wird hier ehrgeizig, detailliert und realistisch-brutal von einer Zeit zwischen 1941 und 1945 erzählt, über die viele, die sie selber erlebt haben, am liebsten heute noch schweigen.
Ungewöhnlich für eine TV-Produktion mit dem Dauerthema Zweiter Weltkrieg: Die Hauptfiguren sind weder Nazis noch Widerstandskämpfer. Sie sind nicht nur Opfer oder nur Täter, weder nur schuldig noch bloß unschuldig. In einer Kneipenszene ganz zu Beginn des außergewöhnlichen Antikriegsfilms wird dem Zuschauer ihre ganze Naivität vor Augen geführt: Die Idee, sich in wenigen Monaten, Weihnachten 1941, wieder am gleichen Ort zu treffen und den „Endsieg" zu feiern, ist ein schrecklicher Trugschluss – genau wie der Glaube, dass „die ganze Welt vor uns steht“.
Im Kriegswirrwarr trennen sich bald ihre Wege. In Berlin bleibt zuerst nur Greta (Katharina Schüttler), eine leichtgläubige bis berechnende Sängerin, die eine neue Marlene Dietrich werden will und dafür auch mit einem Nazi ins Bett geht. Verliebt ist sie aber in den Juden Viktor (Ludwig Trepte) – was zu einer klischeemäßigen, an gängige Mehrteiler wie „Das Adlon“ erinnernde Dreieckskonstellation führt. Charlotte (Miriam Stein) wiederum will als „gute deutsche Frau“ dem Vaterland dienen und – auch das wenig originell – als Krankenschwester in einem Feldlazarett arbeiten. Was sie dort aber an Härten erwartet, ist nicht für Zuschauer geeignet, die kein Blut sehen können.
Absolut sehenswert und überaus mutig
Am glaubwürdigsten gestaltet ist Wilhelms (Volker Bruch) „Traum vom Endsieg“, der sich an der Ostfront schnell in ein Trauma verwandelt. Er, der Erzähler, soll dort auf seinen kleinen Bruder und Pazifisten Friedhelm (Tom Schilling) aufpassen, verliert aber bald selber Glaube und Hoffnung. Und während Wilhelm sich für eine lebensgefährliche Fahnenflucht entscheidet, entwickelt sich sein zunehmend abgestumpfter Bruder zum verrohten „Krieger“, der auch Kinder kaltblütig ermordet.
Warum es diese trotz kleiner Schwächen absolut sehenswerte und überaus mutige Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der deutschen Geschichte überhaupt gibt, liegt an Nico Hofmann. Der teamWorx-Geschäftsführer und Filmproduzent hatte sich in „Rommel“, „Die Flucht“, „Dresden“ oder „Stauffenberg“ bereits mehrfach mit dem Thema „Zweiter Weltkrieg“ auseinandergesetzt, „Unsere Mütter, unsere Väter“ blieb aber immer sein „Herzensprojekt“.
Auslöser dafür war eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater Klaus Hofmann, der selbst als 17-jähriger Pionier an der Ostfront gekämpft und über seine Erfahrungen in der Nachkriegszeit lange Zeit nie ein Wort verloren hatte. Der verspätet in Gang gekommene Austausch mit dem mittlerweile 88-Jährigen veranlasste Nico Hofmann dazu, den Dialog mit der jüngeren Generation auch über das Fernsehen zu suchen und zu vermitteln – so lange es noch Zeitzeugen gibt.
Um die Authentizität des Gezeigten sicherzustellen, begann Drehbuchautor Stefan Kolditz („Dresden“) bereits 2005 mit den Recherchen, traf sich mit Kriegsteilnehmern und Historikern. Wilhelm, die auch dank des überzeugenden Volker Bruch vielschichtigste Figur des Mehrteilers, ist sogar an die Biografie von Klaus Hofmann angelehnt. Auch markige Sätze wie „Der Krieg bringt in jedem nur das Schlechteste hervor“ stammen angeblich von ihm.
Um den inhaltlichen Ansprüchen filmisch gerecht zu werden, wurde tatsächlich geklotzt. 15 Millionen Euro betrug das Budget, allein zehn Millionen kamen vom ZDF, das im Anschluss an den Dreiteiler auch noch zwei neue Dokumentationen zum Thema sendet. Dazu wurden 141 Sets in Berlin, Lettland und Litauen gebaut, gedreht wurde bei zum Teil minus 30 Grad an 86 Tagen mit bis zu 2000 Komparsen. Der Schnitt an 150 Stunden Filmmaterial dauerte ein Jahr. Das war nicht nur für den jungen, erst 38-jährigen Regisseur Philipp Kadelbach („Hindenburg“) ein „Albtraum“. Aber die Strapazen haben sich gelohnt.
Die Idee, es US-Serien wie „Band of Brothers“ gleichzutun und vom Schicksal mehrerer Charaktere in geschickt verknüpften Parallelmontagen zu erzählen, führt zu einer klugen Verdichtung und zu einem Spannungsbogen, der bis zur letzten Minute hält. Der Produktion „Unsere Mütter, unsere Väter“ gelingt auch dank der bis in die kleinsten Rollen großartigen Schauspielerriege und der dynamischen, nie aufdringlichen Kameraarbeit von David Slama etwas Ungewöhnliches im deutschen Fernsehen: Ganz ohne falsches Pathos „Zeitgeschichte zeitgemäß“ zu vermitteln. Bleibt nur die Frage, wie viele Zuschauer sich damit auch auseinandersetzen wollen.
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